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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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es deutlich ausgesprochen, daß er sich in einer bedenklichen Stellung befinde. Die
Franzosen werden sich, meint er, die gegenwärtigen Zustände uicht lange gefallen
lassen ohne Beschäftigung nach außen, und der Krieg könne nicht versucht werde",
ohne daß sich Napoleon ans die Rothen und die Socialisten stütze. Diese aber
würden, so fürchtet der französische Kaiser, vielleicht gegen ihn die Waffen kehren,
die er ihnen gegen den Feind in die Hände geben müßte. Diese Befürchtungen
waren es, welche den Kaiser die Seitenhiebe der beiden russischen Manifeste ge¬
duldiger hinnehmen ließen, als von ihm zu erwarten gewesen. Die allerdings
energische Antwort von Dronin de Lhuys kann neben der thatsächlich energischen
Politik gar nicht in Betrachtung kommen. Der Kaiser schwankt, er weiß, daß
er im Innern noch zuviel zu beruhigen, zuviel Arbeite" zu beginne" habe, als
daß er ohne große Gefahr in einen Krieg sich verwickeln könne. Daß ans Eng¬
land nnr im spätesten Falle zu rechnen sei, hat sich nun auch herausgestellt und
es fragt sich daher, ob Rußland dieses wahrnehmend die Occupation der beiden
Fürstenthümer selbst nach Annahme der für die Pforte gemachten Vorschläge
aufzugeben sich verstehen werde. Hierin liegt wie gesagt die Aussicht auf unbe¬
stimmte Verlängerung der orientalischen Differenzen. Auf der andern Seite ist
es klar, daß Louis Napoleon nicht der Mann sei, eine Kränkung lauge ungerächt
zu lassen und trotz aller Umstände, die gegen eine feindselige Initiative von Seite
Frankreichs sprechen, sehen wir uns doch selbst "ach der vorläufigen Beilegung
der jetzigen Schwierigkeiten wieder ans das Terrain der Politik und des Unvor¬
hergesehenen geschleudert.

Die Zustände im Innern nehme" "achgrade eine Physiognomie an, welche
der Regierung um so bedenklicher erscheine" muß, als sie schwer zu erklären und
zu erörtern sind. Die Versuche gegen das Leben des Staatsoberhaupts mehren
sich i" raschem Aufeinanderfolgen und nach allem was bekannt geworden, ist sicher,
daß eine gewisse Verbindung unter den einzelnen Attentaten wirklich bestehe. Die
geheimen Gesellschaften sangen also wieder ihre untergrabende Arbeit an und es
läßt sich auf die Entschlossenheit dieser Vereine schließen, wenn man bedenkt, daß
trotz der schrankenlosen Gewalt, welche die Regienmg gege" politische Verbrecher
und nameiitlich gege" die Mitglieder geheimer Gesellschaften sich vor allem vin-
dicirte, sich doch noch zahlreiche Adepten dieser in Frankreich traditionellen Par-
teipolitik finde". Das ist aber el" sehr wichtiges Symptom. Man mag wie
immer über den Mord als politische Waffe denken, man mag noch so empört
gegen de" Nege"te"mort fühlen, man mag als Politiker noch so sehr gegen die
Verblendung durch solche Mittel ein Land retten zu wollen in die Schranken
der Moralität treten, die Politiker würde" es erklärlich, we"" auch verdammlich
gesunden haben, wenn in der ersten Zeit der Entrüstung über eine widergesetzliche
That sich einzelne zum Amte des Rächers der Gerechtigkeit und der Verfassung
berufen glaubten, wir sagen diese Leidenschaft würde man haben erklärlich


es deutlich ausgesprochen, daß er sich in einer bedenklichen Stellung befinde. Die
Franzosen werden sich, meint er, die gegenwärtigen Zustände uicht lange gefallen
lassen ohne Beschäftigung nach außen, und der Krieg könne nicht versucht werde»,
ohne daß sich Napoleon ans die Rothen und die Socialisten stütze. Diese aber
würden, so fürchtet der französische Kaiser, vielleicht gegen ihn die Waffen kehren,
die er ihnen gegen den Feind in die Hände geben müßte. Diese Befürchtungen
waren es, welche den Kaiser die Seitenhiebe der beiden russischen Manifeste ge¬
duldiger hinnehmen ließen, als von ihm zu erwarten gewesen. Die allerdings
energische Antwort von Dronin de Lhuys kann neben der thatsächlich energischen
Politik gar nicht in Betrachtung kommen. Der Kaiser schwankt, er weiß, daß
er im Innern noch zuviel zu beruhigen, zuviel Arbeite» zu beginne» habe, als
daß er ohne große Gefahr in einen Krieg sich verwickeln könne. Daß ans Eng¬
land nnr im spätesten Falle zu rechnen sei, hat sich nun auch herausgestellt und
es fragt sich daher, ob Rußland dieses wahrnehmend die Occupation der beiden
Fürstenthümer selbst nach Annahme der für die Pforte gemachten Vorschläge
aufzugeben sich verstehen werde. Hierin liegt wie gesagt die Aussicht auf unbe¬
stimmte Verlängerung der orientalischen Differenzen. Auf der andern Seite ist
es klar, daß Louis Napoleon nicht der Mann sei, eine Kränkung lauge ungerächt
zu lassen und trotz aller Umstände, die gegen eine feindselige Initiative von Seite
Frankreichs sprechen, sehen wir uns doch selbst »ach der vorläufigen Beilegung
der jetzigen Schwierigkeiten wieder ans das Terrain der Politik und des Unvor¬
hergesehenen geschleudert.

Die Zustände im Innern nehme» »achgrade eine Physiognomie an, welche
der Regierung um so bedenklicher erscheine» muß, als sie schwer zu erklären und
zu erörtern sind. Die Versuche gegen das Leben des Staatsoberhaupts mehren
sich i» raschem Aufeinanderfolgen und nach allem was bekannt geworden, ist sicher,
daß eine gewisse Verbindung unter den einzelnen Attentaten wirklich bestehe. Die
geheimen Gesellschaften sangen also wieder ihre untergrabende Arbeit an und es
läßt sich auf die Entschlossenheit dieser Vereine schließen, wenn man bedenkt, daß
trotz der schrankenlosen Gewalt, welche die Regienmg gege» politische Verbrecher
und nameiitlich gege» die Mitglieder geheimer Gesellschaften sich vor allem vin-
dicirte, sich doch noch zahlreiche Adepten dieser in Frankreich traditionellen Par-
teipolitik finde». Das ist aber el» sehr wichtiges Symptom. Man mag wie
immer über den Mord als politische Waffe denken, man mag noch so empört
gegen de» Nege»te»mort fühlen, man mag als Politiker noch so sehr gegen die
Verblendung durch solche Mittel ein Land retten zu wollen in die Schranken
der Moralität treten, die Politiker würde» es erklärlich, we»» auch verdammlich
gesunden haben, wenn in der ersten Zeit der Entrüstung über eine widergesetzliche
That sich einzelne zum Amte des Rächers der Gerechtigkeit und der Verfassung
berufen glaubten, wir sagen diese Leidenschaft würde man haben erklärlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/192>, abgerufen am 01.07.2024.