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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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und unrichtige Vorstellungen noch immer verbreitet, als über Sennerinnen und Senn¬
hütten. Herumziehende Tyrolersänger, lügenhafte Theaterdichter und begeistcrnngs-
trunkene Touristen haben es dahin gebracht, daß viele Leute sich die Sennerinnen
alö bezaubernd schöne Mädchen in dem ans Theatern üblichen Schwcizercostum vor¬
stellen, die den Gast mit biedern Händedruck, seelenvollem Blick und dem trau¬
lichen Du empfangen und ihm die herrlichsten Volkslieder vortragen, wobei sie
sich aus einer Guitarre begleiten, die an einem blauen Baude hängt; eine schöne
Stimme versteht sich gewissermaßen von selbst. In den fliegenden Blättern war
vor einiger Zeit eine Sennerin dargestellt, wie ein Berliner sie zu sehen erwartet
hatte, und daneben eine, die er wirklich zu sehen bekam. Der Contrast war
stark, doch uicht übertrieben. Die Sennerinnen führen in der Wirklichkeit ein
hartes Leben, voll Arbeit nud Entbehrung: drei bis vier Monate bringen sie
ans der Alpe in der tiefsten Einsamkeit bei den Heerden zu, falls nicht mehrere
Hütten bei einander liegen, und die Sorge für das Vieh, für die Milch und
Käsebereitung macht ihnen genng zu schassen. Fast immer sind es Mägde, denen
dieser schwere Dienst obliegt, und Schönheiten sind unter ihnen gerade nicht sehr
hänfig, weil weibliche Schönheit bekanntlich dnrch nichts so sicher zerstört wird
als durch harte Anstrengungen. Ueberdies liegt es auch nicht gerade im Interesse
der Besitzer der Alpen, schöne Mädchen hinauszuschicken, da diese leicht dnrch zu
häufige Besuche von der Erfüllung ihrer Pflichten abgehalten werden könnten.
Giebt es doch keinen geeigneteren Ort zu einem Stelldichein für Verliebte, als
eine Sennhütte, wo gewöhnlich stundenweit in die Runde keine Seele ist, die
sie belauschen konnte. Die böse Welt, deren Beobachtung die Sennerinnen so
SMz entzogen sind, hält sich dnrch ein allgemeines Mißtrauen gegen ihre Tugend
schadlos. In einem von den "Schnadcrhüpseln" -- jenen kurzen vierzeiligen
Strophen, die im Volksmunde entstehen, und in diesen Gegenden sich meist ans
die Verhältnisse der "Buen" zu den Sennerinnen beziehen -- heißt es:


Im Thal liegt der Nebel, Aus der Alma is klar,
Was d' Laut von mir red'", Is a und all's wahr.

Im Allgemeinen sind diese Schnadcrhüpfeln sehr leichtfertiger Natur und oft nicht
gut untheilbar. Der "Bue" äußert gewöhnlich ziemlich lockere Grundsätze.


Um a Kuh, um a Kalm B'suach i freili kaa Alm,
Um a Senndcrin glei, Ja da bin i dabei.
Auf d' Fray bin i gange Den ganzen Summa
Von der aan zu der andern -- Hab koani guumma.
Du gar so schö's Diendl, I muaß von Dir gehn,
Für die Zeit, wo d' mi g'liebt hast, Bebaut i mi schön.

Die Dirne tröstet sich eben so leicht;


El aus is mit mir Und mein Haus hat koa" Thür
Und mein Thür hat koan Schloß Und mein Schatz bin i los.

und unrichtige Vorstellungen noch immer verbreitet, als über Sennerinnen und Senn¬
hütten. Herumziehende Tyrolersänger, lügenhafte Theaterdichter und begeistcrnngs-
trunkene Touristen haben es dahin gebracht, daß viele Leute sich die Sennerinnen
alö bezaubernd schöne Mädchen in dem ans Theatern üblichen Schwcizercostum vor¬
stellen, die den Gast mit biedern Händedruck, seelenvollem Blick und dem trau¬
lichen Du empfangen und ihm die herrlichsten Volkslieder vortragen, wobei sie
sich aus einer Guitarre begleiten, die an einem blauen Baude hängt; eine schöne
Stimme versteht sich gewissermaßen von selbst. In den fliegenden Blättern war
vor einiger Zeit eine Sennerin dargestellt, wie ein Berliner sie zu sehen erwartet
hatte, und daneben eine, die er wirklich zu sehen bekam. Der Contrast war
stark, doch uicht übertrieben. Die Sennerinnen führen in der Wirklichkeit ein
hartes Leben, voll Arbeit nud Entbehrung: drei bis vier Monate bringen sie
ans der Alpe in der tiefsten Einsamkeit bei den Heerden zu, falls nicht mehrere
Hütten bei einander liegen, und die Sorge für das Vieh, für die Milch und
Käsebereitung macht ihnen genng zu schassen. Fast immer sind es Mägde, denen
dieser schwere Dienst obliegt, und Schönheiten sind unter ihnen gerade nicht sehr
hänfig, weil weibliche Schönheit bekanntlich dnrch nichts so sicher zerstört wird
als durch harte Anstrengungen. Ueberdies liegt es auch nicht gerade im Interesse
der Besitzer der Alpen, schöne Mädchen hinauszuschicken, da diese leicht dnrch zu
häufige Besuche von der Erfüllung ihrer Pflichten abgehalten werden könnten.
Giebt es doch keinen geeigneteren Ort zu einem Stelldichein für Verliebte, als
eine Sennhütte, wo gewöhnlich stundenweit in die Runde keine Seele ist, die
sie belauschen konnte. Die böse Welt, deren Beobachtung die Sennerinnen so
SMz entzogen sind, hält sich dnrch ein allgemeines Mißtrauen gegen ihre Tugend
schadlos. In einem von den „Schnadcrhüpseln" — jenen kurzen vierzeiligen
Strophen, die im Volksmunde entstehen, und in diesen Gegenden sich meist ans
die Verhältnisse der „Buen" zu den Sennerinnen beziehen — heißt es:


