Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"ewigen" Schnees, dem mag die Wanderung in seinen Lebenserinnerungen ebenso
liegen, wie sie nun in Tschudis Werke vor uns liegt. Er ist nirgends Lehrer,
Professor, aber wir werden überall belehrt, belehrt, indem er unseren Blick ans
nur oberflächlich Gesehenes oder Uebersehencs hinleitet. Wie uns im Leben jene
Menschen so wohlthuend sind, denen man nach tagelangem Zusammensein und
lebhaftestem Gespräch uoch ihre Kunst, ihr Handwerk, ihren Beruf nicht abgemerkt
hat, so folgt man den Darstellungen dieses Buches und fragt sich schließlich
dennoch: ist der Verfasser ein Mann der strengen Disciplin, oder ist er Jäger,
Landwirth, rcceptiver Poet? Während aufblühende Jugend den leichten, klaren,
voraussetzungslosen Mittheilungen mit Begier und Freude bis ans Ende folgen
wird, mag der Lehrer dort belebende und anregende Einführung seiner Wissen¬
schaft lernen, mich der strenge Gelehrte sich an der Natnrfrische und Erscheiuungs-
fülle seiner Wissenschaftsobjecte erfreuen. Was er mit sorgsamen Fleiß und
spürender Emsigkeit durchforschte und zergliederte, das tritt ihm so organisch
hervorgewachsen aus dem Boden seiner Heimat entgegen. Wie weite Gebiete
der Alpen noch unberührt mit unerforschten Geheimnissen der Erkenntniß kom¬
mender Zeiten harren, wie großartig und verheißungsvoll trojzdem die bisherigen
Arbeiten gewesen, -- davon spricht die Einleitung, welche mit flüchtigen Umrissen
die Gesammtalpenwelt mitten in den Culturländern, sowie Zweck und Aufgabe
des Buches zeichnet.

Aus dem Flachlande steigen wir an der Hand des Führers zuerst in die Berg¬
region mit ihren Vorlanden, Thälern und Gipfeln, überschüttet vom höchsten
Reichthum der Naturgaben, uicht eine Aufhäufung starren Gefelses, das dann
sich unter Blütendecken birgt, sondern wie eine hochgehende Welle des Schvpfungs-
übcrflusses, der hier seine Segenspendungen wie seine Verderbensgewalten in
ihrer üppigsten und furchtbarsten Entfaltung zusammendrängt. Aus solcher allge¬
meinen Charakteristik jeuer Gebiete der Alpenwelt, welche die Hohen von dritthalb
bis viertausend Fuß umfassen, entwickelt sich dann das spezielle Leben der Pflanzen¬
welt. Von der Betrachtung der kleinern und unwesentlichen, Erzeugnisse ihres
BergreicheS werden wir durch den Blüteureichthnm der gras- und busch-
artigen mondänen Pflanzen zu den Wäldern geleitet, zu den eigentliche", Be-
fruchtuugs- und Brutstätten deö pflanzlichen wie thierischen Lebens. Und wieder
am einzelnen Stein, am Blatt, am Halm offenbart sich zuerst Dasein und Be¬
wegung der niedern Thierwelt, deren geflügelte Mitglieder den Blick in die
hochstämmige Vegetation, an die Felsmauern, Schluchten und Klüfte über¬
führen und auf deren gefiederte Bewohner lenken. "Die Bedeutung der Vogel-
Welt als Mittelgliedes im Reiche des Thierlebens ist unermeßlich. Die Vögel
sind in ihrer Weise Mitordner und Regulatoren des großen Natnrhaushaltes.
