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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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christlichen Unterthanen in jeder Weise Gerechtigkeit und Schutz angedeihen zu
lassen. Der Gegensatz ist vielmehr zwischen den Rechtgläubigen und den Ketzern,
d. h. den Lateinern und den Römisch-Katholischen, die im Orient nur als zweite
christliche Kirche geduldet werden sollen. Unter diesen Umständen dürste von einer
Solidarität der christlichen Interessen in Europa wol keine Rede sein, deun nicht
diese sind es, die von der Türkei beeinträchtigt werden, sondern nur das Ueber¬
gewicht der russischen Kirche vor der abendländischen.

Die ernste Bedeutung jenes Manifestes wird noch dadurch erhöht, daß un¬
mittelbar vorher Reschid Pascha in seinem Antwortschreiben erklärt hat, die hohe
Pforte werde den Einmarsch in die Donaufürstenthümer als eine Kriegserklärung
ansehen, d. h. mit anderen Worten, sie werde die Dardanellen den Engländern
und Franzosen öffnen, die bereits ihres Winkes gewärtig sind.

Wenn die Sachen erst so weit gekommen sein werden, so ist schwer zu sagen,
welche Art von Nachgiebigkeit dem Kampf ein Ende machen soll. Rußland hat
auf das bestimmteste erklärt, es werde keine weitere Unterhandlung zulassen, als
eine unbedingte Unterwerfung der Pforte unter seine Bedingungen. Der Wiener
Llohd bringt darüber einen verzweifelt naiven Artikel. El meint, Rußland sei
im Unrecht und fühle das auch, aber grade dieses Gefühl sei eine Kränkung
für einen mächtigen Staat und könne nur dadurch wieder gut gemacht werden,
daß der schwächere Staat, die Türkei, wegen des ihr angethanen Unrechts um
Verzeihung bäte.

Das ist eine politische Logik, die vielleicht in Gegenden, die außerhalb alles
Verkehrs liegen, anwendbar sein mag, aber nicht der Türkei gegenüber, die we¬
nigstens vorläufig vor der Herrschaft Rußlands zu schützen, im Interesse aller euro¬
päischen Mächte liegt. Wenn also auf der einen Seite bei dem Charakter des
Kaisers von Rußland an ein Zurückgehen von seinen Forderungen nicht gedacht
werden kann, so ist auf der andern Seite nicht einzusehen, was für ein neues
Motiv eintreten soll, die Türkei jetzt zu einer Nachgiebigkeit zu bestimmen, die sie
früher abgelehnt hat. Daß es Rußland bei bloßen Drohungen nicht bewenden
lassen würde, hat sie schon früher gewußt, sie hat also offenbar über diese
Eventualität mit den Botschaftern Englands und Frankreichs Rücksprache ge¬
nommen.

So scheint es denn, daß auch weitere Unterhandlungen, wenn diese über¬
haupt noch stattfinden sollten, zu einer Beendigung der Streitigkeiten ohne den
Eintritt eines wirklichen Kampfes nicht führen werden. Was das Ergebniß
dieses ungleichen Kampfes sein soll, das entzieht sich aller Berechnung. Ob die
türkische Armee auch mit den nicht sehr bedeutenden Streitkräften, welche die
englische und französische Flotte ihr zuführen, dem russischen Angriff.Widerstand
leisten kann, ist sehr zweifelhaft, und ebenso ist es sehr die Frage, ob nicht bereits
von russischer Seite ein Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen die Türken -


christlichen Unterthanen in jeder Weise Gerechtigkeit und Schutz angedeihen zu
lassen. Der Gegensatz ist vielmehr zwischen den Rechtgläubigen und den Ketzern,
d. h. den Lateinern und den Römisch-Katholischen, die im Orient nur als zweite
christliche Kirche geduldet werden sollen. Unter diesen Umständen dürste von einer
Solidarität der christlichen Interessen in Europa wol keine Rede sein, deun nicht
diese sind es, die von der Türkei beeinträchtigt werden, sondern nur das Ueber¬
gewicht der russischen Kirche vor der abendländischen.

Die ernste Bedeutung jenes Manifestes wird noch dadurch erhöht, daß un¬
mittelbar vorher Reschid Pascha in seinem Antwortschreiben erklärt hat, die hohe
Pforte werde den Einmarsch in die Donaufürstenthümer als eine Kriegserklärung
ansehen, d. h. mit anderen Worten, sie werde die Dardanellen den Engländern
und Franzosen öffnen, die bereits ihres Winkes gewärtig sind.

Wenn die Sachen erst so weit gekommen sein werden, so ist schwer zu sagen,
welche Art von Nachgiebigkeit dem Kampf ein Ende machen soll. Rußland hat
auf das bestimmteste erklärt, es werde keine weitere Unterhandlung zulassen, als
eine unbedingte Unterwerfung der Pforte unter seine Bedingungen. Der Wiener
Llohd bringt darüber einen verzweifelt naiven Artikel. El meint, Rußland sei
im Unrecht und fühle das auch, aber grade dieses Gefühl sei eine Kränkung
für einen mächtigen Staat und könne nur dadurch wieder gut gemacht werden,
daß der schwächere Staat, die Türkei, wegen des ihr angethanen Unrechts um
Verzeihung bäte.

