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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Kaiser seine Entscheidung abgeben soll, vermögen wir im einzelnen aus dem
Gewirr der Zeitungsnachrichten nicht zu enträthseln. Man scheint ihm eine ganze
Anzahl zu beliebiger Auswahl Übermacht zu haben. Nur die Hauptsache steht
fest: es werden seine Forderungen im wesentlichen alle bewilligt, und er soll nur
dafür, um doch deu Schein zu retten, eine Art Erklärung abgeben, die nichts
sagt oder die sich von selbst versteht. Möglich ist es freilich, daß ihm auch das
noch zuviel erscheint, und in diesem Fall wird man anch die Erklärung fallen
lassen; aber wir halten es nicht für wahrscheinlich, denn der Kaiser ist jetzt in
'der günstigsten Lage, sich ohne Gefahr gegen seine gedemüthigten Geguer gro߬
müthig erzeigen zu können. Möglich ist es ferner, daß die alttürkische Partei
die Sache auf die Spitze treibt und es dennoch zum Bruche bringt. Aber auch
daran glauben wir nicht. Wir müssen vielmehr offen die Ansicht aussprechen,
daß die alttürkische Partei mehr in der Phantasie des Abendlandes, als in der
Wirklichkeit zu finden ist.

So wäre denn der Friede hergestellt, die europäische Civilisation gesichert!
Aber um einen theuern Preis. Die Ehre Englands war nicht nnr ein Gut die¬
ses einzelnen Staats, sie gehörte zum Capital Europas, und diese Ehre ist schwer
verletzt, nicht blos durch die Regierung, sondern auch durch das Volk. Wir haben
die Stellung Englands mit der Stellung Preußens in den Tagen von Olmütz ver¬
glichen; aber sie ist eigentlich noch schlimmer, denn die ganze Verantwortlichkeit
von Olmütz lastet auf der Regierung, das Volk trifft keine Schuld. Es war auf
den Ruf des Königs eifrig und mit einem gewissen Stolz zu den Waffen geströmt;
es hatte sich zu jedem, auch dem schwersten Opfer bereit erklärt, soweit es ihm
durch die bestehenden Formen der Verfassung vergönnt war, seinem Willen einen Aus¬
druck zu geben, hatte es aufdas Entschiedenste sich für die Aufrechterhaltung der preußi¬
schen Ehre auf jede Gefahr hin ausgesprochen. Das englische Volk dagegett blieb
stumm, und wenn wir das solange für weise hielten, als die Sache selbst noch im
unklaren war, als man noch der Regierung vertrauen konnte, sie werde die Ehre der
Nation zu wahren wissen, so ist uus dieses Schweigen jetzt, wo kein Zweifel mehr
sein kann, vollkommen unbegreiflich. Die politische Abgestumpftheit des Continents
hat sich also auch uach England übergepflanzt. Aber die übermüthige" Briten
mögen sich jetzt etwas besinnen, ehe sie ihr herausforderndes Unke Britannia an¬
stimmen; ihre eigenen Jungen müßten sie auslachen.

Der einzige Umstand, der uns bei dieser ganzen Sache einigen Trost ge¬
geben hat, ist die Haltung der deutschen Presse. Mit Ausnahme der Kreuz-
zeitung und einiger vereinzelter Stimmen in der Augsburger Allgemeinen hat sich
die gesammte Presse einmüthig mit Energie, Einsicht und Ausdauer für die allein
richtige Auffassung erklärt. Die Unterschiede der Parteien sind für den Augen¬
blick vollständig verwischt, und das Raisonnement des Preußischen Wochenblattes,
der Nationalzeitung und der constitutionellen Provincialpresse geht, wenn man die


Kaiser seine Entscheidung abgeben soll, vermögen wir im einzelnen aus dem
Gewirr der Zeitungsnachrichten nicht zu enträthseln. Man scheint ihm eine ganze
Anzahl zu beliebiger Auswahl Übermacht zu haben. Nur die Hauptsache steht
fest: es werden seine Forderungen im wesentlichen alle bewilligt, und er soll nur
dafür, um doch deu Schein zu retten, eine Art Erklärung abgeben, die nichts
sagt oder die sich von selbst versteht. Möglich ist es freilich, daß ihm auch das
noch zuviel erscheint, und in diesem Fall wird man anch die Erklärung fallen
lassen; aber wir halten es nicht für wahrscheinlich, denn der Kaiser ist jetzt in
'der günstigsten Lage, sich ohne Gefahr gegen seine gedemüthigten Geguer gro߬
müthig erzeigen zu können. Möglich ist es ferner, daß die alttürkische Partei
die Sache auf die Spitze treibt und es dennoch zum Bruche bringt. Aber auch
daran glauben wir nicht. Wir müssen vielmehr offen die Ansicht aussprechen,
daß die alttürkische Partei mehr in der Phantasie des Abendlandes, als in der
Wirklichkeit zu finden ist.

So wäre denn der Friede hergestellt, die europäische Civilisation gesichert!
Aber um einen theuern Preis. Die Ehre Englands war nicht nnr ein Gut die¬
ses einzelnen Staats, sie gehörte zum Capital Europas, und diese Ehre ist schwer
verletzt, nicht blos durch die Regierung, sondern auch durch das Volk. Wir haben
die Stellung Englands mit der Stellung Preußens in den Tagen von Olmütz ver¬
glichen; aber sie ist eigentlich noch schlimmer, denn die ganze Verantwortlichkeit
von Olmütz lastet auf der Regierung, das Volk trifft keine Schuld. Es war auf
den Ruf des Königs eifrig und mit einem gewissen Stolz zu den Waffen geströmt;
es hatte sich zu jedem, auch dem schwersten Opfer bereit erklärt, soweit es ihm
durch die bestehenden Formen der Verfassung vergönnt war, seinem Willen einen Aus¬
druck zu geben, hatte es aufdas Entschiedenste sich für die Aufrechterhaltung der preußi¬
schen Ehre auf jede Gefahr hin ausgesprochen. Das englische Volk dagegett blieb
stumm, und wenn wir das solange für weise hielten, als die Sache selbst noch im
unklaren war, als man noch der Regierung vertrauen konnte, sie werde die Ehre der
Nation zu wahren wissen, so ist uus dieses Schweigen jetzt, wo kein Zweifel mehr
sein kann, vollkommen unbegreiflich. Die politische Abgestumpftheit des Continents
hat sich also auch uach England übergepflanzt. Aber die übermüthige» Briten
mögen sich jetzt etwas besinnen, ehe sie ihr herausforderndes Unke Britannia an¬
stimmen; ihre eigenen Jungen müßten sie auslachen.

Der einzige Umstand, der uns bei dieser ganzen Sache einigen Trost ge¬
geben hat, ist die Haltung der deutschen Presse. Mit Ausnahme der Kreuz-
zeitung und einiger vereinzelter Stimmen in der Augsburger Allgemeinen hat sich
die gesammte Presse einmüthig mit Energie, Einsicht und Ausdauer für die allein
richtige Auffassung erklärt. Die Unterschiede der Parteien sind für den Augen¬
blick vollständig verwischt, und das Raisonnement des Preußischen Wochenblattes,
der Nationalzeitung und der constitutionellen Provincialpresse geht, wenn man die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/198>, abgerufen am 03.07.2024.