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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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ihrerseits mit der Leidenschaft, die er für die schöne Barbara zur Schau trug.
So kam bald eine lebhafte allgemeine Unterhaltung in Gang, wobei die junge
Dame des Hauses manchmal Aeußerungen that, die von uns als leichte Ueber-
schreitungen der Grenzen des Anstandes angesehen werden mußten; aber offenbar
glaubte sie gar nichts Unschickliches zu sagen, und eS lag eben mir daran, daß
ihre Ansichten über diesen Punkt von den unsrigen verschieden waren. So saßen
wir denn in sehr heiterer Stimmung um das qualmende und dampfende Herd-
feuer, und soupirtcn in Erwägung der Umstände erträglich: namentlich muß ich
dem Kaffee der Sennerin die (freilich unerhebliche) Gerechtigkeit widerfahren
lassen, daß er besser war, als in den meisten Konditoreien von Berlin. Die
Schwägerin ging ab und zu, sorgte für uns, scheuerte eifrig die gebrauchten
Geschirre und kehrte sie mitunter ab, um verstohlen zu lachen; die Knaben saßen
blöde und aufrecht in einem Winkel, lächelten über halbvcrstandene Scherze
und wagten sich kaum hervor, um ein angebotenes Stück Zucker in Empfang
zu nehmen.

Mein Freund, der NegierungSassessor, folgte dem Beispiele seines östreichischen
College"; er entänßerte sich aller bureaukratischen Würde und trug ein altes
Volkslied vom ,,El"Sieb'l auf dem Zwiselberg " vor, das hier in der Mitte, wo
der würdige Mann gelebt hatte, mit doppeltem Interesse gehört wurde. Unter
Anderem berichtet das Lied Folgendes:


Der Eiusicd'l is a frommer Mann,
Hai a braune Kutten ein.
Und a kurzen Mantel.
Der Einsicd'l hat a hohlen Zahn,
'S Braunbier säuft er all's z'Samen,
'S Braunbicr kann er beißen.
Der Einsicd'l sitzt wol auf der Stiegen,
Der Kellnerin muß das Kind er wiegen,
Pumpcia muß er singen.

Nachdem dieses Lied mit Beifall aufgenommen worden war, begaben wir uns
zur Ruhe; d. h. wir zogen uus alle disponibel" Kleidungsstücke an, und kletter¬
ten ans den Heuboden, wohin uns die Buben folgten, wickelten "us in das Hen
und schliefen, so gut es gehen wollte. Freilich schläft mau nicht besonders gut
in einer kalten Septemberuacbt, 3000 Fuß über dem Meer nnter einem Dache,
durch dessen breite Spalten der feuchte Nebel ungehindert zieht -- man müßte
denn daran gewohnt sein. Und doch erwarten wir, Dank den Anstrengungen
des Tages, erst gegen Sonnenaufgang, als die Sennerin längst bei ihren Kühen
war. Der Morgen war unheimlich. Auf allen in der Hütte befindlichen Gegen¬
ständen hatte sich der Nebel in dicken Tropfen niedergeschlagen; als wir heraus¬
traten, hing er so dicht UM uns her, daß wir nur die nächste" Tannen aus


Grenzbott". I. 1W. 8

ihrerseits mit der Leidenschaft, die er für die schöne Barbara zur Schau trug.
So kam bald eine lebhafte allgemeine Unterhaltung in Gang, wobei die junge
Dame des Hauses manchmal Aeußerungen that, die von uns als leichte Ueber-
schreitungen der Grenzen des Anstandes angesehen werden mußten; aber offenbar
glaubte sie gar nichts Unschickliches zu sagen, und eS lag eben mir daran, daß
ihre Ansichten über diesen Punkt von den unsrigen verschieden waren. So saßen
wir denn in sehr heiterer Stimmung um das qualmende und dampfende Herd-
feuer, und soupirtcn in Erwägung der Umstände erträglich: namentlich muß ich
dem Kaffee der Sennerin die (freilich unerhebliche) Gerechtigkeit widerfahren
lassen, daß er besser war, als in den meisten Konditoreien von Berlin. Die
Schwägerin ging ab und zu, sorgte für uns, scheuerte eifrig die gebrauchten
Geschirre und kehrte sie mitunter ab, um verstohlen zu lachen; die Knaben saßen
blöde und aufrecht in einem Winkel, lächelten über halbvcrstandene Scherze
und wagten sich kaum hervor, um ein angebotenes Stück Zucker in Empfang
zu nehmen.

Mein Freund, der NegierungSassessor, folgte dem Beispiele seines östreichischen
College»; er entänßerte sich aller bureaukratischen Würde und trug ein altes
Volkslied vom ,,El»Sieb'l auf dem Zwiselberg " vor, das hier in der Mitte, wo
der würdige Mann gelebt hatte, mit doppeltem Interesse gehört wurde. Unter
Anderem berichtet das Lied Folgendes:


Der Eiusicd'l is a frommer Mann,
Hai a braune Kutten ein.
Und a kurzen Mantel.
Der Einsicd'l hat a hohlen Zahn,
'S Braunbier säuft er all's z'Samen,
'S Braunbicr kann er beißen.
Der Einsicd'l sitzt wol auf der Stiegen,
Der Kellnerin muß das Kind er wiegen,
Pumpcia muß er singen.

Nachdem dieses Lied mit Beifall aufgenommen worden war, begaben wir uns
zur Ruhe; d. h. wir zogen uus alle disponibel» Kleidungsstücke an, und kletter¬
ten ans den Heuboden, wohin uns die Buben folgten, wickelten »us in das Hen
und schliefen, so gut es gehen wollte. Freilich schläft mau nicht besonders gut
in einer kalten Septemberuacbt, 3000 Fuß über dem Meer nnter einem Dache,
durch dessen breite Spalten der feuchte Nebel ungehindert zieht — man müßte
denn daran gewohnt sein. Und doch erwarten wir, Dank den Anstrengungen
des Tages, erst gegen Sonnenaufgang, als die Sennerin längst bei ihren Kühen
war. Der Morgen war unheimlich. Auf allen in der Hütte befindlichen Gegen¬
ständen hatte sich der Nebel in dicken Tropfen niedergeschlagen; als wir heraus¬
traten, hing er so dicht UM uns her, daß wir nur die nächste» Tannen aus


Grenzbott». I. 1W. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/65>, abgerufen am 29.06.2024.