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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Andenkens hätten eine solche Concession erhalten. Diese Tendenzen des gesell¬
schaftlichen Geistes scheinen nur von großer Bedeutn"", zu sein und sie erklären
Vieles, was auf politischem Wege ein Räthsel bliebe. Eine Gesellschaft, die
massenhaft solche" Leidenschaften nachgeht, muß in ihrem Schoße Erscheinungen
erzeuge", welche eine Summe gebe", wie die gegenwärtige" Zustände in diesem
merkwürdige" Lande. Wenn man die Beurtheilung der Männer, welche sich trotz
ihrer Vergangenheit offen und entschieden den, gegenwärtigen Systeme anschlie¬
ßen, mit anhört, so kommt mau zur Ueberzeugung, daß es noch mehr Habsucht
ist als Ehrgeiz und Eitelkeit, welche so verschiedene Elemente der politischen Par¬
teien zu derselben Transaction treibt. "Dreißigtausend Franken jährlich," sagte
ein Senator in meiner Gegenwart, "sind selbst für Leute bestimmend, welche
bereits drei- bis vicrhunderttansend Franken Renten besitzen." Wer will es der
Negierung verdenken, daß sie die Gesellschaft beurtheilt, wie sie ist, und sie be¬
handelt wie sie es verdient? Kann man sie allein verdammen, wenn sie vor
Allem die materielle Stimmung unserer Zeit befragend, nur den materiellen In¬
teressen im Staate Geltung zu verschaffe" sucht? Den Freund der Freiheit mag
ein solches System betrüben, aber wer die gegebenen Thatsachen beurtheilt, der
muß gestehen, daß Louis Napoleon mit seinem ,j0 on-ux quo 1v bunt^vt soll,
perils ein eben so passendes Schlagwort für jetzt gesunden, als Ludwig Philipp mit
seineui it nul, Pu; la Llrg,re<z soll in>"z verilv. Seit das Volk an seinen eigenen
Grundsätzen irre geworden, indem es gesehen, daß der Name einer Republik nicht
genüge, es glücklich zu machen, ist es erklärlich, daß es wenigstens zeitweilig zum
andern Extreme überspringend, die Freiheit weniger anstrebend, nnr ans liebe
tägliche Brot denkt. I'unc-in t-t eivLLnsLs ist kein zufälliger Wunsch einer gesun¬
kenen Nation, er drückt vielmehr eine mit Nothwendigkeit aus der Vergangenheit
hervorgegangen allgemeine Richtung aus. Vielleicht -- und das ist Alles was
wir wünschen tonnen -- wird die moralische Reaction, welche in dem Auf- "ut
Abwogen menschlicher Leidenschaften niemals wegbleibt, uns wieder zur schaffen¬
den Mäßigung und würdigen Anschauung zurückführe" -- vor der Hand
ist "och uicht an diesen heilsamen Rückschlag zu denken. Vielleicht haben
wir noch früher eine gesellschaftliche Cvnvnlsio" durchzumachen, welche der demo¬
kratischen Anschauung unserer Zeit, was der dreißigjährige Krieg den Refor-
mationsideen gewesen ist. Größer war die Erschütterung in allen Anschauungen
und geistigen Tendenzen wol niemals, als in diesem Augenblicke. Folgende That¬
sache ist mit el" Beweis dafür.

Unsere Regierung, welche die Forderungen der modernen Gesellschaft auf
dem Wege der Autorität zur Geltung zu bringen sucht -- so wollen wir ihren
eigenen Erklärungen hypothetisch Glanben schenken -- sucht folgerecht die Säulen
der Autvritätöidec, die Armee "ud den Clerus, wieder aufzurichten. Sie thut
sich und ihrer Tradition Gewalt an, sie wagt den letzten Nest der Popularität,


Andenkens hätten eine solche Concession erhalten. Diese Tendenzen des gesell¬
schaftlichen Geistes scheinen nur von großer Bedeutn»«, zu sein und sie erklären
Vieles, was auf politischem Wege ein Räthsel bliebe. Eine Gesellschaft, die
massenhaft solche» Leidenschaften nachgeht, muß in ihrem Schoße Erscheinungen
erzeuge», welche eine Summe gebe», wie die gegenwärtige» Zustände in diesem
merkwürdige» Lande. Wenn man die Beurtheilung der Männer, welche sich trotz
ihrer Vergangenheit offen und entschieden den, gegenwärtigen Systeme anschlie¬
ßen, mit anhört, so kommt mau zur Ueberzeugung, daß es noch mehr Habsucht
ist als Ehrgeiz und Eitelkeit, welche so verschiedene Elemente der politischen Par¬
teien zu derselben Transaction treibt. „Dreißigtausend Franken jährlich," sagte
ein Senator in meiner Gegenwart, „sind selbst für Leute bestimmend, welche
bereits drei- bis vicrhunderttansend Franken Renten besitzen." Wer will es der
Negierung verdenken, daß sie die Gesellschaft beurtheilt, wie sie ist, und sie be¬
handelt wie sie es verdient? Kann man sie allein verdammen, wenn sie vor
Allem die materielle Stimmung unserer Zeit befragend, nur den materiellen In¬
teressen im Staate Geltung zu verschaffe» sucht? Den Freund der Freiheit mag
ein solches System betrüben, aber wer die gegebenen Thatsachen beurtheilt, der
muß gestehen, daß Louis Napoleon mit seinem ,j0 on-ux quo 1v bunt^vt soll,
perils ein eben so passendes Schlagwort für jetzt gesunden, als Ludwig Philipp mit
seineui it nul, Pu; la Llrg,re<z soll in>«z verilv. Seit das Volk an seinen eigenen
Grundsätzen irre geworden, indem es gesehen, daß der Name einer Republik nicht
genüge, es glücklich zu machen, ist es erklärlich, daß es wenigstens zeitweilig zum
andern Extreme überspringend, die Freiheit weniger anstrebend, nnr ans liebe
tägliche Brot denkt. I'unc-in t-t eivLLnsLs ist kein zufälliger Wunsch einer gesun¬
kenen Nation, er drückt vielmehr eine mit Nothwendigkeit aus der Vergangenheit
hervorgegangen allgemeine Richtung aus. Vielleicht — und das ist Alles was
wir wünschen tonnen — wird die moralische Reaction, welche in dem Auf- »ut
Abwogen menschlicher Leidenschaften niemals wegbleibt, uns wieder zur schaffen¬
den Mäßigung und würdigen Anschauung zurückführe» — vor der Hand
ist »och uicht an diesen heilsamen Rückschlag zu denken. Vielleicht haben
wir noch früher eine gesellschaftliche Cvnvnlsio» durchzumachen, welche der demo¬
kratischen Anschauung unserer Zeit, was der dreißigjährige Krieg den Refor-
mationsideen gewesen ist. Größer war die Erschütterung in allen Anschauungen
und geistigen Tendenzen wol niemals, als in diesem Augenblicke. Folgende That¬
sache ist mit el» Beweis dafür.

