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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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die allerverschiedensten Culturverhältnisse "se in der neuesten Zeit eingedrungen
sind. Auf den Sandwichinseln übersieht König Taniehamcha >>l. ans seinem
steinernen Palast die Uebungen seines europäisch er^ercirten Kriegsheeres längs
der großen Chaussee nud die Manöver seiner Kriegsflotte im Hafen von Hvlolnlu,
und ans der andern Seite die große Hofkirche, das Museum und die eleganten
Kaufläden seiner Hauptstadt und hat schon im Jahre die Annexation seines
Reiches an die Vereinigte" Staaten nachgesucht; auf den Gesellschaftsiuscl" führe"
die katholischen Priester unter Frankreichs Schutz, und die protestantischen als
Vertreter der Landespartei und der Königin Pomare einen stillen erbitterten
Kampf mit einander, entreißen sich gegenseitig Seelen und organisiren eine Frem¬
den- und Sittenpolizei, die eine täuschende Ähnlichkeit mit der unsrigen hat, nur
etwas mehr Bambus und etwas weniger Heimlichkeit; unterdeß slorirt anf anderen
Inselgruppen in der Nähe noch eine so ausgebreitete und scheußliche Menschen¬
fresserei, daß gefühlvolle Mütter ihre eigene" Kiuder gegen die Kinder ihrer
Freundinnen vertauschen, weil es beide" Theile" doch gemüthlicher ist, die Kinder
der Freundinnen statt ihrer eigenen zu verzehren, und durch den Tausch diese Jucon-
venienz vollständig vermieden wird. Niemals ist die ungebildete, menschliche Natur
i" merkwürdigerer Gestalt sichtbar geworden, als auf der australischen Inselwelt. Dicht
neben reizender Naivetät und liebenswürdiger Unschuld haarsträubende Rohheit, und
höchst viehische Grausamkeit; dazu die allcriuertwürdigste Gebundenheit a" die locale"
Bedingungen der Natur, eine höchst originelle Gestaltung n. Defiguration des Sprach-
sinnes, eine sehr auffalleiide Mischung verschiedener Race". Der Verfasser des öde"
geuaiuite" Buches hat das vorhandene reiche Material sorgfältig geordnet. Die Darstel¬
lung der geologischen ""d naturgeschichtlichen Verhältnisse Sta"d ihm allerdings erst in
zweiter Reihe, das Hauptinteresse war für ihn die Einwirkung, welche die Cultur
auf diese Naturvölker ausgeübt hat, besonders das Christenthum. Der Versasser
selbst nimmt den Standpunkt eines frommen Christen mit einem Eifer ein, welcher
ihn zum Parteimanne "lacht und die Ruhe nud Klarheit seiner Darstellung be¬
einträchtigt. Sein Groll gegen die laue" Christen und seine "och größere Anti¬
pathie gegen die katholische" Missio"e" i" der Südsee lasse" ih" zuweilen die
würdige Ruhe verlieren, welche dem Schriftsteller das achtungsvolle Vertraue"
der Leser sichert. Auch wir habe" die Ueberzc"gnug, daß jene paradiesische Un¬
schuld deö Heidenthums, durch welche einzelne unserer Seefahrer so entzückt
wurden, uicht das Recht hat, erhalte" z" werden. Auch wir halten die heroische
Thätigkeit der Missionaire auf dein australischen Archipel für eine große und be¬
wundernswürdige That. Aber wir verlangen von einer Darstellung dieser Thätig¬
keit, daß sie mehr sei als Bewunderung der protestantischen Missionaire und Haß
gegen ihre Gegner. Wir verlange", daß sie u"ö diese" Proceß der Civilisation
zeige, wie er wirklich ist, "eben dem Nothwettdigc" und segensreiche" auch die
Schattenseite, die Herrschsucht und fanatische Einseitigkeit der protestantischen


die allerverschiedensten Culturverhältnisse «se in der neuesten Zeit eingedrungen
sind. Auf den Sandwichinseln übersieht König Taniehamcha >>l. ans seinem
steinernen Palast die Uebungen seines europäisch er^ercirten Kriegsheeres längs
der großen Chaussee nud die Manöver seiner Kriegsflotte im Hafen von Hvlolnlu,
und ans der andern Seite die große Hofkirche, das Museum und die eleganten
Kaufläden seiner Hauptstadt und hat schon im Jahre die Annexation seines
Reiches an die Vereinigte» Staaten nachgesucht; auf den Gesellschaftsiuscl» führe»
die katholischen Priester unter Frankreichs Schutz, und die protestantischen als
Vertreter der Landespartei und der Königin Pomare einen stillen erbitterten
Kampf mit einander, entreißen sich gegenseitig Seelen und organisiren eine Frem¬
den- und Sittenpolizei, die eine täuschende Ähnlichkeit mit der unsrigen hat, nur
etwas mehr Bambus und etwas weniger Heimlichkeit; unterdeß slorirt anf anderen
Inselgruppen in der Nähe noch eine so ausgebreitete und scheußliche Menschen¬
fresserei, daß gefühlvolle Mütter ihre eigene» Kiuder gegen die Kinder ihrer
Freundinnen vertauschen, weil es beide» Theile» doch gemüthlicher ist, die Kinder
der Freundinnen statt ihrer eigenen zu verzehren, und durch den Tausch diese Jucon-
venienz vollständig vermieden wird. Niemals ist die ungebildete, menschliche Natur
i» merkwürdigerer Gestalt sichtbar geworden, als auf der australischen Inselwelt. Dicht
neben reizender Naivetät und liebenswürdiger Unschuld haarsträubende Rohheit, und
höchst viehische Grausamkeit; dazu die allcriuertwürdigste Gebundenheit a» die locale»
Bedingungen der Natur, eine höchst originelle Gestaltung n. Defiguration des Sprach-
sinnes, eine sehr auffalleiide Mischung verschiedener Race». Der Verfasser des öde»
geuaiuite» Buches hat das vorhandene reiche Material sorgfältig geordnet. Die Darstel¬
lung der geologischen »»d naturgeschichtlichen Verhältnisse Sta»d ihm allerdings erst in
zweiter Reihe, das Hauptinteresse war für ihn die Einwirkung, welche die Cultur
auf diese Naturvölker ausgeübt hat, besonders das Christenthum. Der Versasser
selbst nimmt den Standpunkt eines frommen Christen mit einem Eifer ein, welcher
ihn zum Parteimanne »lacht und die Ruhe nud Klarheit seiner Darstellung be¬
einträchtigt. Sein Groll gegen die laue» Christen und seine »och größere Anti¬
pathie gegen die katholische» Missio»e» i» der Südsee lasse» ih» zuweilen die
würdige Ruhe verlieren, welche dem Schriftsteller das achtungsvolle Vertraue»
der Leser sichert. Auch wir habe» die Ueberzc»gnug, daß jene paradiesische Un¬
schuld deö Heidenthums, durch welche einzelne unserer Seefahrer so entzückt
wurden, uicht das Recht hat, erhalte» z» werden. Auch wir halten die heroische
Thätigkeit der Missionaire auf dein australischen Archipel für eine große und be¬
wundernswürdige That. Aber wir verlangen von einer Darstellung dieser Thätig¬
keit, daß sie mehr sei als Bewunderung der protestantischen Missionaire und Haß
gegen ihre Gegner. Wir verlange», daß sie u»ö diese» Proceß der Civilisation
zeige, wie er wirklich ist, »eben dem Nothwettdigc» und segensreiche» auch die
Schattenseite, die Herrschsucht und fanatische Einseitigkeit der protestantischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/76>, abgerufen am 06.07.2024.