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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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schwülen Temperatur den Saal mit der Erwartung, ihn nicht ganz erschöpft zu
verlassen und, soweit das Programm der Sitzung bekannt war, während der
Dauer derselben in steter Spannung erhallen zu werden. Und diese Hoffnung
wurde vollständig erfüllt; vielleicht, wie sich ergeben wird, vom specifisch-akademi¬
schen Standpunkt aus etwas zu vollständig. Ein dramatischer Schriftsteller hätte
seinen fünf Acten nicht geschickter zu stets sich steigernder Wirkung verhelfen
können, als hier doch wesentlich der Zufall einen solchen Klimax hervorgebracht hatte.

Den Reigen eröffnet Ehrenberg als Vorsitzender Secretär. Leibnitz ist so
vielseitig und großartig, daß es nicht eben schwierig ist, trotz der alljährlich sich
wiederholende" Feier ihm immer wieder eine neue Seite abzugewinnen. Sehr
geschickt gab der Redner diesmal im wesentlichen eine Uebersicht der verschie¬
denen Betrachtungen, die seit einer Reihe von Jahren an dieser Stelle über den
großen Gründer der Akademie angestellt waren: zum Schluß verweilte er länger
bei Leibnitz' auch schon mehrfach besprochener Ansicht über die Akademien, in deuen
derselbe Asyle für die Wissenschaften gründen wollte; er wies an dem Aufschwünge,
den die Wissenschaften genommen, im einzelnen nach, -- und hierbei ergab sich
ungesucht die Gelegenheit, Buchs Andenken zu feiern -- daß sie jetzt der Asyle
nicht mehr bedürften, sondern daß die Akademien vielmehr als Repräsentanten
der Wissenschaft für eine bestimmte Zeit und für bestimmte locale Verhältnisse
erschienen. Trotz dieses Aufschwungs, dieser Ausbreitung sei aber nicht zu furchten,
daß man den Umfang der Forschungen nicht mehr zu übersehen und zu be¬
wältigen im Stande sei: wie man große Actenvvlumiua schnell durchlaufe, um
das Wesentliche daraus auszuziehen und auszunutzen, so müsse man auch diese
Methode auf die wissenschaftlichen Arbeiten übertragen und immer werde es
große Geister geben, welche im Stande seien, die Summe aller bisherigen
Leistungen in klarer und lichtvoller Gestalt, als "Kosmos", zusammenzufassen.--
Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß die kleine Rede geistreich coucipirt und
fein durchgearbeitet war, sie war auch nicht, wie es sonst wol dem berühmten
Ergrüuder des kleinsten Lebens passirt, mit positivem Material übermäßig voll¬
gestopft -- aber den rechten Effect werden die Worte Ehrenbergs erst im
Monatsbericht machen, wo man sie mit Muße lesen kann, ungestört durch die
Monotonie des Vertrags, den sächsischen Dialekt, das hastige Lesen und das
häufige Verlesen.

Da ist sein College Trendelenburg ein ganz andrer Mann: alles, was er
thut und sagt, ist nicht ohne, wenn auch mitunter etwas steifen Anstand und ohne
eine gewisse Würde, wie sie an dieser Stelle sich wol geziemt, und besser scheint
es uns, als bei manchen andern Gelegenheiten, wo sie der Wirkung der wahrhaft
sittlichen und edeln Persönlichkeit Eintrag thut. Ihm ist heute das Amt des
Gerichts über die Todten und des Verbrennens ihrer Leichen zugefallen. Eine
nationalökonomische Aufgabe, im wesentlichen eine Geschichte der Theorie über


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schwülen Temperatur den Saal mit der Erwartung, ihn nicht ganz erschöpft zu
verlassen und, soweit das Programm der Sitzung bekannt war, während der
Dauer derselben in steter Spannung erhallen zu werden. Und diese Hoffnung
wurde vollständig erfüllt; vielleicht, wie sich ergeben wird, vom specifisch-akademi¬
schen Standpunkt aus etwas zu vollständig. Ein dramatischer Schriftsteller hätte
seinen fünf Acten nicht geschickter zu stets sich steigernder Wirkung verhelfen
können, als hier doch wesentlich der Zufall einen solchen Klimax hervorgebracht hatte.