Von den großen Aaöstückcn, die sie hinwegräumen, bis zu den Mücken und
Ameisen, zu den Bohrkäfern und wäldcrverwüstenden Spinnen wehren sie dem


„ewigen" Schnees, dem mag die Wanderung in seinen Lebenserinnerungen ebenso
liegen, wie sie nun in Tschudis Werke vor uns liegt. Er ist nirgends Lehrer,
Professor, aber wir werden überall belehrt, belehrt, indem er unseren Blick ans
nur oberflächlich Gesehenes oder Uebersehencs hinleitet. Wie uns im Leben jene
Menschen so wohlthuend sind, denen man nach tagelangem Zusammensein und
lebhaftestem Gespräch uoch ihre Kunst, ihr Handwerk, ihren Beruf nicht abgemerkt
hat, so folgt man den Darstellungen dieses Buches und fragt sich schließlich
dennoch: ist der Verfasser ein Mann der strengen Disciplin, oder ist er Jäger,
Landwirth, rcceptiver Poet? Während aufblühende Jugend den leichten, klaren,
voraussetzungslosen Mittheilungen mit Begier und Freude bis ans Ende folgen
wird, mag der Lehrer dort belebende und anregende Einführung seiner Wissen¬
schaft lernen, mich der strenge Gelehrte sich an der Natnrfrische und Erscheiuungs-
fülle seiner Wissenschaftsobjecte erfreuen. Was er mit sorgsamen Fleiß und
spürender Emsigkeit durchforschte und zergliederte, das tritt ihm so organisch
hervorgewachsen aus dem Boden seiner Heimat entgegen. Wie weite Gebiete
der Alpen noch unberührt mit unerforschten Geheimnissen der Erkenntniß kom¬
mender Zeiten harren, wie großartig und verheißungsvoll trojzdem die bisherigen
Arbeiten gewesen, — davon spricht die Einleitung, welche mit flüchtigen Umrissen
die Gesammtalpenwelt mitten in den Culturländern, sowie Zweck und Aufgabe
des Buches zeichnet.

Aus dem Flachlande steigen wir an der Hand des Führers zuerst in die Berg¬
region mit ihren Vorlanden, Thälern und Gipfeln, überschüttet vom höchsten
Reichthum der Naturgaben, uicht eine Aufhäufung starren Gefelses, das dann
sich unter Blütendecken birgt, sondern wie eine hochgehende Welle des Schvpfungs-
übcrflusses, der hier seine Segenspendungen wie seine Verderbensgewalten in
ihrer üppigsten und furchtbarsten Entfaltung zusammendrängt. Aus solcher allge¬
meinen Charakteristik jeuer Gebiete der Alpenwelt, welche die Hohen von dritthalb
bis viertausend Fuß umfassen, entwickelt sich dann das spezielle Leben der Pflanzen¬
welt. Von der Betrachtung der kleinern und unwesentlichen, Erzeugnisse ihres
BergreicheS werden wir durch den Blüteureichthnm der gras- und busch-
artigen mondänen Pflanzen zu den Wäldern geleitet, zu den eigentliche», Be-
fruchtuugs- und Brutstätten deö pflanzlichen wie thierischen Lebens. Und wieder
am einzelnen Stein, am Blatt, am Halm offenbart sich zuerst Dasein und Be¬
wegung der niedern Thierwelt, deren geflügelte Mitglieder den Blick in die
hochstämmige Vegetation, an die Felsmauern, Schluchten und Klüfte über¬
führen und auf deren gefiederte Bewohner lenken. „Die Bedeutung der Vogel-
Welt als Mittelgliedes im Reiche des Thierlebens ist unermeßlich. Die Vögel
sind in ihrer Weise Mitordner und Regulatoren des großen Natnrhaushaltes.