Unsere Regierung, welche die Forderungen der modernen Gesellschaft auf
dem Wege der Autorität zur Geltung zu bringen sucht — so wollen wir ihren
eigenen Erklärungen hypothetisch Glanben schenken — sucht folgerecht die Säulen
der Autvritätöidec, die Armee »ud den Clerus, wieder aufzurichten. Sie thut
sich und ihrer Tradition Gewalt an, sie wagt den letzten Nest der Popularität,


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[0522] Andenkens hätten eine solche Concession erhalten. Diese Tendenzen des gesell¬ schaftlichen Geistes scheinen nur von großer Bedeutn»«, zu sein und sie erklären Vieles, was auf politischem Wege ein Räthsel bliebe. Eine Gesellschaft, die massenhaft solche» Leidenschaften nachgeht, muß in ihrem Schoße Erscheinungen erzeuge», welche eine Summe gebe», wie die gegenwärtige» Zustände in diesem merkwürdige» Lande. Wenn man die Beurtheilung der Männer, welche sich trotz ihrer Vergangenheit offen und entschieden den, gegenwärtigen Systeme anschlie¬ ßen, mit anhört, so kommt mau zur Ueberzeugung, daß es noch mehr Habsucht ist als Ehrgeiz und Eitelkeit, welche so verschiedene Elemente der politischen Par¬ teien zu derselben Transaction treibt. „Dreißigtausend Franken jährlich," sagte ein Senator in meiner Gegenwart, „sind selbst für Leute bestimmend, welche bereits drei- bis vicrhunderttansend Franken Renten besitzen." Wer will es der Negierung verdenken, daß sie die Gesellschaft beurtheilt, wie sie ist, und sie be¬ handelt wie sie es verdient? Kann man sie allein verdammen, wenn sie vor Allem die materielle Stimmung unserer Zeit befragend, nur den materiellen In¬ teressen im Staate Geltung zu verschaffe» sucht? Den Freund der Freiheit mag ein solches System betrüben, aber wer die gegebenen Thatsachen beurtheilt, der muß gestehen, daß Louis Napoleon mit seinem ,j0 on-ux quo 1v bunt^vt soll, perils ein eben so passendes Schlagwort für jetzt gesunden, als Ludwig Philipp mit seineui it nul, Pu; la Llrg,re<z soll in>«z verilv. Seit das Volk an seinen eigenen Grundsätzen irre geworden, indem es gesehen, daß der Name einer Republik nicht genüge, es glücklich zu machen, ist es erklärlich, daß es wenigstens zeitweilig zum andern Extreme überspringend, die Freiheit weniger anstrebend, nnr ans liebe tägliche Brot denkt. I'unc-in t-t eivLLnsLs ist kein zufälliger Wunsch einer gesun¬ kenen Nation, er drückt vielmehr eine mit Nothwendigkeit aus der Vergangenheit hervorgegangen allgemeine Richtung aus. Vielleicht — und das ist Alles was wir wünschen tonnen — wird die moralische Reaction, welche in dem Auf- »ut Abwogen menschlicher Leidenschaften niemals wegbleibt, uns wieder zur schaffen¬ den Mäßigung und würdigen Anschauung zurückführe» — vor der Hand ist »och uicht an diesen heilsamen Rückschlag zu denken. Vielleicht haben wir noch früher eine gesellschaftliche Cvnvnlsio» durchzumachen, welche der demo¬ kratischen Anschauung unserer Zeit, was der dreißigjährige Krieg den Refor- mationsideen gewesen ist. Größer war die Erschütterung in allen Anschauungen und geistigen Tendenzen wol niemals, als in diesem Augenblicke. Folgende That¬ sache ist mit el» Beweis dafür. Unsere Regierung, welche die Forderungen der modernen Gesellschaft auf dem Wege der Autorität zur Geltung zu bringen sucht — so wollen wir ihren eigenen Erklärungen hypothetisch Glanben schenken — sucht folgerecht die Säulen der Autvritätöidec, die Armee »ud den Clerus, wieder aufzurichten. Sie thut sich und ihrer Tradition Gewalt an, sie wagt den letzten Nest der Popularität,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/522>, abgerufen am 02.07.2024.