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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Breughel" im stärksten Hoffmannschen Geschmack, aber mit vieler Plastik erzählt.
Außerdem enthält der Jahrgang 1836 von Tieck die Novelle: "Eigensinn und
Laune", die für die eigenthümliche Art und Weise seiner Charakterbildung viel¬
leicht die bezeichnendste ist. Ueberhaupt tritt ungefähr um diese Zeit in den
Novellen ein Geschmack an Wunderlichkeiten ein, der zuweilen alle Grenzen des
gesunden Menschenverstandes übersteigt. Der Repräsentant dieser Richtung ist
vorzugsweise L. Schefer, dessen Novelle: "die Pnnzcninseln" (1837) die Ge¬
schichte eines byzantinischen Künstlers enthält, der von der Kindheit an im
Gefängniß erhalten und dort erblindet ist, den ein Aufstand aus dem Kerker
auf den Thron führt, und der später durch eine Art psychischer Behandlung
geheilt wird. Die Räthsel des Seelenlebens, die uns diese Novelle auf¬
gibt, werden nur noch dnrch die Mystik der Ereignisse überboten, welche
uns in den "Wunderlichkeiten" Tiecks aus demselben Jahrgang entgegentritt
und der die Romantik des Freiherrn von Eichendorff in einer gleichzeitigen
Novelle sich vergebens zu nähern sucht. 1838 enthält nichts Bemerkenswerthes.
1839 außer Novellen von Tieck (des Lebens Ueberfluß), Eichendorffund Schefer
(der Gekreuzigte, eine der phantastischen dieses seltsamen, aber begabten Dich¬
ters), die Briefe Goethes an Stolbergs Schwester. -- 1840 zeichnet sich neben
mehren romantischen Beiträgen von Sternberg, I. Mosen, E. v. Luder u. A.
die sehr sauber ausgeführte Criminalgeschichte von Otto Ludwig (dem spätern
Dichter des "Erbförster"): Der Todte von Se. Annencapclle aus. Die Criminal-
literatur kam damals in die Mode, es ist der Urania rühmend "achzusageu, daß
sie sich verhältnißmäßig wenig darin eingelassen hat. -- Tieck schließt seine Beitrage
mit der "Waldeinsamkeit" 1841; auch seine Schule verliert sich --
1844 tritt zuerst Gutzkow auf (die Wellcubraut; dann 1843 die Selbsttaufe,
1847 Jmogena); Sternberg, der regelmäßig einen Beitrag liefert (Physiologie
der Gesellschaft 1844), geht mehr und mehr in den jungdeutschen Ton über;
I. Mosen und W. Alexis experimentiren, ohne rechte Haltung. Von dieser
Classe erwähnen wir noch Lev. Schücking, Mügge, Therese v. Bacharach und
General Pochhammer (Martell), den fleißigsten aller Mitarbeiter. Ein neues
Element kommt durch B. An erd ach hinein (Sträflinge 1846, die Frau Pro¬
fessorin 1847), und wahrscheinlich wäre dies das dominirende geworden, wenn
das Taschenbuch nicht im folgenden Jahre eingegangen wäre. Zum Schluß führen
wir aus eiuer Novelle des letzte" Jahrgangs, "Sigismund" von Therese, eine
Probe von dem unnatürlich reflectirten Stil an, in deu die geschraubte jung-
deutsche Empfindungsweise uns getrieben hatte. Eine Dame ans den hohem
Ständen ist ihrem Gemahl entlaufen und zu ihrem Bruder entflohen, dem sie
nun im Moment der höchsten Aufregung folgendes eröffnet: "Rhode ist mir wie
ein Don Quixote in pappener Rüstung vorgekommen. Im falschen Gefühl seiner
Größe und seiner Zukunft erlaubte er sich Dinge, die ich Barbarismen des Ge-


Breughel" im stärksten Hoffmannschen Geschmack, aber mit vieler Plastik erzählt.
Außerdem enthält der Jahrgang 1836 von Tieck die Novelle: „Eigensinn und
Laune", die für die eigenthümliche Art und Weise seiner Charakterbildung viel¬
leicht die bezeichnendste ist. Ueberhaupt tritt ungefähr um diese Zeit in den
Novellen ein Geschmack an Wunderlichkeiten ein, der zuweilen alle Grenzen des
gesunden Menschenverstandes übersteigt. Der Repräsentant dieser Richtung ist
vorzugsweise L. Schefer, dessen Novelle: „die Pnnzcninseln" (1837) die Ge¬
schichte eines byzantinischen Künstlers enthält, der von der Kindheit an im
Gefängniß erhalten und dort erblindet ist, den ein Aufstand aus dem Kerker
auf den Thron führt, und der später durch eine Art psychischer Behandlung
geheilt wird. Die Räthsel des Seelenlebens, die uns diese Novelle auf¬
gibt, werden nur noch dnrch die Mystik der Ereignisse überboten, welche
uns in den „Wunderlichkeiten" Tiecks aus demselben Jahrgang entgegentritt
und der die Romantik des Freiherrn von Eichendorff in einer gleichzeitigen
Novelle sich vergebens zu nähern sucht. 1838 enthält nichts Bemerkenswerthes.
1839 außer Novellen von Tieck (des Lebens Ueberfluß), Eichendorffund Schefer
(der Gekreuzigte, eine der phantastischen dieses seltsamen, aber begabten Dich¬
ters), die Briefe Goethes an Stolbergs Schwester. — 1840 zeichnet sich neben
mehren romantischen Beiträgen von Sternberg, I. Mosen, E. v. Luder u. A.
die sehr sauber ausgeführte Criminalgeschichte von Otto Ludwig (dem spätern
Dichter des „Erbförster"): Der Todte von Se. Annencapclle aus. Die Criminal-
literatur kam damals in die Mode, es ist der Urania rühmend »achzusageu, daß
sie sich verhältnißmäßig wenig darin eingelassen hat. — Tieck schließt seine Beitrage
mit der „Waldeinsamkeit" 1841; auch seine Schule verliert sich —
1844 tritt zuerst Gutzkow auf (die Wellcubraut; dann 1843 die Selbsttaufe,
1847 Jmogena); Sternberg, der regelmäßig einen Beitrag liefert (Physiologie
der Gesellschaft 1844), geht mehr und mehr in den jungdeutschen Ton über;
I. Mosen und W. Alexis experimentiren, ohne rechte Haltung. Von dieser
Classe erwähnen wir noch Lev. Schücking, Mügge, Therese v. Bacharach und
General Pochhammer (Martell), den fleißigsten aller Mitarbeiter. Ein neues
Element kommt durch B. An erd ach hinein (Sträflinge 1846, die Frau Pro¬
fessorin 1847), und wahrscheinlich wäre dies das dominirende geworden, wenn
das Taschenbuch nicht im folgenden Jahre eingegangen wäre. Zum Schluß führen
wir aus eiuer Novelle des letzte» Jahrgangs, „Sigismund" von Therese, eine
Probe von dem unnatürlich reflectirten Stil an, in deu die geschraubte jung-
deutsche Empfindungsweise uns getrieben hatte. Eine Dame ans den hohem
Ständen ist ihrem Gemahl entlaufen und zu ihrem Bruder entflohen, dem sie
nun im Moment der höchsten Aufregung folgendes eröffnet: „Rhode ist mir wie
ein Don Quixote in pappener Rüstung vorgekommen. Im falschen Gefühl seiner
Größe und seiner Zukunft erlaubte er sich Dinge, die ich Barbarismen des Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/202>, abgerufen am 01.07.2024.