Von den großen Aaöstückcn, die sie hinwegräumen, bis zu den Mücken und
Ameisen, zu den Bohrkäfern und wäldcrverwüstenden Spinnen wehren sie dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96321"/>
          <p xml:id="ID_465" prev="#ID_464"> &#x201E;ewigen" Schnees, dem mag die Wanderung in seinen Lebenserinnerungen ebenso<lb/>
liegen, wie sie nun in Tschudis Werke vor uns liegt. Er ist nirgends Lehrer,<lb/>
Professor, aber wir werden überall belehrt, belehrt, indem er unseren Blick ans<lb/>
nur oberflächlich Gesehenes oder Uebersehencs hinleitet. Wie uns im Leben jene<lb/>
Menschen so wohlthuend sind, denen man nach tagelangem Zusammensein und<lb/>
lebhaftestem Gespräch uoch ihre Kunst, ihr Handwerk, ihren Beruf nicht abgemerkt<lb/>
hat, so folgt man den Darstellungen dieses Buches und fragt sich schließlich<lb/>
dennoch: ist der Verfasser ein Mann der strengen Disciplin, oder ist er Jäger,<lb/>
Landwirth, rcceptiver Poet? Während aufblühende Jugend den leichten, klaren,<lb/>
voraussetzungslosen Mittheilungen mit Begier und Freude bis ans Ende folgen<lb/>
wird, mag der Lehrer dort belebende und anregende Einführung seiner Wissen¬<lb/>
schaft lernen, mich der strenge Gelehrte sich an der Natnrfrische und Erscheiuungs-<lb/>
fülle seiner Wissenschaftsobjecte erfreuen. Was er mit sorgsamen Fleiß und<lb/>
spürender Emsigkeit durchforschte und zergliederte, das tritt ihm so organisch<lb/>
hervorgewachsen aus dem Boden seiner Heimat entgegen. Wie weite Gebiete<lb/>
der Alpen noch unberührt mit unerforschten Geheimnissen der Erkenntniß kom¬<lb/>
mender Zeiten harren, wie großartig und verheißungsvoll trojzdem die bisherigen<lb/>
Arbeiten gewesen, &#x2014; davon spricht die Einleitung, welche mit flüchtigen Umrissen<lb/>
die Gesammtalpenwelt mitten in den Culturländern, sowie Zweck und Aufgabe<lb/>
des Buches zeichnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_466" next="#ID_467"> Aus dem Flachlande steigen wir an der Hand des Führers zuerst in die Berg¬<lb/>
region mit ihren Vorlanden, Thälern und Gipfeln, überschüttet vom höchsten<lb/>
Reichthum der Naturgaben, uicht eine Aufhäufung starren Gefelses, das dann<lb/>
sich unter Blütendecken birgt, sondern wie eine hochgehende Welle des Schvpfungs-<lb/>
übcrflusses, der hier seine Segenspendungen wie seine Verderbensgewalten in<lb/>
ihrer üppigsten und furchtbarsten Entfaltung zusammendrängt. Aus solcher allge¬<lb/>
meinen Charakteristik jeuer Gebiete der Alpenwelt, welche die Hohen von dritthalb<lb/>
bis viertausend Fuß umfassen, entwickelt sich dann das spezielle Leben der Pflanzen¬<lb/>
welt. Von der Betrachtung der kleinern und unwesentlichen, Erzeugnisse ihres<lb/>
BergreicheS werden wir durch den Blüteureichthnm der gras- und busch-<lb/>
artigen mondänen Pflanzen zu den Wäldern geleitet, zu den eigentliche», Be-<lb/>
fruchtuugs- und Brutstätten deö pflanzlichen wie thierischen Lebens. Und wieder<lb/>
am einzelnen Stein, am Blatt, am Halm offenbart sich zuerst Dasein und Be¬<lb/>
wegung der niedern Thierwelt, deren geflügelte Mitglieder den Blick in die<lb/>
hochstämmige Vegetation, an die Felsmauern, Schluchten und Klüfte über¬<lb/>
führen und auf deren gefiederte Bewohner lenken. &#x201E;Die Bedeutung der Vogel-<lb/>
Welt als Mittelgliedes im Reiche des Thierlebens ist unermeßlich. Die Vögel<lb/>