Im Thal liegt der Nebel, Aus der Alma is klar,
Was d' Laut von mir red'», Is a und all's wahr.

Im Allgemeinen sind diese Schnadcrhüpfeln sehr leichtfertiger Natur und oft nicht
gut untheilbar. Der „Bue" äußert gewöhnlich ziemlich lockere Grundsätze.


Um a Kuh, um a Kalm B'suach i freili kaa Alm,
Um a Senndcrin glei, Ja da bin i dabei.
Auf d' Fray bin i gange Den ganzen Summa
Von der aan zu der andern — Hab koani guumma.
Du gar so schö's Diendl, I muaß von Dir gehn,
Für die Zeit, wo d' mi g'liebt hast, Bebaut i mi schön.

Die Dirne tröstet sich eben so leicht;


El aus is mit mir Und mein Haus hat koa» Thür
Und mein Thür hat koan Schloß Und mein Schatz bin i los.

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[0063] und unrichtige Vorstellungen noch immer verbreitet, als über Sennerinnen und Senn¬ hütten. Herumziehende Tyrolersänger, lügenhafte Theaterdichter und begeistcrnngs- trunkene Touristen haben es dahin gebracht, daß viele Leute sich die Sennerinnen alö bezaubernd schöne Mädchen in dem ans Theatern üblichen Schwcizercostum vor¬ stellen, die den Gast mit biedern Händedruck, seelenvollem Blick und dem trau¬ lichen Du empfangen und ihm die herrlichsten Volkslieder vortragen, wobei sie sich aus einer Guitarre begleiten, die an einem blauen Baude hängt; eine schöne Stimme versteht sich gewissermaßen von selbst. In den fliegenden Blättern war vor einiger Zeit eine Sennerin dargestellt, wie ein Berliner sie zu sehen erwartet hatte, und daneben eine, die er wirklich zu sehen bekam. Der Contrast war stark, doch uicht übertrieben. Die Sennerinnen führen in der Wirklichkeit ein hartes Leben, voll Arbeit nud Entbehrung: drei bis vier Monate bringen sie ans der Alpe in der tiefsten Einsamkeit bei den Heerden zu, falls nicht mehrere Hütten bei einander liegen, und die Sorge für das Vieh, für die Milch und Käsebereitung macht ihnen genng zu schassen. Fast immer sind es Mägde, denen dieser schwere Dienst obliegt, und Schönheiten sind unter ihnen gerade nicht sehr hänfig, weil weibliche Schönheit bekanntlich dnrch nichts so sicher zerstört wird als durch harte Anstrengungen. Ueberdies liegt es auch nicht gerade im Interesse der Besitzer der Alpen, schöne Mädchen hinauszuschicken, da diese leicht dnrch zu häufige Besuche von der Erfüllung ihrer Pflichten abgehalten werden könnten. Giebt es doch keinen geeigneteren Ort zu einem Stelldichein für Verliebte, als eine Sennhütte, wo gewöhnlich stundenweit in die Runde keine Seele ist, die sie belauschen konnte. Die böse Welt, deren Beobachtung die Sennerinnen so SMz entzogen sind, hält sich dnrch ein allgemeines Mißtrauen gegen ihre Tugend schadlos. In einem von den „Schnadcrhüpseln" — jenen kurzen vierzeiligen Strophen, die im Volksmunde entstehen, und in diesen Gegenden sich meist ans die Verhältnisse der „Buen" zu den Sennerinnen beziehen — heißt es: Im Thal liegt der Nebel, Aus der Alma is klar, Was d' Laut von mir red'», Is a und all's wahr. Im Allgemeinen sind diese Schnadcrhüpfeln sehr leichtfertiger Natur und oft nicht gut untheilbar. Der „Bue" äußert gewöhnlich ziemlich lockere Grundsätze. Um a Kuh, um a Kalm B'suach i freili kaa Alm, Um a Senndcrin glei, Ja da bin i dabei. Auf d' Fray bin i gange Den ganzen Summa Von der aan zu der andern — Hab koani guumma. Du gar so schö's Diendl, I muaß von Dir gehn, Für die Zeit, wo d' mi g'liebt hast, Bebaut i mi schön. Die Dirne tröstet sich eben so leicht; El aus is mit mir Und mein Haus hat koa» Thür Und mein Thür hat koan Schloß Und mein Schatz bin i los.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/63>, abgerufen am 04.07.2024.