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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Gemälden zusammengefügt, von denen jedes einen gewaltigen Eindruck auf unsre
Phantasie macht, und er hat diese Bilder durch die angeborne Harmonie seines
Geistes und dnrch die im höchsten Sinn des Worts künstlerische Stimmung und
Färbung zu einem Ganzen abgerundet. Mehr als dieses materielle Verdienst soll
man in dieser Gattung der Poesie nicht suchen, wenn man nur noch das zweite
in Anschlag bringt, was bei Walter Scott stets hoch angerechnet werden muß,
daß er nämlich diese glänzenden sinnlichen Mittel zu einem nationalen Zweck
benutzt, zum Festhalten einer großen Vergangenheit. Bedeutende Gedanken sind
nicht darin, tiefe psychische Probleme werden nicht in Frage gezogen.

Wenn wir wiederholt daraus hingewiesen haben, diese Gattung der Poesie
anzubauen, so geschieht es vorzugsweise darum, weil wir zum Fortschritt unsrer
Poesie eine Reinhaltung der Gattungen als ein unerläßliches Mittel betrachten.
In vielen unsrer Dichter ist offenbar ein descriptivcs Talent vorhanden, aber sie
wenden es am unrechten Orte an, und wissen ihm keine Gestalt zu geben. Es
kommt wol vor, daß sie eine landschaftliche Schilderung in Monologen anbringen,
wo sie allerdings am wenigsten hingehört, oder daß sie auch ein lyrisches Gedicht
damit ausfüllen und in der Wucht des Materials die Empfindung, die doch in
der Lyrik allem berechtigt ist, vollständig ersticken. Im romantischen Epos würden
sie ihrem Talent und ihrer Neigung einen hinlänglichen Spielraum geben können,
wenn es ihnen gelingt, für ihre Farben und Stimmungen einen angemessenen
Nahmen, eine deutliche, leicht übersichtliche interessante Handlung und einen historischen
Vorwurf zu finden, der kräftige sinnliche Farben und kühne Strichcuud Linien erträgt.

In deu beideu Dichtungen, die wir in der Ueberschrift angeführt haben, ist das
nicht ganz gelungen. Das erste der beiden Gedichte spielt in unsern eigenen
revolutionären' Verhältnissen, und beschäftigt sich daher -mit sehr complicirten
Voraussetzungen und psychologischen Problemen; für solche wäre die Form des
Romans geeigneter. Es gelingt dem Dichter nicht, alle Reminiscenzen zu ver¬
meide"; so ist z. R. die an sich gar uicht schlechte Schilderung des polnischen
Demagogen p. 71, eine sehr unmittelbare Reminiscenz aus "Lara"; der Stil ist
häufig incorrect, die Handlung ist uicht klar und durchsichtig gruppirt, sie ist
bisweilen sogar 'gradezu unverständlich. Die Personen und Ereignisse haben
keine deutlich ausgesprochene Physiognomie, und es wird überhaupt mehr reflectirt,
als gehandelt. Trotz dieser Fehler zeigt sich in dem Gedicht ein schönes,
descriptives Talent, und läßt für die Zukunft günstiges erwarten. -- Das zweite
Gedicht ist auf einem viel tieferen Standpunkt der Bildung geschrieben, und auch
die Kraft der Schilderung ist geringer, dagegen zeigt die Dichterin einen lebhaften
Jnstinct für das Wesentliche; die Hauptzüge der Handlung treten deutlich hervor,
und es kostet uus keine Anstrengung, ihr zu folgen. Das ist aber bei einer
Dichtungsart, die der Phantasie freien Spielraum verstatten soll, unumgänglich
nöthig, wen" sie uicht in leere Traumbilder verschwinden soll.




Gemälden zusammengefügt, von denen jedes einen gewaltigen Eindruck auf unsre
Phantasie macht, und er hat diese Bilder durch die angeborne Harmonie seines
Geistes und dnrch die im höchsten Sinn des Worts künstlerische Stimmung und
Färbung zu einem Ganzen abgerundet. Mehr als dieses materielle Verdienst soll
man in dieser Gattung der Poesie nicht suchen, wenn man nur noch das zweite
in Anschlag bringt, was bei Walter Scott stets hoch angerechnet werden muß,
daß er nämlich diese glänzenden sinnlichen Mittel zu einem nationalen Zweck
benutzt, zum Festhalten einer großen Vergangenheit. Bedeutende Gedanken sind
nicht darin, tiefe psychische Probleme werden nicht in Frage gezogen.

Wenn wir wiederholt daraus hingewiesen haben, diese Gattung der Poesie
anzubauen, so geschieht es vorzugsweise darum, weil wir zum Fortschritt unsrer
Poesie eine Reinhaltung der Gattungen als ein unerläßliches Mittel betrachten.
In vielen unsrer Dichter ist offenbar ein descriptivcs Talent vorhanden, aber sie
wenden es am unrechten Orte an, und wissen ihm keine Gestalt zu geben. Es
kommt wol vor, daß sie eine landschaftliche Schilderung in Monologen anbringen,
wo sie allerdings am wenigsten hingehört, oder daß sie auch ein lyrisches Gedicht
damit ausfüllen und in der Wucht des Materials die Empfindung, die doch in
der Lyrik allem berechtigt ist, vollständig ersticken. Im romantischen Epos würden
sie ihrem Talent und ihrer Neigung einen hinlänglichen Spielraum geben können,
wenn es ihnen gelingt, für ihre Farben und Stimmungen einen angemessenen
Nahmen, eine deutliche, leicht übersichtliche interessante Handlung und einen historischen
Vorwurf zu finden, der kräftige sinnliche Farben und kühne Strichcuud Linien erträgt.

In deu beideu Dichtungen, die wir in der Ueberschrift angeführt haben, ist das
nicht ganz gelungen. Das erste der beiden Gedichte spielt in unsern eigenen
revolutionären' Verhältnissen, und beschäftigt sich daher -mit sehr complicirten
Voraussetzungen und psychologischen Problemen; für solche wäre die Form des
Romans geeigneter. Es gelingt dem Dichter nicht, alle Reminiscenzen zu ver¬
meide»; so ist z. R. die an sich gar uicht schlechte Schilderung des polnischen
Demagogen p. 71, eine sehr unmittelbare Reminiscenz aus „Lara"; der Stil ist
häufig incorrect, die Handlung ist uicht klar und durchsichtig gruppirt, sie ist
bisweilen sogar 'gradezu unverständlich. Die Personen und Ereignisse haben
keine deutlich ausgesprochene Physiognomie, und es wird überhaupt mehr reflectirt,
als gehandelt. Trotz dieser Fehler zeigt sich in dem Gedicht ein schönes,
descriptives Talent, und läßt für die Zukunft günstiges erwarten. — Das zweite
Gedicht ist auf einem viel tieferen Standpunkt der Bildung geschrieben, und auch
die Kraft der Schilderung ist geringer, dagegen zeigt die Dichterin einen lebhaften
Jnstinct für das Wesentliche; die Hauptzüge der Handlung treten deutlich hervor,
und es kostet uus keine Anstrengung, ihr zu folgen. Das ist aber bei einer
Dichtungsart, die der Phantasie freien Spielraum verstatten soll, unumgänglich
nöthig, wen« sie uicht in leere Traumbilder verschwinden soll.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/144>, abgerufen am 01.07.2024.