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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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beiden Streiter um die Krone des Mittelreichs sind also junge Männer. Der
Kaiser Hieu-fung ist erst zweiundzwanzig Jahre alt. Er ist von mittlerer Gestalt
und wohlgceignet zu allen körperlichen Uebungen. Er ist schmächtig, aber von
ausgebildeten Muskeln. Sein Gesicht, das eine gewisse Entschlossenheit ausdrückt,
wird besonders durch eine hohe Stirn kenngezeichnet und durch eine fast abnorme
Schiefe der Augen. Seine Backenknochen sind gewölbt und stark hervorstehend.
Der Raum zwischen den beiden Augenhöhlen ist breit und flach wie die Stirne
eines Büffelthieres. Hieu-frug ist eigensinnig und gläubig. Inmitten des Luxus
und der Verweichlichung trägt er strenge Sitten zur Schau und ist trotz seiner Jugend
schon verheirathet. Die Kaiserin ist eine tartarische Prinzessin mit großem Fuß,
die nichts von der Zierlichkeit und den schwächlichen Reizen der kleinsüßigen chinesi¬
schen Damen hat. Der Kaiser liebt es, sie in den männlichen Uebungen zu sehen,
die ihrer Natur eigen sind, und sie reitet oft an seiner Seite in den unendlichen
Gärten des Palastes.

Tim-te das Haupt der Jnsurrection, ist dreiundzwanzig Jahre alt, allein Studien
und Nachtwachen haben ihn frühzeitig gealtert. Er ist ernst und traurig, er lebt sehr
zurückgezogen und verkehrt mit seiner Umgebung blos, um Befehle zu ertheilen.
Seine Züge sind sanft, aber von jener Sanftheit, welche gewissen Asiaten
eigen ist und welche weder Festigkeit noch jene Halsstarrigkeit ausschließen, die
man bei gläubigen Seelen oft findet. Seine Gesichtsfarbe ist jene der südlichen
Chinesen, er ist gelb wie Safran. An Gestalt ist er höher denn Hieu-fung, aber
er scheint weniger stark zu sein. Beide haben sich unter dem Einflüsse ihrer Er¬
ziehung gebildet und der moralische Charakter spiegelt sich in ihren Zügen ab. Der
junge Kaiser, schlauk und kühn mit zuversichtlichen Blicke befiehlt mit Hitze, er will,
daß man ihm blind gehorche. Tim-te hat im Gegentheile einen ruhigen Blick,
der in die innersten Falten der menschlichen Seele sich zu versenken scheint. Er
befiehlt mehr durch Ueberredung, als durch directe Befehle. Er hat mit einem
Worte die Haltung eines Mannes, der wohl überlegt hat, ehe er sich jemand
über seine Absichten mittheilt.

Aus dieser wörtlich entlehnten Schilderung läßt sich entnehmen, wie dem
einen alles fehlt, was in seiner gefährlichen Stellung erfordert würde, während
der andere vollkommen ausgestattet erscheint mit allen Eigenschaften, die seine
merkwürdige Rolle erheischt.

Schon die Wahl seines Terrains beweist, daß Tim-te einem innern
Berufe folgte, als er die Chinese" zum nationalen Kampfe gegen die Mandschu
in die Schranken rief. Er wählte die Provinz Knäng-se, deren Gebirge arme
Gegend die bedürftigen Bewohner seinen Einflüsterungen leichter zugänglich
machen muß. Diese Provinz ernährt sich nur durch den Handel mit Zimmt,
da der Lamus minamwc-ilium und IKilium sniratum die einzige productive
Pflanzengattung ist, welche daselbst fortkommt. Tim-tes Absichten haben in


beiden Streiter um die Krone des Mittelreichs sind also junge Männer. Der
Kaiser Hieu-fung ist erst zweiundzwanzig Jahre alt. Er ist von mittlerer Gestalt
und wohlgceignet zu allen körperlichen Uebungen. Er ist schmächtig, aber von
ausgebildeten Muskeln. Sein Gesicht, das eine gewisse Entschlossenheit ausdrückt,
wird besonders durch eine hohe Stirn kenngezeichnet und durch eine fast abnorme
Schiefe der Augen. Seine Backenknochen sind gewölbt und stark hervorstehend.
Der Raum zwischen den beiden Augenhöhlen ist breit und flach wie die Stirne
eines Büffelthieres. Hieu-frug ist eigensinnig und gläubig. Inmitten des Luxus
und der Verweichlichung trägt er strenge Sitten zur Schau und ist trotz seiner Jugend
schon verheirathet. Die Kaiserin ist eine tartarische Prinzessin mit großem Fuß,
die nichts von der Zierlichkeit und den schwächlichen Reizen der kleinsüßigen chinesi¬
schen Damen hat. Der Kaiser liebt es, sie in den männlichen Uebungen zu sehen,
die ihrer Natur eigen sind, und sie reitet oft an seiner Seite in den unendlichen
Gärten des Palastes.

