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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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nicht übertreiben, wenn wir die Aussicht ans die Möglichkeit einer deutschen Flotte
unter die mitwirkenden Motive seines damaligen Benehmens rechnen.

Ein günstiger AusgMg in dieser Sache konnte aus zweierlei Wegen angestrebt
werden. Entweder man zog Oestreich ganz in das deutsche Interesse, .trennte es
von der russischen Allianz, unterstützte die Projecte der Paulskirche; oder man
schloß sich aufrichtig an'Preußen an und sicherte dasselbe gegen die Einwirkungen
der angeblich großdeutschen,^ eigentlich aber kleinstaatischen Politiker; zu einem
von beiden aber mußte man sich entschließen, und daß England keins von beiden
gethan hat, ist ein Fehler, den mau der berühmten Politik des Lord Palmerston
nie wird verzeihen können.

Indessen, was der englische Lord für Deutschland nicht gethan, werden sich
doch wol die deutschen Mächte selber entschließen müssen zu thun. Sie werden
eine klare Stellung einander gegenüber einnehmen, sie werden sich, um eine ge¬
meinsame, feste Politik durchführen 'zu können, über ihr Verhältniß zu den großen
weltbewegenden Fragen eine bestimmtere und concretere Anschauung bilden müssen,
als die in dem abstracten Gegensatz zur Revolution begründet ist. Die Revolu¬
tion ist nicht ein wirklich vorhandener, äußerlich wahrnehmbarer Feind, dem man
sich Ange gegen Auge gegenüberstellen konnte, sie ist eine Krankheit des innern
Organismus, die man nur durch eine naturgemäße Entwickelung der eigenen
Kräfte aufhebt.

Wenn wir vor dem Aufgeben der Schleswig-holstcinschen Sache, vor der
Anerkennung des Bundestages, vor dem Abschluß des Handelsvertrags mit Oest¬
reich, Preußen unermüdlich aufgefordert haben, Oestreich gegenüber eine selbst¬
ständige, unabhängige und nöthigenfalls feindliche Stellung einzunehmen, so liegen
jetzt eine Reihe vollendeter Thatsachen vor, die man bei der Rechnung nicht über¬
sehen darf. In dem Sinne von 1849 kann Preußen, wenigstens vorläufig, nicht
mehr eigene Politik treiben, sein Verhalten zu Oestreich im allgemeinen liegt
nicht mehr in seiner Wahl; es kommt nur darauf an, einen Weg zu siudeu, in
dem. im Verein mit Oestreich die eignen Principien gewahrt und Oestreich die
Mittel an die Hand gegeben werden, in eine verwandte Bahn einzulenken. Dazu
scheint uns die orientalische Frage eine Gelegenheit von seltener Tragweite.

In dieser Frage handelt es sich nicht um heute und morgen. Für den Au¬
genblick sind wir mit unserm Pariser Korrespondenten der Ansicht, daß der Welt¬
friede nicht gestört werden wird. Die öffentliche Meinung ist, was man auch
von dem wiederhergestellten Absolutismus sagen mag, hierin noch mächtig; sie will
nicht, daß um der heiligen Stätten und um des Patriarchen von Konstantinopel
willen ein Weltkrieg entbrenne, der die allgemeine Cultur wieder um einige Jahr¬
zehende zurückdrängt, dem öffentlichen Wohlstand einen tödtlichen Schlag beibringt,
und bei dem keiner der streitenden Theile einen bestimmten Zweck vor Augen
haben kaun. Wir wissen nicht, in welcher Weise die Ausgleichung der schweben-


nicht übertreiben, wenn wir die Aussicht ans die Möglichkeit einer deutschen Flotte
unter die mitwirkenden Motive seines damaligen Benehmens rechnen.

Ein günstiger AusgMg in dieser Sache konnte aus zweierlei Wegen angestrebt
werden. Entweder man zog Oestreich ganz in das deutsche Interesse, .trennte es
von der russischen Allianz, unterstützte die Projecte der Paulskirche; oder man
schloß sich aufrichtig an'Preußen an und sicherte dasselbe gegen die Einwirkungen
der angeblich großdeutschen,^ eigentlich aber kleinstaatischen Politiker; zu einem
von beiden aber mußte man sich entschließen, und daß England keins von beiden
gethan hat, ist ein Fehler, den mau der berühmten Politik des Lord Palmerston
nie wird verzeihen können.

Indessen, was der englische Lord für Deutschland nicht gethan, werden sich
doch wol die deutschen Mächte selber entschließen müssen zu thun. Sie werden
eine klare Stellung einander gegenüber einnehmen, sie werden sich, um eine ge¬
meinsame, feste Politik durchführen 'zu können, über ihr Verhältniß zu den großen
weltbewegenden Fragen eine bestimmtere und concretere Anschauung bilden müssen,
als die in dem abstracten Gegensatz zur Revolution begründet ist. Die Revolu¬
tion ist nicht ein wirklich vorhandener, äußerlich wahrnehmbarer Feind, dem man
sich Ange gegen Auge gegenüberstellen konnte, sie ist eine Krankheit des innern
Organismus, die man nur durch eine naturgemäße Entwickelung der eigenen
Kräfte aufhebt.

Wenn wir vor dem Aufgeben der Schleswig-holstcinschen Sache, vor der
Anerkennung des Bundestages, vor dem Abschluß des Handelsvertrags mit Oest¬
reich, Preußen unermüdlich aufgefordert haben, Oestreich gegenüber eine selbst¬
ständige, unabhängige und nöthigenfalls feindliche Stellung einzunehmen, so liegen
jetzt eine Reihe vollendeter Thatsachen vor, die man bei der Rechnung nicht über¬
sehen darf. In dem Sinne von 1849 kann Preußen, wenigstens vorläufig, nicht
mehr eigene Politik treiben, sein Verhalten zu Oestreich im allgemeinen liegt
nicht mehr in seiner Wahl; es kommt nur darauf an, einen Weg zu siudeu, in
dem. im Verein mit Oestreich die eignen Principien gewahrt und Oestreich die
Mittel an die Hand gegeben werden, in eine verwandte Bahn einzulenken. Dazu
scheint uns die orientalische Frage eine Gelegenheit von seltener Tragweite.

In dieser Frage handelt es sich nicht um heute und morgen. Für den Au¬
genblick sind wir mit unserm Pariser Korrespondenten der Ansicht, daß der Welt¬
friede nicht gestört werden wird. Die öffentliche Meinung ist, was man auch
von dem wiederhergestellten Absolutismus sagen mag, hierin noch mächtig; sie will
nicht, daß um der heiligen Stätten und um des Patriarchen von Konstantinopel
willen ein Weltkrieg entbrenne, der die allgemeine Cultur wieder um einige Jahr¬
zehende zurückdrängt, dem öffentlichen Wohlstand einen tödtlichen Schlag beibringt,
und bei dem keiner der streitenden Theile einen bestimmten Zweck vor Augen
haben kaun. Wir wissen nicht, in welcher Weise die Ausgleichung der schweben-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/20>, abgerufen am 07.01.2025.