sind in ihrer Weise Mitordner und Regulatoren des großen Natnrhaushaltes.<lb/>
Von den großen Aaöstückcn, die sie hinwegräumen, bis zu den Mücken und<lb/>
Ameisen, zu den Bohrkäfern und wäldcrverwüstenden Spinnen wehren sie dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] „ewigen" Schnees, dem mag die Wanderung in seinen Lebenserinnerungen ebenso liegen, wie sie nun in Tschudis Werke vor uns liegt. Er ist nirgends Lehrer, Professor, aber wir werden überall belehrt, belehrt, indem er unseren Blick ans nur oberflächlich Gesehenes oder Uebersehencs hinleitet. Wie uns im Leben jene Menschen so wohlthuend sind, denen man nach tagelangem Zusammensein und lebhaftestem Gespräch uoch ihre Kunst, ihr Handwerk, ihren Beruf nicht abgemerkt hat, so folgt man den Darstellungen dieses Buches und fragt sich schließlich dennoch: ist der Verfasser ein Mann der strengen Disciplin, oder ist er Jäger, Landwirth, rcceptiver Poet? Während aufblühende Jugend den leichten, klaren, voraussetzungslosen Mittheilungen mit Begier und Freude bis ans Ende folgen wird, mag der Lehrer dort belebende und anregende Einführung seiner Wissen¬ schaft lernen, mich der strenge Gelehrte sich an der Natnrfrische und Erscheiuungs- fülle seiner Wissenschaftsobjecte erfreuen. Was er mit sorgsamen Fleiß und spürender Emsigkeit durchforschte und zergliederte, das tritt ihm so organisch hervorgewachsen aus dem Boden seiner Heimat entgegen. Wie weite Gebiete der Alpen noch unberührt mit unerforschten Geheimnissen der Erkenntniß kom¬ mender Zeiten harren, wie großartig und verheißungsvoll trojzdem die bisherigen Arbeiten gewesen, — davon spricht die Einleitung, welche mit flüchtigen Umrissen die Gesammtalpenwelt mitten in den Culturländern, sowie Zweck und Aufgabe des Buches zeichnet. Aus dem Flachlande steigen wir an der Hand des Führers zuerst in die Berg¬ region mit ihren Vorlanden, Thälern und Gipfeln, überschüttet vom höchsten Reichthum der Naturgaben, uicht eine Aufhäufung starren Gefelses, das dann sich unter Blütendecken birgt, sondern wie eine hochgehende Welle des Schvpfungs- übcrflusses, der hier seine Segenspendungen wie seine Verderbensgewalten in ihrer üppigsten und furchtbarsten Entfaltung zusammendrängt. Aus solcher allge¬ meinen Charakteristik jeuer Gebiete der Alpenwelt, welche die Hohen von dritthalb bis viertausend Fuß umfassen, entwickelt sich dann das spezielle Leben der Pflanzen¬ welt. Von der Betrachtung der kleinern und unwesentlichen, Erzeugnisse ihres BergreicheS werden wir durch den Blüteureichthnm der gras- und busch- artigen mondänen Pflanzen zu den Wäldern geleitet, zu den eigentliche», Be- fruchtuugs- und Brutstätten deö pflanzlichen wie thierischen Lebens. Und wieder am einzelnen Stein, am Blatt, am Halm offenbart sich zuerst Dasein und Be¬ wegung der niedern Thierwelt, deren geflügelte Mitglieder den Blick in die hochstämmige Vegetation, an die Felsmauern, Schluchten und Klüfte über¬ führen und auf deren gefiederte Bewohner lenken. „Die Bedeutung der Vogel- Welt als Mittelgliedes im Reiche des Thierlebens ist unermeßlich. Die Vögel sind in ihrer Weise Mitordner und Regulatoren des großen Natnrhaushaltes. Von den großen Aaöstückcn, die sie hinwegräumen, bis zu den Mücken und Ameisen, zu den Bohrkäfern und wäldcrverwüstenden Spinnen wehren sie dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/146>, abgerufen am 01.07.2024.