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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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getrieben. Und dasselbe geschieht vor unsern Augen von einem unbedeutenden
amerikanischen Kriegsschiff in Smyrna. Abgeschnitten von allen Hilfsmitteln,
durch einen unendlichen Raum von seiner Heimat getrennt, trägt es doch das
Gefühl seiner großen Nation so stark in sich, daß es den Muth hat, das, was
es für sein Recht hält, mit Gewalt durchzusetzen. Wie es mit diesem Rechtsan¬
spruch beschaffen ist, können wir hier füglich ununtersucht lasse"; für uns steht
nur das Factum männlicher Entschlossenheit fest, welches in unserer unsteten und
zerfahrenen Zeit in der That etwas Berauschendes hat.

Bei den Anklagen gegen die beiden Seemächte fassen wir natürlich nur
England ins Auge. Frankreichs Interessen sind nicht so wesentlich im Spiel,
und seiue Macht reicht unzweifelhaft uicht aus, sich dem ungleichen Kampf zu
unterziehen. Aber England mußte in der Lage sein, gleich bei der Sendung des
Fürsten Menschikoff, oder eigentlich schon früher, die Tragweite des Ereignisses
nach allen Seiten hin in Erwägung zu ziehen. Wenn die großbritannische Re¬
gierung der Ansicht war, die Türkei könne ohne wesentliche Beschädigung in die
russischen Forderungen eingehen, oder der Schaden, der der Türkei und damit
mittelbar den europäische" Großmächten zugefügt wurde, sei wenigstens nicht so
erheblich, um das gefahrvolle Unternehmen eines Krieges zu rechtfertigen, so
mußte sie diese Ansicht gleich von vornherein sehr bestimmt und energisch der
Türkei gegenüber aussprechen. Auf solche energische Vorstellungen hätte die
Pforte keinen Austand genommen, die strengen Forderungen Rußlands zu be¬
willigen; dadurch wäre ihre Ehre weniger verletzt worden, als gegenwärtig, denn
sie war damals grade im Zuge, nach allen Seiten hin Concessionen zu machen,
und eine Concession mehr wäre damals unbemerkt mit hingenommen; jetzt aber
muß sie sich einmal der Gewalt fügen, und außerdem ist alle Welt auf das
Demüthigende der russischen Forderungen aufmerksam gemacht worden. Außer¬
dem ist der materielle Nachtheil, den sie im gegenwärtigen Augenblicke erleidet,
unendlich größer, und der Einmarsch und Aufenthalt der russischen Truppen in
den Donaufürstenthümern wird ihr theuer zu stehen kommen.

Wäre also England darauf ausgegangen, in dem ausbrechenden Conflict
Rußland jeden Vortheil und der Türkei jeden Nachtheil zuzuwenden, der im
Reich der Möglichkeiten lag, so hätte es nicht anders handeln können. Nur ist
ihm dabei widerfahren, was es wol selber vorher nicht berechnet hat: es ist an
seiner eigenen Ehre auf das Empfindlichste gekränkt worden und muß diese Krän¬
kung ruhig hinnehmen. Die Art und Weise, wie das Ministerium diese Krän¬
kung z" beschönigen gesucht hat, grenzt ans Cynische, und wir finden darin
zwischen Whigs und Peeliteu gar keinen Unterschied; im Gegentheil scheinen uns
die Erklärungen des Lord Russel das Unwürdigste zu sein, was überhaupt in dieser
Sache gesagt worden ist.

Von welcher Art die Vermittlungsvorschläge find, über welche der russische


getrieben. Und dasselbe geschieht vor unsern Augen von einem unbedeutenden
amerikanischen Kriegsschiff in Smyrna. Abgeschnitten von allen Hilfsmitteln,
durch einen unendlichen Raum von seiner Heimat getrennt, trägt es doch das
Gefühl seiner großen Nation so stark in sich, daß es den Muth hat, das, was
es für sein Recht hält, mit Gewalt durchzusetzen. Wie es mit diesem Rechtsan¬
spruch beschaffen ist, können wir hier füglich ununtersucht lasse»; für uns steht
nur das Factum männlicher Entschlossenheit fest, welches in unserer unsteten und
zerfahrenen Zeit in der That etwas Berauschendes hat.

Bei den Anklagen gegen die beiden Seemächte fassen wir natürlich nur
England ins Auge. Frankreichs Interessen sind nicht so wesentlich im Spiel,
und seiue Macht reicht unzweifelhaft uicht aus, sich dem ungleichen Kampf zu
unterziehen. Aber England mußte in der Lage sein, gleich bei der Sendung des
Fürsten Menschikoff, oder eigentlich schon früher, die Tragweite des Ereignisses
nach allen Seiten hin in Erwägung zu ziehen. Wenn die großbritannische Re¬
gierung der Ansicht war, die Türkei könne ohne wesentliche Beschädigung in die
russischen Forderungen eingehen, oder der Schaden, der der Türkei und damit
mittelbar den europäische» Großmächten zugefügt wurde, sei wenigstens nicht so
erheblich, um das gefahrvolle Unternehmen eines Krieges zu rechtfertigen, so
mußte sie diese Ansicht gleich von vornherein sehr bestimmt und energisch der
Türkei gegenüber aussprechen. Auf solche energische Vorstellungen hätte die
Pforte keinen Austand genommen, die strengen Forderungen Rußlands zu be¬
willigen; dadurch wäre ihre Ehre weniger verletzt worden, als gegenwärtig, denn
sie war damals grade im Zuge, nach allen Seiten hin Concessionen zu machen,
und eine Concession mehr wäre damals unbemerkt mit hingenommen; jetzt aber
muß sie sich einmal der Gewalt fügen, und außerdem ist alle Welt auf das
Demüthigende der russischen Forderungen aufmerksam gemacht worden. Außer¬
dem ist der materielle Nachtheil, den sie im gegenwärtigen Augenblicke erleidet,
unendlich größer, und der Einmarsch und Aufenthalt der russischen Truppen in
den Donaufürstenthümern wird ihr theuer zu stehen kommen.

