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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Wie wir von Anfang her vorausgesagt hatten, wird der Krieg für den
Augenblick Europa erspart bleiben. Die Türkei hat, wie aus den officiellen
Erklärungen im englischen Parlamente hervorgeht, Zugeständnisse gemacht, und
Rußland wird nun seinerseits sich zu dem Projecte einer Gegennote bereitwillig
zeigen. Dies ist zu erwarten, da sämmtliche Großmächte in diesem Sinne arbeiten
werden. Die Pforte wird eine Note unterzeichnen, welche ungefähr dem von
Nesselrode vorgeschlagenen Entwürfe gleichkommt und Nußland wird in einer
Gegennote erkläre", daß es die Versicherung der Pforte nie anders als im Sinne
der Aufrechterhaltung des Statnsqno und blos als eine Bürgschaft für die bisher
von Rußland besessenen Rechte betrachten wolle. Hiermit würde für jetzt jede
Schwierigkeit gehoben sein, doch hängt der definitive Friede immer noch von der
späteren Haltung Englands und Frankreichs ab. Rußland hat beim Beginn
seiner Campagne den Fehler begangen, als gewiß anzunehmen, Frankreich werde
sich mit England nicht verständigen können.

Es hat aber mit seinem gewöhnlichen Glücke und mit der ihm eigenen Ge-
schicklichkeit diesen Fehler wieder gut gemacht, indem es durch seinen Einfluß auf die
englische Aristokratie und durch das Einwirken der deutschen Höfe in London die
fast zu Stande gekommene "moins oorcUaw auf eine eQt"zuo spkoials, wie sich
Palmerston in seiner bezeichnenden Weise ausdrückte, zu reduciren gewußt. So
ist es ihm möglich geworden, seinen Willen, die vorläufige Occupation der
Donaufürstenthümer, durchzusetzen, ohne daß dieser kriegerische Act die westlichen
Flotten nach den Dardanellen gelockt hätte. Hierin besteht der Sieg Rußlands
und mit diesem wird es sich wahrscheinlich um so eher begnügen, als es auch
der Hauptsache uach so ziemlich Recht behalten wird. Die weitere Frage ist
nur die, ob die öffentliche Meinung in England dem Ministerium Energie ein¬
flößen wird, mit allen Mitteln seines Einflusses dahin zu streben, daß die Ent¬
setzung der Donaufürstenthümer, bald geschehe. Rußland wird seinerseits gewiß
alles thun, um nicht sobald Abschied von den beiden Provinzen zu nehmen, denn
es liegt in seinen Zukunftsplänen, seine Partei in denselben zu stärken und zu
vergrößern. Der Zar will die Sache" in der Moldau und Wallachei soweit
bringen, daß ihm innere Manifestationen in diesen Ländern einen Vorwand
zu fortwährender Einmischung in die Angelegenheiten der Pforte geben. Das
Ziel, seine Besitzungen bis in die Türkei zu erweitern, hat die russische Politik
nie aus den Augen verloren und wenn wir anch mit Zuversicht behaupteten,
der europäische Friede werde für diesmal noch nicht unterbrochen werden,
so wollten wir doch keineswegs auch behaupten, daß die jetzt vermiedene Gefahr
es auch für immer bleiben werde. Der Kaiser der Franzosen würde nach
den Aeußerungen der öffentlichen Meinung wol gern jetzt schon seine Adler eine
kriegerische Promenade machen lassen, aber ohne Englands hintergedankenlose
Mitwirkung ist eine solche Unternehmung gradezu unmöglich. Der Kaiser hat


Wie wir von Anfang her vorausgesagt hatten, wird der Krieg für den
Augenblick Europa erspart bleiben. Die Türkei hat, wie aus den officiellen
Erklärungen im englischen Parlamente hervorgeht, Zugeständnisse gemacht, und
Rußland wird nun seinerseits sich zu dem Projecte einer Gegennote bereitwillig
zeigen. Dies ist zu erwarten, da sämmtliche Großmächte in diesem Sinne arbeiten
werden. Die Pforte wird eine Note unterzeichnen, welche ungefähr dem von
Nesselrode vorgeschlagenen Entwürfe gleichkommt und Nußland wird in einer
Gegennote erkläre», daß es die Versicherung der Pforte nie anders als im Sinne
der Aufrechterhaltung des Statnsqno und blos als eine Bürgschaft für die bisher
von Rußland besessenen Rechte betrachten wolle. Hiermit würde für jetzt jede
Schwierigkeit gehoben sein, doch hängt der definitive Friede immer noch von der
späteren Haltung Englands und Frankreichs ab. Rußland hat beim Beginn
seiner Campagne den Fehler begangen, als gewiß anzunehmen, Frankreich werde
sich mit England nicht verständigen können.

Es hat aber mit seinem gewöhnlichen Glücke und mit der ihm eigenen Ge-
schicklichkeit diesen Fehler wieder gut gemacht, indem es durch seinen Einfluß auf die
englische Aristokratie und durch das Einwirken der deutschen Höfe in London die
fast zu Stande gekommene «moins oorcUaw auf eine eQt«zuo spkoials, wie sich
Palmerston in seiner bezeichnenden Weise ausdrückte, zu reduciren gewußt. So
ist es ihm möglich geworden, seinen Willen, die vorläufige Occupation der
Donaufürstenthümer, durchzusetzen, ohne daß dieser kriegerische Act die westlichen
Flotten nach den Dardanellen gelockt hätte. Hierin besteht der Sieg Rußlands
und mit diesem wird es sich wahrscheinlich um so eher begnügen, als es auch
der Hauptsache uach so ziemlich Recht behalten wird. Die weitere Frage ist
nur die, ob die öffentliche Meinung in England dem Ministerium Energie ein¬
flößen wird, mit allen Mitteln seines Einflusses dahin zu streben, daß die Ent¬
setzung der Donaufürstenthümer, bald geschehe. Rußland wird seinerseits gewiß
alles thun, um nicht sobald Abschied von den beiden Provinzen zu nehmen, denn
es liegt in seinen Zukunftsplänen, seine Partei in denselben zu stärken und zu
vergrößern. Der Zar will die Sache» in der Moldau und Wallachei soweit
bringen, daß ihm innere Manifestationen in diesen Ländern einen Vorwand
zu fortwährender Einmischung in die Angelegenheiten der Pforte geben. Das
Ziel, seine Besitzungen bis in die Türkei zu erweitern, hat die russische Politik
nie aus den Augen verloren und wenn wir anch mit Zuversicht behaupteten,
der europäische Friede werde für diesmal noch nicht unterbrochen werden,
so wollten wir doch keineswegs auch behaupten, daß die jetzt vermiedene Gefahr
es auch für immer bleiben werde. Der Kaiser der Franzosen würde nach
den Aeußerungen der öffentlichen Meinung wol gern jetzt schon seine Adler eine
kriegerische Promenade machen lassen, aber ohne Englands hintergedankenlose
Mitwirkung ist eine solche Unternehmung gradezu unmöglich. Der Kaiser hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/191>, abgerufen am 01.07.2024.