Das ist eine politische Logik, die vielleicht in Gegenden, die außerhalb alles
Verkehrs liegen, anwendbar sein mag, aber nicht der Türkei gegenüber, die we¬
nigstens vorläufig vor der Herrschaft Rußlands zu schützen, im Interesse aller euro¬
päischen Mächte liegt. Wenn also auf der einen Seite bei dem Charakter des
Kaisers von Rußland an ein Zurückgehen von seinen Forderungen nicht gedacht
werden kann, so ist auf der andern Seite nicht einzusehen, was für ein neues
Motiv eintreten soll, die Türkei jetzt zu einer Nachgiebigkeit zu bestimmen, die sie
früher abgelehnt hat. Daß es Rußland bei bloßen Drohungen nicht bewenden
lassen würde, hat sie schon früher gewußt, sie hat also offenbar über diese
Eventualität mit den Botschaftern Englands und Frankreichs Rücksprache ge¬
nommen.

So scheint es denn, daß auch weitere Unterhandlungen, wenn diese über¬
haupt noch stattfinden sollten, zu einer Beendigung der Streitigkeiten ohne den
Eintritt eines wirklichen Kampfes nicht führen werden. Was das Ergebniß
dieses ungleichen Kampfes sein soll, das entzieht sich aller Berechnung. Ob die
türkische Armee auch mit den nicht sehr bedeutenden Streitkräften, welche die
englische und französische Flotte ihr zuführen, dem russischen Angriff.Widerstand
leisten kann, ist sehr zweifelhaft, und ebenso ist es sehr die Frage, ob nicht bereits
von russischer Seite ein Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen die Türken -


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[0116] christlichen Unterthanen in jeder Weise Gerechtigkeit und Schutz angedeihen zu lassen. Der Gegensatz ist vielmehr zwischen den Rechtgläubigen und den Ketzern, d. h. den Lateinern und den Römisch-Katholischen, die im Orient nur als zweite christliche Kirche geduldet werden sollen. Unter diesen Umständen dürste von einer Solidarität der christlichen Interessen in Europa wol keine Rede sein, deun nicht diese sind es, die von der Türkei beeinträchtigt werden, sondern nur das Ueber¬ gewicht der russischen Kirche vor der abendländischen. Die ernste Bedeutung jenes Manifestes wird noch dadurch erhöht, daß un¬ mittelbar vorher Reschid Pascha in seinem Antwortschreiben erklärt hat, die hohe Pforte werde den Einmarsch in die Donaufürstenthümer als eine Kriegserklärung ansehen, d. h. mit anderen Worten, sie werde die Dardanellen den Engländern und Franzosen öffnen, die bereits ihres Winkes gewärtig sind. Wenn die Sachen erst so weit gekommen sein werden, so ist schwer zu sagen, welche Art von Nachgiebigkeit dem Kampf ein Ende machen soll. Rußland hat auf das bestimmteste erklärt, es werde keine weitere Unterhandlung zulassen, als eine unbedingte Unterwerfung der Pforte unter seine Bedingungen. Der Wiener Llohd bringt darüber einen verzweifelt naiven Artikel. El meint, Rußland sei im Unrecht und fühle das auch, aber grade dieses Gefühl sei eine Kränkung für einen mächtigen Staat und könne nur dadurch wieder gut gemacht werden, daß der schwächere Staat, die Türkei, wegen des ihr angethanen Unrechts um Verzeihung bäte. Das ist eine politische Logik, die vielleicht in Gegenden, die außerhalb alles Verkehrs liegen, anwendbar sein mag, aber nicht der Türkei gegenüber, die we¬ nigstens vorläufig vor der Herrschaft Rußlands zu schützen, im Interesse aller euro¬ päischen Mächte liegt. Wenn also auf der einen Seite bei dem Charakter des Kaisers von Rußland an ein Zurückgehen von seinen Forderungen nicht gedacht werden kann, so ist auf der andern Seite nicht einzusehen, was für ein neues Motiv eintreten soll, die Türkei jetzt zu einer Nachgiebigkeit zu bestimmen, die sie früher abgelehnt hat. Daß es Rußland bei bloßen Drohungen nicht bewenden lassen würde, hat sie schon früher gewußt, sie hat also offenbar über diese Eventualität mit den Botschaftern Englands und Frankreichs Rücksprache ge¬ nommen. So scheint es denn, daß auch weitere Unterhandlungen, wenn diese über¬ haupt noch stattfinden sollten, zu einer Beendigung der Streitigkeiten ohne den Eintritt eines wirklichen Kampfes nicht führen werden. Was das Ergebniß dieses ungleichen Kampfes sein soll, das entzieht sich aller Berechnung. Ob die türkische Armee auch mit den nicht sehr bedeutenden Streitkräften, welche die englische und französische Flotte ihr zuführen, dem russischen Angriff.Widerstand leisten kann, ist sehr zweifelhaft, und ebenso ist es sehr die Frage, ob nicht bereits von russischer Seite ein Aufstand der christlichen Bevölkerung gegen die Türken -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/116>, abgerufen am 01.07.2024.