Den Reigen eröffnet Ehrenberg als Vorsitzender Secretär. Leibnitz ist so
vielseitig und großartig, daß es nicht eben schwierig ist, trotz der alljährlich sich
wiederholende» Feier ihm immer wieder eine neue Seite abzugewinnen. Sehr
geschickt gab der Redner diesmal im wesentlichen eine Uebersicht der verschie¬
denen Betrachtungen, die seit einer Reihe von Jahren an dieser Stelle über den
großen Gründer der Akademie angestellt waren: zum Schluß verweilte er länger
bei Leibnitz' auch schon mehrfach besprochener Ansicht über die Akademien, in deuen
derselbe Asyle für die Wissenschaften gründen wollte; er wies an dem Aufschwünge,
den die Wissenschaften genommen, im einzelnen nach, — und hierbei ergab sich
ungesucht die Gelegenheit, Buchs Andenken zu feiern — daß sie jetzt der Asyle
nicht mehr bedürften, sondern daß die Akademien vielmehr als Repräsentanten
der Wissenschaft für eine bestimmte Zeit und für bestimmte locale Verhältnisse
erschienen. Trotz dieses Aufschwungs, dieser Ausbreitung sei aber nicht zu furchten,
daß man den Umfang der Forschungen nicht mehr zu übersehen und zu be¬
wältigen im Stande sei: wie man große Actenvvlumiua schnell durchlaufe, um
das Wesentliche daraus auszuziehen und auszunutzen, so müsse man auch diese
Methode auf die wissenschaftlichen Arbeiten übertragen und immer werde es
große Geister geben, welche im Stande seien, die Summe aller bisherigen
Leistungen in klarer und lichtvoller Gestalt, als „Kosmos", zusammenzufassen.—
Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß die kleine Rede geistreich coucipirt und
fein durchgearbeitet war, sie war auch nicht, wie es sonst wol dem berühmten
Ergrüuder des kleinsten Lebens passirt, mit positivem Material übermäßig voll¬
gestopft — aber den rechten Effect werden die Worte Ehrenbergs erst im
Monatsbericht machen, wo man sie mit Muße lesen kann, ungestört durch die
Monotonie des Vertrags, den sächsischen Dialekt, das hastige Lesen und das
häufige Verlesen.

Da ist sein College Trendelenburg ein ganz andrer Mann: alles, was er
thut und sagt, ist nicht ohne, wenn auch mitunter etwas steifen Anstand und ohne
eine gewisse Würde, wie sie an dieser Stelle sich wol geziemt, und besser scheint
es uns, als bei manchen andern Gelegenheiten, wo sie der Wirkung der wahrhaft
sittlichen und edeln Persönlichkeit Eintrag thut. Ihm ist heute das Amt des
Gerichts über die Todten und des Verbrennens ihrer Leichen zugefallen. Eine
nationalökonomische Aufgabe, im wesentlichen eine Geschichte der Theorie über


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[0131] schwülen Temperatur den Saal mit der Erwartung, ihn nicht ganz erschöpft zu verlassen und, soweit das Programm der Sitzung bekannt war, während der Dauer derselben in steter Spannung erhallen zu werden. Und diese Hoffnung wurde vollständig erfüllt; vielleicht, wie sich ergeben wird, vom specifisch-akademi¬ schen Standpunkt aus etwas zu vollständig. Ein dramatischer Schriftsteller hätte seinen fünf Acten nicht geschickter zu stets sich steigernder Wirkung verhelfen können, als hier doch wesentlich der Zufall einen solchen Klimax hervorgebracht hatte. Den Reigen eröffnet Ehrenberg als Vorsitzender Secretär. Leibnitz ist so vielseitig und großartig, daß es nicht eben schwierig ist, trotz der alljährlich sich wiederholende» Feier ihm immer wieder eine neue Seite abzugewinnen. Sehr geschickt gab der Redner diesmal im wesentlichen eine Uebersicht der verschie¬ denen Betrachtungen, die seit einer Reihe von Jahren an dieser Stelle über den großen Gründer der Akademie angestellt waren: zum Schluß verweilte er länger bei Leibnitz' auch schon mehrfach besprochener Ansicht über die Akademien, in deuen derselbe Asyle für die Wissenschaften gründen wollte; er wies an dem Aufschwünge, den die Wissenschaften genommen, im einzelnen nach, — und hierbei ergab sich ungesucht die Gelegenheit, Buchs Andenken zu feiern — daß sie jetzt der Asyle nicht mehr bedürften, sondern daß die Akademien vielmehr als Repräsentanten der Wissenschaft für eine bestimmte Zeit und für bestimmte locale Verhältnisse erschienen. Trotz dieses Aufschwungs, dieser Ausbreitung sei aber nicht zu furchten, daß man den Umfang der Forschungen nicht mehr zu übersehen und zu be¬ wältigen im Stande sei: wie man große Actenvvlumiua schnell durchlaufe, um das Wesentliche daraus auszuziehen und auszunutzen, so müsse man auch diese Methode auf die wissenschaftlichen Arbeiten übertragen und immer werde es große Geister geben, welche im Stande seien, die Summe aller bisherigen Leistungen in klarer und lichtvoller Gestalt, als „Kosmos", zusammenzufassen.— Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß die kleine Rede geistreich coucipirt und fein durchgearbeitet war, sie war auch nicht, wie es sonst wol dem berühmten Ergrüuder des kleinsten Lebens passirt, mit positivem Material übermäßig voll¬ gestopft — aber den rechten Effect werden die Worte Ehrenbergs erst im Monatsbericht machen, wo man sie mit Muße lesen kann, ungestört durch die Monotonie des Vertrags, den sächsischen Dialekt, das hastige Lesen und das häufige Verlesen. Da ist sein College Trendelenburg ein ganz andrer Mann: alles, was er thut und sagt, ist nicht ohne, wenn auch mitunter etwas steifen Anstand und ohne eine gewisse Würde, wie sie an dieser Stelle sich wol geziemt, und besser scheint es uns, als bei manchen andern Gelegenheiten, wo sie der Wirkung der wahrhaft sittlichen und edeln Persönlichkeit Eintrag thut. Ihm ist heute das Amt des Gerichts über die Todten und des Verbrennens ihrer Leichen zugefallen. Eine nationalökonomische Aufgabe, im wesentlichen eine Geschichte der Theorie über 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/131>, abgerufen am 03.07.2024.