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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Secrs folgen, der in der aufgelösten Kammer eine zahlreiche Mehrheit für sich
hatte. Das Programm des Ministeriums van Hall ist indeß wenigstens in Be¬
treff der Verfassung beruhigend, deren unverbrüchliche Festhaltung es voranstellt,
was die aufsteigende Besorgniß vor darin beabsichtigten Veränderungen entfernt.
Dagegen ist dem parlamentarischen Princip der Handschuh darin hingeworfen,
mit dem Satze, daß das Ministerium deu persönlichen Einfluß des Königs ans
die Executive zur Geltung zu bringen für seine Aufgabe halte. Die "persönliche
Regierung" hat seit 1815 deu Niederlanden viel Schaden zugefügt, besonders zu
der übermäßigen Belastung ihres Staatscredites geführt und es war daher kein
geringer Vortheil der Verfassungsreformen von 18i8, daß sie die Macht der
Generalstaaten auf Kosten des persönlichen Regiments erhoben. Wir glauben,
daß der Rückschlag gegen das jetzt wieder auftauchende Uebergemicht des letztern
nicht ausbleiben wird, sobald die Nation von neuem seine unvermeidlichen Uebel
empfindet. Bei der diesmaligen Wahlschlacht haben die protestantische Auf¬
regung und die Antipathien, die das zu schroffe Auftreten und die zuweilen zu
rücksichtslosen Neuerungen Thorbeckes mehrfach erzeugt hatten, dem Hof und seinen
Verbündeten den Sieg gegeben. Die kirchliche Frage aber, der das Ministerium
van Hall seine Existenz verdankt, dürste bald auch seine größte Schwierigkeit werden;
weder die Verfassung, noch die unabweislichen Forderungen einer toleranten Politik,
die eine dreihnndertjähnge Tradition in den Niederlanden sanctionirt hat, gestatten
ihm den Erwartungen zu entsprechen, die es in den Massen erregt hat, die aber
von den gebildeten Classen nicht getheilt werden. In der Thronrede, mit welcher
Wilhelm U1. die vor kurzem zusammengetretenen Generalstaaten eröffnete, sind
Vorlagen verheißen, die die Negierung in Stand setzen sollen, das Interesse des
Staates gegen kirchliche Uebergriffe zu sichern, ohne das althergebrachte Princip
der Toleranz zu gefährden. Beide Kammern haben in ihren Antwortadressen
sich, wenn anch der Politik des Ministeriums günstig, so doch mit erkennbarer
Zurückhaltung hierüber ausgesprochen, so daß die in der gegenwärtigen Vertre¬
tung verstärkte Fraction Groen van Prinsterers bereits in der zweiten Kammer
gegen die Adresse protestirt hat. Diese äußerste Rechte wiegt mit der liberal¬
katholischen Partei die Majorität des Ministeriums auf und sobald die letztere
sich erst in etwas von ihrer Niederlage aufgerichtet hat -- bei der Adreßdebatte
trat sie noch sehr bescheiden auf -- dürfte das Ministerium van Hall die Schwie¬
rigkeiten seiner Position empfinden. Die Sitzung des Sommers wird, allem
Anschein nach, nur von kurzer Dauer sein.




Secrs folgen, der in der aufgelösten Kammer eine zahlreiche Mehrheit für sich
hatte. Das Programm des Ministeriums van Hall ist indeß wenigstens in Be¬
treff der Verfassung beruhigend, deren unverbrüchliche Festhaltung es voranstellt,
was die aufsteigende Besorgniß vor darin beabsichtigten Veränderungen entfernt.