Wäre also England darauf ausgegangen, in dem ausbrechenden Conflict
Rußland jeden Vortheil und der Türkei jeden Nachtheil zuzuwenden, der im
Reich der Möglichkeiten lag, so hätte es nicht anders handeln können. Nur ist
ihm dabei widerfahren, was es wol selber vorher nicht berechnet hat: es ist an
seiner eigenen Ehre auf das Empfindlichste gekränkt worden und muß diese Krän¬
kung ruhig hinnehmen. Die Art und Weise, wie das Ministerium diese Krän¬
kung z» beschönigen gesucht hat, grenzt ans Cynische, und wir finden darin
zwischen Whigs und Peeliteu gar keinen Unterschied; im Gegentheil scheinen uns
die Erklärungen des Lord Russel das Unwürdigste zu sein, was überhaupt in dieser
Sache gesagt worden ist.

Von welcher Art die Vermittlungsvorschläge find, über welche der russische


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[0197] getrieben. Und dasselbe geschieht vor unsern Augen von einem unbedeutenden amerikanischen Kriegsschiff in Smyrna. Abgeschnitten von allen Hilfsmitteln, durch einen unendlichen Raum von seiner Heimat getrennt, trägt es doch das Gefühl seiner großen Nation so stark in sich, daß es den Muth hat, das, was es für sein Recht hält, mit Gewalt durchzusetzen. Wie es mit diesem Rechtsan¬ spruch beschaffen ist, können wir hier füglich ununtersucht lasse»; für uns steht nur das Factum männlicher Entschlossenheit fest, welches in unserer unsteten und zerfahrenen Zeit in der That etwas Berauschendes hat. Bei den Anklagen gegen die beiden Seemächte fassen wir natürlich nur England ins Auge. Frankreichs Interessen sind nicht so wesentlich im Spiel, und seiue Macht reicht unzweifelhaft uicht aus, sich dem ungleichen Kampf zu unterziehen. Aber England mußte in der Lage sein, gleich bei der Sendung des Fürsten Menschikoff, oder eigentlich schon früher, die Tragweite des Ereignisses nach allen Seiten hin in Erwägung zu ziehen. Wenn die großbritannische Re¬ gierung der Ansicht war, die Türkei könne ohne wesentliche Beschädigung in die russischen Forderungen eingehen, oder der Schaden, der der Türkei und damit mittelbar den europäische» Großmächten zugefügt wurde, sei wenigstens nicht so erheblich, um das gefahrvolle Unternehmen eines Krieges zu rechtfertigen, so mußte sie diese Ansicht gleich von vornherein sehr bestimmt und energisch der Türkei gegenüber aussprechen. Auf solche energische Vorstellungen hätte die Pforte keinen Austand genommen, die strengen Forderungen Rußlands zu be¬ willigen; dadurch wäre ihre Ehre weniger verletzt worden, als gegenwärtig, denn sie war damals grade im Zuge, nach allen Seiten hin Concessionen zu machen, und eine Concession mehr wäre damals unbemerkt mit hingenommen; jetzt aber muß sie sich einmal der Gewalt fügen, und außerdem ist alle Welt auf das Demüthigende der russischen Forderungen aufmerksam gemacht worden. Außer¬ dem ist der materielle Nachtheil, den sie im gegenwärtigen Augenblicke erleidet, unendlich größer, und der Einmarsch und Aufenthalt der russischen Truppen in den Donaufürstenthümern wird ihr theuer zu stehen kommen. Wäre also England darauf ausgegangen, in dem ausbrechenden Conflict Rußland jeden Vortheil und der Türkei jeden Nachtheil zuzuwenden, der im Reich der Möglichkeiten lag, so hätte es nicht anders handeln können. Nur ist ihm dabei widerfahren, was es wol selber vorher nicht berechnet hat: es ist an seiner eigenen Ehre auf das Empfindlichste gekränkt worden und muß diese Krän¬ kung ruhig hinnehmen. Die Art und Weise, wie das Ministerium diese Krän¬ kung z» beschönigen gesucht hat, grenzt ans Cynische, und wir finden darin zwischen Whigs und Peeliteu gar keinen Unterschied; im Gegentheil scheinen uns die Erklärungen des Lord Russel das Unwürdigste zu sein, was überhaupt in dieser Sache gesagt worden ist. Von welcher Art die Vermittlungsvorschläge find, über welche der russische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/197>, abgerufen am 01.07.2024.