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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Geduld. So wird denn schon seit mehren Jahren el" national-ökonomischer
Krieg in den Niederlanden geführt, aber von den Katholiken am eifrigsten und
mit den größten Erfolgen, welche nur durch die in neuester Zeit von den Ultramon¬
tanen in Belgien abgewonnenen Vortheile einigermaßen geschmälert werden.

Auf geistigem Gebiete erfreute man sich des Zwiespalts der Orthodoxen und
liberalen Protestanten, sowie der Angst der höchsten Stände vor dem Radikalis¬
mus auf religiösem und politischem Gebiete, und der infolge davon sich aus¬
breitenden pietistischer und mystischen Stimmungen. Zur Faradisirung der eigenen
Glaubensnnterthanen wurden überall religiöse Brüderschaften, Klöster und Pen¬
sionate gestiftet, die strengste Beobachtung ungewöhnlich strenger Religionsvor-
schriften, als Fasten, Beten, Beichten, Communicircn, vorgeschrieben und überwacht;
daneben eine große Anzahl Erbschaften acquirirt.

Als im Jahre 1848 die Neuwahlen zur zweiten Kammer stattfanden, agitirte
niemand für die Wahl des "Demokraten", "ehemaligen Atheisten" Thorbecke
eifriger, als' die katholische Geistlichkeit, und er ward in der That Vertreter eines
katholischen Wahldistricts in Nordbrabant und das Herzenskind der katholischen
Presse aller Länder. Dieselben Blätter, welche in Belgien die Freiheit und die
Nationalität dem Ultramontanismus opfern, derselbe I'Univers, welcher in Frank¬
reich die Volksrechte verhöhnt, und die constitutionelle Regierung sür eine Aus¬
geburt des Teufels erklärt, beklagen den Sturz des echt konstitutionellen Mini¬
sters Thorbecke, in einer Weise, welche selbst den Einfältigsten die Angen öffnen
muß.

Wir haben seiner Zeit in No. -19 einen Bericht von den Vorgängen ge¬
geben, die den Sturz des Ministeriums Thorbecke herbeiführten und begleiteten:
der Creirung einer katholischen Hierarchie in den Niederlanden durch die päpst¬
liche Allocution, der daraus folgenden außerordentlichen Aufregung der protestan¬
tischen Bevölkerung, der Erklärung der grade zusammentretender Kammer zu
Gunsten der gemäßigten und verfassungstreuen, obwol das Vorgehender Curie
mißbilligenden Politik des Ministeriums Thorbecke, die aber dessen Sturz nicht
verhindern konnte, der vom Hofe längst beschlossen, bei diesem sehr erwünschten
Anlaß bewirkt wurde, und dem natürlich die Auflösung der Thorbecke ergebenen
zweiten Kammer unmittelbar folgte. Das in Thvrbeckes Stelle tretende Mini¬
sterium van Hall repräsentirt eine Coalition der altliberalen Familienaristokratie
und der Monarchisten und ist außerdem verurtheilt, die unbequeme, vielleicht in
Zukunft gefährliche Bundesgenossenschaft der von Groen van Prinsterer geführten
Ultraprotestanten zu acceptiren. Die Wahlen, die im Mai mit äußerster Anstren¬
gung von beiden Seiten durchgefochten wurden, sind zum völligen Nachtheil der
Thorbeckeschen Partei ausgefallen, obwol die Katholiken und entschiedenen Libe¬
ralen ihre vereinten Kräfte für die Sache des gefallenen Cabinets aufboten.
Unter 68 Abgeordneten dürsten höchstens 25 der Fahne des abgetretenen Mimi-


Geduld. So wird denn schon seit mehren Jahren el» national-ökonomischer
Krieg in den Niederlanden geführt, aber von den Katholiken am eifrigsten und
mit den größten Erfolgen, welche nur durch die in neuester Zeit von den Ultramon¬
tanen in Belgien abgewonnenen Vortheile einigermaßen geschmälert werden.

Auf geistigem Gebiete erfreute man sich des Zwiespalts der Orthodoxen und
liberalen Protestanten, sowie der Angst der höchsten Stände vor dem Radikalis¬
mus auf religiösem und politischem Gebiete, und der infolge davon sich aus¬
breitenden pietistischer und mystischen Stimmungen. Zur Faradisirung der eigenen
Glaubensnnterthanen wurden überall religiöse Brüderschaften, Klöster und Pen¬
sionate gestiftet, die strengste Beobachtung ungewöhnlich strenger Religionsvor-
schriften, als Fasten, Beten, Beichten, Communicircn, vorgeschrieben und überwacht;
daneben eine große Anzahl Erbschaften acquirirt.

Als im Jahre 1848 die Neuwahlen zur zweiten Kammer stattfanden, agitirte
niemand für die Wahl des „Demokraten", „ehemaligen Atheisten" Thorbecke
eifriger, als' die katholische Geistlichkeit, und er ward in der That Vertreter eines
katholischen Wahldistricts in Nordbrabant und das Herzenskind der katholischen
Presse aller Länder. Dieselben Blätter, welche in Belgien die Freiheit und die
Nationalität dem Ultramontanismus opfern, derselbe I'Univers, welcher in Frank¬
reich die Volksrechte verhöhnt, und die constitutionelle Regierung sür eine Aus¬
geburt des Teufels erklärt, beklagen den Sturz des echt konstitutionellen Mini¬
sters Thorbecke, in einer Weise, welche selbst den Einfältigsten die Angen öffnen
muß.