Dagegen ist dem parlamentarischen Princip der Handschuh darin hingeworfen,
mit dem Satze, daß das Ministerium deu persönlichen Einfluß des Königs ans
die Executive zur Geltung zu bringen für seine Aufgabe halte. Die „persönliche
Regierung" hat seit 1815 deu Niederlanden viel Schaden zugefügt, besonders zu
der übermäßigen Belastung ihres Staatscredites geführt und es war daher kein
geringer Vortheil der Verfassungsreformen von 18i8, daß sie die Macht der
Generalstaaten auf Kosten des persönlichen Regiments erhoben. Wir glauben,
daß der Rückschlag gegen das jetzt wieder auftauchende Uebergemicht des letztern
nicht ausbleiben wird, sobald die Nation von neuem seine unvermeidlichen Uebel
empfindet. Bei der diesmaligen Wahlschlacht haben die protestantische Auf¬
regung und die Antipathien, die das zu schroffe Auftreten und die zuweilen zu
rücksichtslosen Neuerungen Thorbeckes mehrfach erzeugt hatten, dem Hof und seinen
Verbündeten den Sieg gegeben. Die kirchliche Frage aber, der das Ministerium
van Hall seine Existenz verdankt, dürste bald auch seine größte Schwierigkeit werden;
weder die Verfassung, noch die unabweislichen Forderungen einer toleranten Politik,
die eine dreihnndertjähnge Tradition in den Niederlanden sanctionirt hat, gestatten
ihm den Erwartungen zu entsprechen, die es in den Massen erregt hat, die aber
von den gebildeten Classen nicht getheilt werden. In der Thronrede, mit welcher
Wilhelm U1. die vor kurzem zusammengetretenen Generalstaaten eröffnete, sind
Vorlagen verheißen, die die Negierung in Stand setzen sollen, das Interesse des
Staates gegen kirchliche Uebergriffe zu sichern, ohne das althergebrachte Princip
der Toleranz zu gefährden. Beide Kammern haben in ihren Antwortadressen
sich, wenn anch der Politik des Ministeriums günstig, so doch mit erkennbarer
Zurückhaltung hierüber ausgesprochen, so daß die in der gegenwärtigen Vertre¬
tung verstärkte Fraction Groen van Prinsterers bereits in der zweiten Kammer
gegen die Adresse protestirt hat. Diese äußerste Rechte wiegt mit der liberal¬
katholischen Partei die Majorität des Ministeriums auf und sobald die letztere
sich erst in etwas von ihrer Niederlage aufgerichtet hat — bei der Adreßdebatte
trat sie noch sehr bescheiden auf — dürfte das Ministerium van Hall die Schwie¬
rigkeiten seiner Position empfinden. Die Sitzung des Sommers wird, allem
Anschein nach, nur von kurzer Dauer sein.




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[0104] Secrs folgen, der in der aufgelösten Kammer eine zahlreiche Mehrheit für sich hatte. Das Programm des Ministeriums van Hall ist indeß wenigstens in Be¬ treff der Verfassung beruhigend, deren unverbrüchliche Festhaltung es voranstellt, was die aufsteigende Besorgniß vor darin beabsichtigten Veränderungen entfernt. Dagegen ist dem parlamentarischen Princip der Handschuh darin hingeworfen, mit dem Satze, daß das Ministerium deu persönlichen Einfluß des Königs ans die Executive zur Geltung zu bringen für seine Aufgabe halte. Die „persönliche Regierung" hat seit 1815 deu Niederlanden viel Schaden zugefügt, besonders zu der übermäßigen Belastung ihres Staatscredites geführt und es war daher kein geringer Vortheil der Verfassungsreformen von 18i8, daß sie die Macht der Generalstaaten auf Kosten des persönlichen Regiments erhoben. Wir glauben, daß der Rückschlag gegen das jetzt wieder auftauchende Uebergemicht des letztern nicht ausbleiben wird, sobald die Nation von neuem seine unvermeidlichen Uebel empfindet. Bei der diesmaligen Wahlschlacht haben die protestantische Auf¬ regung und die Antipathien, die das zu schroffe Auftreten und die zuweilen zu rücksichtslosen Neuerungen Thorbeckes mehrfach erzeugt hatten, dem Hof und seinen Verbündeten den Sieg gegeben. Die kirchliche Frage aber, der das Ministerium van Hall seine Existenz verdankt, dürste bald auch seine größte Schwierigkeit werden; weder die Verfassung, noch die unabweislichen Forderungen einer toleranten Politik, die eine dreihnndertjähnge Tradition in den Niederlanden sanctionirt hat, gestatten ihm den Erwartungen zu entsprechen, die es in den Massen erregt hat, die aber von den gebildeten Classen nicht getheilt werden. In der Thronrede, mit welcher Wilhelm U1. die vor kurzem zusammengetretenen Generalstaaten eröffnete, sind Vorlagen verheißen, die die Negierung in Stand setzen sollen, das Interesse des Staates gegen kirchliche Uebergriffe zu sichern, ohne das althergebrachte Princip der Toleranz zu gefährden. Beide Kammern haben in ihren Antwortadressen sich, wenn anch der Politik des Ministeriums günstig, so doch mit erkennbarer Zurückhaltung hierüber ausgesprochen, so daß die in der gegenwärtigen Vertre¬ tung verstärkte Fraction Groen van Prinsterers bereits in der zweiten Kammer gegen die Adresse protestirt hat. Diese äußerste Rechte wiegt mit der liberal¬ katholischen Partei die Majorität des Ministeriums auf und sobald die letztere sich erst in etwas von ihrer Niederlage aufgerichtet hat — bei der Adreßdebatte trat sie noch sehr bescheiden auf — dürfte das Ministerium van Hall die Schwie¬ rigkeiten seiner Position empfinden. Die Sitzung des Sommers wird, allem Anschein nach, nur von kurzer Dauer sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/104>, abgerufen am 01.07.2024.