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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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bei Schwind zur liebenswürdigsten, graziösesten Heiterkeit. Ich wüßte seineu
Reichthum an Gestalten nur mit dem Mozarts an Melodien zu vergleichen, die
schönsten, scherzhaftesten und übermüthigsten entquillen seinem Griffel mit gleicher
Leichtigkeit, wie der Lerche ihre schmetternden Triller. -- Sein großer Kinderfries
in einem Festsaale der Residenz wird ewig das Meisterwerk derselben bleiben,
seine Einweihung deö Freiburger Münsters im neuen Kunstgebäude in Karlsruhe
immer eine der schönsten Compositionen der Art, die die neuere Kunst hervorge¬
bracht; sein Rhein, eine der lieblichsten Allegorien, deren unendliche Heiterkeit
jedes Herz erwärmen muß, und welche sinnige, naive, anmuthige, scherzhafte Welt
sproßt ans seinen unzähligen Compositionen zu deutschen Mährchen und Sagen,
aus seinem herrlichen Bildcrcyclns zur Geschichte des Schwanenritters in Hohen-
schwangau, aus seinem Ritter Curt und tausend andern hervor, denn eine größere
spiclendere Leichtigkeit der Production möchte wohl niemals zu finden gewesen
sein. -- Der Aufenthalt in Italien hat Schwind gelehrt, den ganzen schwellenden
rhythmischen Reiz italischer und griechischer Kunst auf deutsche Formen überzu¬
tragen, Ghiberti's, Beuozzo Gozzvli's Liebenswürdigkeit für unser" rauhe" Boden
zu gewinnen. Niemand hat glänzendere Widerlegungen gegen den Satz geliefert,
daß deutsche, besonders modern deutsche Trachten und Körperbildungen der künst¬
lerischen Verarbeitung unübersteigliche Hindernisse boten. Nur Ludwig Richter
ist in diesem Genre sein würdiger Nebenbuhler geworden, während sein in engere
Kreise gewöhntes Talent in allem Uebrigen ihm den Vortritt willig ließ.

Sind auch Scherz, Lust und Schönheit vorzugsweise seine Genien, so ist er
doch nicht minder auch des Ernstes und des Ausdrucks der Leidenschaften fähig;
seiue Zeichnung gewinnt den Neiz feinster Individualisirung, denn die kleinste"
charakteristischen Züge liefert ihm sein herrliches Formeugedächtuiß, mit dem rein¬
sten und harmonisch edelsten Styl. -- Es kann nicht verkannt werde", daß es
die Besonderheit seines Talents zu sein scheint, mehr schöne Arabesken um ein
gegebenes Thema zu macheu, als in die Mitte eines Stoffs zu greifen, und die
ganze sittliche Macht desselben zur Erscheinung zu bringen. Ebensowenig dürfen
wir verschweige", daß dieselbe Abschwächung der Wirkung durch die Ausführung
im Malen wie bei Cornelius und Kaulbach auch bei ihm mehr oder weniger stattfindet;
daß seine Formeu, statt durch dieselbe belebter, stumpfer werde", und daß, we"u
die Grazie" de" innigsten Bund mit seinem Griffel geschlossen haben, sie doch schwerlich
jemals auf seiner Palette gesessen haben, deren Farbe" allerdings i" Oel des
Lebens entbehren, während dies beim Fresco viel weniger hervortritt, und nicht
störender wirkt als z. B. bei dem ebenerwähnten Beuozzo Gozzoli, dessen Bilder
seit Jahrhunderten die Freude der Gebildeten ausmachen; ja mau kau" wohl
sage", daß Schwind'S ganz jenem große" Italiener verwandtes Talent, densel¬
ben an Schönheit und Correctheit der Zeichnung weit übertrifft, ohne hinter ihm
in der Cvloriruug zurückzustehen.


bei Schwind zur liebenswürdigsten, graziösesten Heiterkeit. Ich wüßte seineu
Reichthum an Gestalten nur mit dem Mozarts an Melodien zu vergleichen, die
schönsten, scherzhaftesten und übermüthigsten entquillen seinem Griffel mit gleicher
Leichtigkeit, wie der Lerche ihre schmetternden Triller. — Sein großer Kinderfries
in einem Festsaale der Residenz wird ewig das Meisterwerk derselben bleiben,
seine Einweihung deö Freiburger Münsters im neuen Kunstgebäude in Karlsruhe
immer eine der schönsten Compositionen der Art, die die neuere Kunst hervorge¬
bracht; sein Rhein, eine der lieblichsten Allegorien, deren unendliche Heiterkeit
jedes Herz erwärmen muß, und welche sinnige, naive, anmuthige, scherzhafte Welt
sproßt ans seinen unzähligen Compositionen zu deutschen Mährchen und Sagen,
aus seinem herrlichen Bildcrcyclns zur Geschichte des Schwanenritters in Hohen-
schwangau, aus seinem Ritter Curt und tausend andern hervor, denn eine größere
spiclendere Leichtigkeit der Production möchte wohl niemals zu finden gewesen
sein. — Der Aufenthalt in Italien hat Schwind gelehrt, den ganzen schwellenden
rhythmischen Reiz italischer und griechischer Kunst auf deutsche Formen überzu¬
tragen, Ghiberti's, Beuozzo Gozzvli's Liebenswürdigkeit für unser» rauhe» Boden
zu gewinnen. Niemand hat glänzendere Widerlegungen gegen den Satz geliefert,
daß deutsche, besonders modern deutsche Trachten und Körperbildungen der künst¬
lerischen Verarbeitung unübersteigliche Hindernisse boten. Nur Ludwig Richter
ist in diesem Genre sein würdiger Nebenbuhler geworden, während sein in engere
Kreise gewöhntes Talent in allem Uebrigen ihm den Vortritt willig ließ.

Sind auch Scherz, Lust und Schönheit vorzugsweise seine Genien, so ist er
doch nicht minder auch des Ernstes und des Ausdrucks der Leidenschaften fähig;
seiue Zeichnung gewinnt den Neiz feinster Individualisirung, denn die kleinste»
charakteristischen Züge liefert ihm sein herrliches Formeugedächtuiß, mit dem rein¬
sten und harmonisch edelsten Styl. — Es kann nicht verkannt werde», daß es
die Besonderheit seines Talents zu sein scheint, mehr schöne Arabesken um ein
gegebenes Thema zu macheu, als in die Mitte eines Stoffs zu greifen, und die
ganze sittliche Macht desselben zur Erscheinung zu bringen. Ebensowenig dürfen
wir verschweige», daß dieselbe Abschwächung der Wirkung durch die Ausführung
im Malen wie bei Cornelius und Kaulbach auch bei ihm mehr oder weniger stattfindet;
daß seine Formeu, statt durch dieselbe belebter, stumpfer werde», und daß, we»u
die Grazie» de» innigsten Bund mit seinem Griffel geschlossen haben, sie doch schwerlich
jemals auf seiner Palette gesessen haben, deren Farbe» allerdings i» Oel des
Lebens entbehren, während dies beim Fresco viel weniger hervortritt, und nicht
störender wirkt als z. B. bei dem ebenerwähnten Beuozzo Gozzoli, dessen Bilder
seit Jahrhunderten die Freude der Gebildeten ausmachen; ja mau kau» wohl
sage», daß Schwind'S ganz jenem große» Italiener verwandtes Talent, densel¬
ben an Schönheit und Correctheit der Zeichnung weit übertrifft, ohne hinter ihm
in der Cvloriruug zurückzustehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/514>, abgerufen am 04.07.2024.