Wir haben seiner Zeit in No. -19 einen Bericht von den Vorgängen ge¬
geben, die den Sturz des Ministeriums Thorbecke herbeiführten und begleiteten:
der Creirung einer katholischen Hierarchie in den Niederlanden durch die päpst¬
liche Allocution, der daraus folgenden außerordentlichen Aufregung der protestan¬
tischen Bevölkerung, der Erklärung der grade zusammentretender Kammer zu
Gunsten der gemäßigten und verfassungstreuen, obwol das Vorgehender Curie
mißbilligenden Politik des Ministeriums Thorbecke, die aber dessen Sturz nicht
verhindern konnte, der vom Hofe längst beschlossen, bei diesem sehr erwünschten
Anlaß bewirkt wurde, und dem natürlich die Auflösung der Thorbecke ergebenen
zweiten Kammer unmittelbar folgte. Das in Thvrbeckes Stelle tretende Mini¬
sterium van Hall repräsentirt eine Coalition der altliberalen Familienaristokratie
und der Monarchisten und ist außerdem verurtheilt, die unbequeme, vielleicht in
Zukunft gefährliche Bundesgenossenschaft der von Groen van Prinsterer geführten
Ultraprotestanten zu acceptiren. Die Wahlen, die im Mai mit äußerster Anstren¬
gung von beiden Seiten durchgefochten wurden, sind zum völligen Nachtheil der
Thorbeckeschen Partei ausgefallen, obwol die Katholiken und entschiedenen Libe¬
ralen ihre vereinten Kräfte für die Sache des gefallenen Cabinets aufboten.
Unter 68 Abgeordneten dürsten höchstens 25 der Fahne des abgetretenen Mimi-


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[0103] Geduld. So wird denn schon seit mehren Jahren el» national-ökonomischer Krieg in den Niederlanden geführt, aber von den Katholiken am eifrigsten und mit den größten Erfolgen, welche nur durch die in neuester Zeit von den Ultramon¬ tanen in Belgien abgewonnenen Vortheile einigermaßen geschmälert werden. Auf geistigem Gebiete erfreute man sich des Zwiespalts der Orthodoxen und liberalen Protestanten, sowie der Angst der höchsten Stände vor dem Radikalis¬ mus auf religiösem und politischem Gebiete, und der infolge davon sich aus¬ breitenden pietistischer und mystischen Stimmungen. Zur Faradisirung der eigenen Glaubensnnterthanen wurden überall religiöse Brüderschaften, Klöster und Pen¬ sionate gestiftet, die strengste Beobachtung ungewöhnlich strenger Religionsvor- schriften, als Fasten, Beten, Beichten, Communicircn, vorgeschrieben und überwacht; daneben eine große Anzahl Erbschaften acquirirt. Als im Jahre 1848 die Neuwahlen zur zweiten Kammer stattfanden, agitirte niemand für die Wahl des „Demokraten", „ehemaligen Atheisten" Thorbecke eifriger, als' die katholische Geistlichkeit, und er ward in der That Vertreter eines katholischen Wahldistricts in Nordbrabant und das Herzenskind der katholischen Presse aller Länder. Dieselben Blätter, welche in Belgien die Freiheit und die Nationalität dem Ultramontanismus opfern, derselbe I'Univers, welcher in Frank¬ reich die Volksrechte verhöhnt, und die constitutionelle Regierung sür eine Aus¬ geburt des Teufels erklärt, beklagen den Sturz des echt konstitutionellen Mini¬ sters Thorbecke, in einer Weise, welche selbst den Einfältigsten die Angen öffnen muß. Wir haben seiner Zeit in No. -19 einen Bericht von den Vorgängen ge¬ geben, die den Sturz des Ministeriums Thorbecke herbeiführten und begleiteten: der Creirung einer katholischen Hierarchie in den Niederlanden durch die päpst¬ liche Allocution, der daraus folgenden außerordentlichen Aufregung der protestan¬ tischen Bevölkerung, der Erklärung der grade zusammentretender Kammer zu Gunsten der gemäßigten und verfassungstreuen, obwol das Vorgehender Curie mißbilligenden Politik des Ministeriums Thorbecke, die aber dessen Sturz nicht verhindern konnte, der vom Hofe längst beschlossen, bei diesem sehr erwünschten Anlaß bewirkt wurde, und dem natürlich die Auflösung der Thorbecke ergebenen zweiten Kammer unmittelbar folgte. Das in Thvrbeckes Stelle tretende Mini¬ sterium van Hall repräsentirt eine Coalition der altliberalen Familienaristokratie und der Monarchisten und ist außerdem verurtheilt, die unbequeme, vielleicht in Zukunft gefährliche Bundesgenossenschaft der von Groen van Prinsterer geführten Ultraprotestanten zu acceptiren. Die Wahlen, die im Mai mit äußerster Anstren¬ gung von beiden Seiten durchgefochten wurden, sind zum völligen Nachtheil der Thorbeckeschen Partei ausgefallen, obwol die Katholiken und entschiedenen Libe¬ ralen ihre vereinten Kräfte für die Sache des gefallenen Cabinets aufboten. Unter 68 Abgeordneten dürsten höchstens 25 der Fahne des abgetretenen Mimi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/103>, abgerufen am 01.10.2024.