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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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aber später das Geld nicht aus, um den angefangenen Plan zu vollenden; man
gab den Ban auf, und ließ das schou Gedanke wieder in Trümmer zerfallen. In
keiner Stadt der Welt habe ich so viel Trümmer aller Art gefunden. Ein großer
Theil der Paläste und Kirchen, welche das furchtbare Erdbeben von-176!) zerstörte,
ist nicht wieder ausgebaut worden, und liegt noch jetzt in Schutthaufen da. Sieht
man übrigens irgend ein tüchtiges Gebäude, eine gute Straße, eine großartige
Anlage in Lissabon, ja Portugal, so kaun mau sicher sein, daß der Minister
Pombal der Gründer derselben war. Dieser seltene Mann hat während seiner
Herrschaft von 17!i0--1777, wo er Portugal fast allein regierte, mehr für dasselbe
gethan, als alle Regenten nach ihm. Wären nach ihm die Regierungen nicht so
gar Schwank) und übelgeleitet gewesen, das von der Natur so begünstigte Laud
befände sich in ganz anderem Zustande. Nur Dom Pedro, dessen früher Tod
bedauert wird, suchte einige Ordnung in die zerrütteten portugiesischen Verhältnisse
zu bringen. So ist es auch jetzt noch arg, und der Marschall Saldanha, so zwei¬
deutige" Charakter er auch sonst besitzt, wird als der einzige Staatsmann von
Talent und Kraft im ganzen Lande bezeichnet. Beides erscheint einen" Fremden frei¬
lich nicht groß, indeß scheint das Maß für menschliche Große und Kraft in Por¬
tugal um mehrere Zoll kleiner zu sein, als in Deutschland.

Nicht sehr weit vom Ajnda-Palast, dessen Inneres wenige Sehens¬
würdigkeiten hat und sehr kahl und ode aussieht, liegen die großen Gebäude des
berühmten Klosters von Belem, ebenfalls zur Hälfte in Trümmern. Es muß
nach der Größe, der Anlage und der Pracht der Ausführung früher ein reiches
Nieseuklvster gewesen sein, dessen Mönche über königliche Schätze zu gebieten
hatten. Jetzt ist eine Art Waisenhaus oder Erziehungsanstalt für arme Kinder
in den noch wohlerhaltenen Theilen des Gebäudes, die ich nicht besah. Am
Abend besuchten wir das von Außen ganz elegant aussehende Theater "Donna
Maria" ans der "Praca Dom-Pedro", einem hübschen Platz. Portugiesische Schau¬
spieler führten ein Trauerspiel, ich weiß uicht von welchem Autor, ans. Sie
schrien noch heftiger und gestikulirtcn uoch verzweifelter mit den Armen in der Luft
herum, als man es von den unzähligen schlechten Schauspielern im übrigen Europa
zu scheu gewohnt ist. Das Theater war übrigens nur schwach besucht. Der erste
Raug ist sehr elegant, von Marmorsäulen getragen, er wies nur wenige Inländer.
Unter den Schauspielerinnen war ein hübsches pikantes Gesicht; die übrigen warm
häßlich, klein von Gestalt und geschmacklos im Anzug. Unser Lohnbedieuter, ein
abgefeimter Schuft, lud meinen englischen Gefährten ein, für die Stimme vou fünf
Guineen ein Souper bei der hübschen Tragödi" einzunehmen. Große Sittenstrenge
scheint gerade nicht zu deu Vorzügen von Lissabon zu gehören, wenigstens drängt
sich die Kuppelei dein Fremden mit auffallender Zudringlichkeit entgegen. In einem
Lande, wo alle Verhältnisse so tief zerrüttet sind, und wo es zu den Ausnahmen


Grenzboten. I. 12

aber später das Geld nicht aus, um den angefangenen Plan zu vollenden; man
gab den Ban auf, und ließ das schou Gedanke wieder in Trümmer zerfallen. In
keiner Stadt der Welt habe ich so viel Trümmer aller Art gefunden. Ein großer
Theil der Paläste und Kirchen, welche das furchtbare Erdbeben von-176!) zerstörte,
ist nicht wieder ausgebaut worden, und liegt noch jetzt in Schutthaufen da. Sieht
man übrigens irgend ein tüchtiges Gebäude, eine gute Straße, eine großartige
Anlage in Lissabon, ja Portugal, so kaun mau sicher sein, daß der Minister
Pombal der Gründer derselben war. Dieser seltene Mann hat während seiner
Herrschaft von 17!i0—1777, wo er Portugal fast allein regierte, mehr für dasselbe
gethan, als alle Regenten nach ihm. Wären nach ihm die Regierungen nicht so
gar Schwank) und übelgeleitet gewesen, das von der Natur so begünstigte Laud
befände sich in ganz anderem Zustande. Nur Dom Pedro, dessen früher Tod
bedauert wird, suchte einige Ordnung in die zerrütteten portugiesischen Verhältnisse
zu bringen. So ist es auch jetzt noch arg, und der Marschall Saldanha, so zwei¬
deutige» Charakter er auch sonst besitzt, wird als der einzige Staatsmann von
Talent und Kraft im ganzen Lande bezeichnet. Beides erscheint einen» Fremden frei¬
lich nicht groß, indeß scheint das Maß für menschliche Große und Kraft in Por¬
tugal um mehrere Zoll kleiner zu sein, als in Deutschland.

Nicht sehr weit vom Ajnda-Palast, dessen Inneres wenige Sehens¬
würdigkeiten hat und sehr kahl und ode aussieht, liegen die großen Gebäude des
berühmten Klosters von Belem, ebenfalls zur Hälfte in Trümmern. Es muß
nach der Größe, der Anlage und der Pracht der Ausführung früher ein reiches
Nieseuklvster gewesen sein, dessen Mönche über königliche Schätze zu gebieten
hatten. Jetzt ist eine Art Waisenhaus oder Erziehungsanstalt für arme Kinder
in den noch wohlerhaltenen Theilen des Gebäudes, die ich nicht besah. Am
Abend besuchten wir das von Außen ganz elegant aussehende Theater „Donna
Maria" ans der „Praca Dom-Pedro", einem hübschen Platz. Portugiesische Schau¬
spieler führten ein Trauerspiel, ich weiß uicht von welchem Autor, ans. Sie
schrien noch heftiger und gestikulirtcn uoch verzweifelter mit den Armen in der Luft
herum, als man es von den unzähligen schlechten Schauspielern im übrigen Europa
zu scheu gewohnt ist. Das Theater war übrigens nur schwach besucht. Der erste
Raug ist sehr elegant, von Marmorsäulen getragen, er wies nur wenige Inländer.
Unter den Schauspielerinnen war ein hübsches pikantes Gesicht; die übrigen warm
häßlich, klein von Gestalt und geschmacklos im Anzug. Unser Lohnbedieuter, ein
abgefeimter Schuft, lud meinen englischen Gefährten ein, für die Stimme vou fünf
Guineen ein Souper bei der hübschen Tragödi» einzunehmen. Große Sittenstrenge
scheint gerade nicht zu deu Vorzügen von Lissabon zu gehören, wenigstens drängt
sich die Kuppelei dein Fremden mit auffallender Zudringlichkeit entgegen. In einem
Lande, wo alle Verhältnisse so tief zerrüttet sind, und wo es zu den Ausnahmen


Grenzboten. I. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/97>, abgerufen am 28.12.2024.