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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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dem kleinen lastete, entdeckt. Als ferneres Hinderniß zeigte sich der noch fort¬
dauernde und hauptsächlich der Unfreiheit der bäuerlichen Classe zuzuschreibende
niedrige Culturzustand der großen Masse der ländlichen Bevölkerung. Diese
Uebelstände erklären jedoch den Zustand der Landwirthschaft nicht hinreichend.
Denn dieselben wirken jetzt wol nur noch auf eiuen Theil des Ackerbaues, auf die
kleine Güterwirthschaft, zurück, die andrerseits auch in den westlichen Gegenden
nicht selten durch das Nichtvorhandensein großer Grundeigenthümer zurückgehalten
wird, deren Vorbild Sinn für landwirthschaftliche Verbesserungen zu verbreiten
geeignet ist.

Der Capitalienreichthum ist es, welcher die Productivität sowol in der
Landwirthschaft wie in den Gewerben wesentlich bestimmt. Der geringere
Capitalienvorrath, welcher der Landwirthschaft östlich der Elbe zu Gebote steht,
und hier immer geringer gewesen ist, als im Westen der Monarchie, ist das
Haupthinderniß sür die Landwirthschaft. Auch der Mangel an Communications-
mitteln erklärt sich dadurch. Denn ohne diese" würde der Chausseebau und in
neuerer Zeit der Eisenbahnbau hier durch freie Privatthätigkeit schon rascher
vorgeschritten sein. Derselbe hat sich meist aus die südlicher gelegnen und gewerb-
reichereu Districte der baltischen Ebene beschränkt.

Wie groß dieser Capitalienmangel gewesen ist, wie das mühsam Angesammelte
immer bald dnrch außerordentliche Katastrophen wieder aufgezehrt wurde, wie sehr
dies auf den Stand der Bodencnltur zurückwirken mußte, lehrt ein flüchtiger
Rückblick auf die Geschichte der Landestheile östlich der Elbe, welche jetzt zum
preußischen Staatsgebiet gehören.

Die norddeutsche Ebene war der Schauplatz fast aller europäischen Kriege
seit dem Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts. Der Wohlstand der Provinz
Preußen wurde schon früher durch die Kriege des deutschen Ordens gegen Polen
und die endliche Niederlage desselben, welche Preußen zu einem polnischen Lehen
machte, gebrochen, und die übrigen Landestheile im Osten der Clbe, welche jetzt
zu Preußen gehören, litten sehr stark durch die Fehden des überaus kriegerisch
gesinnten Adels der Marken, die hänfig genug verwüstete Saaten und in Asche
gelegte Dörfer, traurige Denkmäler untergegangener landwirthschaftlicher Capitalien
hinterließen. Nach den übereinstimmenden Nachrichten der älteren Geschichtsschreiber
der Provinz Preußen war die Bevölkerung hier im dreizehnten und vierzehnten
Jahrhundert mindestens ebenso stark, als jetzt. Es ergibt sich dies schon dar¬
aus , daß in den Kriegen des Ordens gegen Polen häufig an 100,000 streitbare
Männer aus der Provinz genommen wurden. Der dreißigjährige Krieg, der den
Wohlstand Europas um zwei Jahrhunderte zurückbrachte, verwüstete kein Laud
furchtbarer als die norddeutschen Marken. Die schwankende Stellung, welche
Brandenburg zwischen den kriegführenden Parteien einnahm, hatte die Folge, daß
das Land von Schweden und Kaiserlichen, von denen keiner in der Kunst, ein


dem kleinen lastete, entdeckt. Als ferneres Hinderniß zeigte sich der noch fort¬
dauernde und hauptsächlich der Unfreiheit der bäuerlichen Classe zuzuschreibende
niedrige Culturzustand der großen Masse der ländlichen Bevölkerung. Diese
Uebelstände erklären jedoch den Zustand der Landwirthschaft nicht hinreichend.
Denn dieselben wirken jetzt wol nur noch auf eiuen Theil des Ackerbaues, auf die
kleine Güterwirthschaft, zurück, die andrerseits auch in den westlichen Gegenden
nicht selten durch das Nichtvorhandensein großer Grundeigenthümer zurückgehalten
wird, deren Vorbild Sinn für landwirthschaftliche Verbesserungen zu verbreiten
geeignet ist.

Der Capitalienreichthum ist es, welcher die Productivität sowol in der
Landwirthschaft wie in den Gewerben wesentlich bestimmt. Der geringere
Capitalienvorrath, welcher der Landwirthschaft östlich der Elbe zu Gebote steht,
und hier immer geringer gewesen ist, als im Westen der Monarchie, ist das
Haupthinderniß sür die Landwirthschaft. Auch der Mangel an Communications-
mitteln erklärt sich dadurch. Denn ohne diese» würde der Chausseebau und in
neuerer Zeit der Eisenbahnbau hier durch freie Privatthätigkeit schon rascher
vorgeschritten sein. Derselbe hat sich meist aus die südlicher gelegnen und gewerb-
reichereu Districte der baltischen Ebene beschränkt.

Wie groß dieser Capitalienmangel gewesen ist, wie das mühsam Angesammelte
immer bald dnrch außerordentliche Katastrophen wieder aufgezehrt wurde, wie sehr
dies auf den Stand der Bodencnltur zurückwirken mußte, lehrt ein flüchtiger
Rückblick auf die Geschichte der Landestheile östlich der Elbe, welche jetzt zum
preußischen Staatsgebiet gehören.

Die norddeutsche Ebene war der Schauplatz fast aller europäischen Kriege
seit dem Anfänge des siebzehnten Jahrhunderts. Der Wohlstand der Provinz
Preußen wurde schon früher durch die Kriege des deutschen Ordens gegen Polen
und die endliche Niederlage desselben, welche Preußen zu einem polnischen Lehen
machte, gebrochen, und die übrigen Landestheile im Osten der Clbe, welche jetzt
zu Preußen gehören, litten sehr stark durch die Fehden des überaus kriegerisch
gesinnten Adels der Marken, die hänfig genug verwüstete Saaten und in Asche
gelegte Dörfer, traurige Denkmäler untergegangener landwirthschaftlicher Capitalien
hinterließen. Nach den übereinstimmenden Nachrichten der älteren Geschichtsschreiber
der Provinz Preußen war die Bevölkerung hier im dreizehnten und vierzehnten
Jahrhundert mindestens ebenso stark, als jetzt. Es ergibt sich dies schon dar¬
aus , daß in den Kriegen des Ordens gegen Polen häufig an 100,000 streitbare
Männer aus der Provinz genommen wurden. Der dreißigjährige Krieg, der den
Wohlstand Europas um zwei Jahrhunderte zurückbrachte, verwüstete kein Laud
furchtbarer als die norddeutschen Marken. Die schwankende Stellung, welche
Brandenburg zwischen den kriegführenden Parteien einnahm, hatte die Folge, daß
das Land von Schweden und Kaiserlichen, von denen keiner in der Kunst, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/106>, abgerufen am 01.07.2024.