Tim-te das Haupt der Jnsurrection, ist dreiundzwanzig Jahre alt, allein Studien
und Nachtwachen haben ihn frühzeitig gealtert. Er ist ernst und traurig, er lebt sehr
zurückgezogen und verkehrt mit seiner Umgebung blos, um Befehle zu ertheilen.
Seine Züge sind sanft, aber von jener Sanftheit, welche gewissen Asiaten
eigen ist und welche weder Festigkeit noch jene Halsstarrigkeit ausschließen, die
man bei gläubigen Seelen oft findet. Seine Gesichtsfarbe ist jene der südlichen
Chinesen, er ist gelb wie Safran. An Gestalt ist er höher denn Hieu-fung, aber
er scheint weniger stark zu sein. Beide haben sich unter dem Einflüsse ihrer Er¬
ziehung gebildet und der moralische Charakter spiegelt sich in ihren Zügen ab. Der
junge Kaiser, schlauk und kühn mit zuversichtlichen Blicke befiehlt mit Hitze, er will,
daß man ihm blind gehorche. Tim-te hat im Gegentheile einen ruhigen Blick,
der in die innersten Falten der menschlichen Seele sich zu versenken scheint. Er
befiehlt mehr durch Ueberredung, als durch directe Befehle. Er hat mit einem
Worte die Haltung eines Mannes, der wohl überlegt hat, ehe er sich jemand
über seine Absichten mittheilt.

Aus dieser wörtlich entlehnten Schilderung läßt sich entnehmen, wie dem
einen alles fehlt, was in seiner gefährlichen Stellung erfordert würde, während
der andere vollkommen ausgestattet erscheint mit allen Eigenschaften, die seine
merkwürdige Rolle erheischt.

Schon die Wahl seines Terrains beweist, daß Tim-te einem innern
Berufe folgte, als er die Chinese» zum nationalen Kampfe gegen die Mandschu
in die Schranken rief. Er wählte die Provinz Knäng-se, deren Gebirge arme
Gegend die bedürftigen Bewohner seinen Einflüsterungen leichter zugänglich
machen muß. Diese Provinz ernährt sich nur durch den Handel mit Zimmt,
da der Lamus minamwc-ilium und IKilium sniratum die einzige productive
Pflanzengattung ist, welche daselbst fortkommt. Tim-tes Absichten haben in


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[0176] beiden Streiter um die Krone des Mittelreichs sind also junge Männer. Der Kaiser Hieu-fung ist erst zweiundzwanzig Jahre alt. Er ist von mittlerer Gestalt und wohlgceignet zu allen körperlichen Uebungen. Er ist schmächtig, aber von ausgebildeten Muskeln. Sein Gesicht, das eine gewisse Entschlossenheit ausdrückt, wird besonders durch eine hohe Stirn kenngezeichnet und durch eine fast abnorme Schiefe der Augen. Seine Backenknochen sind gewölbt und stark hervorstehend. Der Raum zwischen den beiden Augenhöhlen ist breit und flach wie die Stirne eines Büffelthieres. Hieu-frug ist eigensinnig und gläubig. Inmitten des Luxus und der Verweichlichung trägt er strenge Sitten zur Schau und ist trotz seiner Jugend schon verheirathet. Die Kaiserin ist eine tartarische Prinzessin mit großem Fuß, die nichts von der Zierlichkeit und den schwächlichen Reizen der kleinsüßigen chinesi¬ schen Damen hat. Der Kaiser liebt es, sie in den männlichen Uebungen zu sehen, die ihrer Natur eigen sind, und sie reitet oft an seiner Seite in den unendlichen Gärten des Palastes. Tim-te das Haupt der Jnsurrection, ist dreiundzwanzig Jahre alt, allein Studien und Nachtwachen haben ihn frühzeitig gealtert. Er ist ernst und traurig, er lebt sehr zurückgezogen und verkehrt mit seiner Umgebung blos, um Befehle zu ertheilen. Seine Züge sind sanft, aber von jener Sanftheit, welche gewissen Asiaten eigen ist und welche weder Festigkeit noch jene Halsstarrigkeit ausschließen, die man bei gläubigen Seelen oft findet. Seine Gesichtsfarbe ist jene der südlichen Chinesen, er ist gelb wie Safran. An Gestalt ist er höher denn Hieu-fung, aber er scheint weniger stark zu sein. Beide haben sich unter dem Einflüsse ihrer Er¬ ziehung gebildet und der moralische Charakter spiegelt sich in ihren Zügen ab. Der junge Kaiser, schlauk und kühn mit zuversichtlichen Blicke befiehlt mit Hitze, er will, daß man ihm blind gehorche. Tim-te hat im Gegentheile einen ruhigen Blick, der in die innersten Falten der menschlichen Seele sich zu versenken scheint. Er befiehlt mehr durch Ueberredung, als durch directe Befehle. Er hat mit einem Worte die Haltung eines Mannes, der wohl überlegt hat, ehe er sich jemand über seine Absichten mittheilt. Aus dieser wörtlich entlehnten Schilderung läßt sich entnehmen, wie dem einen alles fehlt, was in seiner gefährlichen Stellung erfordert würde, während der andere vollkommen ausgestattet erscheint mit allen Eigenschaften, die seine merkwürdige Rolle erheischt. Schon die Wahl seines Terrains beweist, daß Tim-te einem innern Berufe folgte, als er die Chinese» zum nationalen Kampfe gegen die Mandschu in die Schranken rief. Er wählte die Provinz Knäng-se, deren Gebirge arme Gegend die bedürftigen Bewohner seinen Einflüsterungen leichter zugänglich machen muß. Diese Provinz ernährt sich nur durch den Handel mit Zimmt, da der Lamus minamwc-ilium und IKilium sniratum die einzige productive Pflanzengattung ist, welche daselbst fortkommt. Tim-tes Absichten haben in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/176>, abgerufen am 23.07.2024.