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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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legenden die Octroyirung auszuschließen. Abweichend von dem sonst üblichen
Verfahren hatte die Kammer unter ausdrücklichen Vorbehalt der Abstimmung
über das Amendement zuerst über die Beseitigung des Art. 103 abgestimmt, da
das Amendement auch nur für den Fall gestellt war, daß diese Beseitigung be¬
liebt werden sollte. Der Herr Minister des Innern war gleich bereit, die Ab¬
weichung von dem regulären Verfahren in seinem Sinne zu benutzen; er erklärte
Art. -106 für definitiv beseitigt und machte die Frage, ob er dnrch das erwähnte
Amendement ersetzt werden sollte, von der Zustimmung der Regierung abhängig,
-- als ob das Amendement ein ganz selbstständiger Antrag und die Beseitigung
des Art. 106 nicht mit Rücksicht auf die ausdrücklich vorbehaltene Abstimmung
über das Amendement erfolgt wäre. Allein die Klarheit und Festigkeit des
Präsidenten vereitelte diesen Versuch; er stellte das Sachverhältniß fest und er¬
klärte, daß die Frage wegen Beseitigung deö Art. 103 noch nicht erledigt sei.
Es wird demnach über das jetzt angenommene Amendement nach drei Wochen
zum zweiten Mal abgestimmt werden; wiederholt die Kammer ihren jetzigen Be¬
schluß, so wird er zunächst dem andern Hause mitgetheilt, um dessen Zustimmung
zu erwirken.


Die Siege Louis Napoleon's lassen den Hof von Madrid
nicht schlafen, d. h. die Siege, welche der französische Machthaber über die
durch die mühevollen Kämpfe zweier Generationen erworbenen Institutionen Frank¬
reichs davongetragen, denn von andern weiß die Geschichte bis jetzt nicht zu
berichten, man müßte denn zu denen gehören, die an das "rothe Gespenst" glau¬
ben, das nach den Versicherungen der kaiserlichen Hof- und Leibjournalisten, des
Apostaten Guerrouiere, des Socialisten Cüftua, und des literarischen Bravo
Cassagnac vor der "rettenden That" des zweiten Dezember zerstoben sein soll.
Leider befindet sich der spanische Hof nicht in der glücklichen Lage, ein rothes Gespenst
zur Ueberwindung des Parlamentarismus citiren zu können; er gleicht viel eher
jenem Manne, welcher sagte: "ich kann anch Geister rufen, aber sie kommen
nicht." Diese Art von Geisterbeschwörung erweckt in Spanien keine Furcht, denn
sie findet keinen Glauben. Man hat mit der Verfassung das Jahr -1848 glück¬
lich überwunden, und es ist gar kein Grund vorhanden zu befürchten, daß man
jetzt nicht mit ihr weiter kommen sollte.

Da die Staatsrettung also beim besten Willen nicht vorzuschieben ist, so
bleibt als Motto für die Madrider Politik nnr noch der schöne Wahlspruch des
alten französischen Königthums übrig: "cur tot t-se notre; xlaisir", u"d bei der
gewissenhaftesten Forschung ist es unmöglich, ein anderes Motiv dafür aufzufinden.
Der Constitutionalismus belästigt den Hof, die Königin Mutter und die Kama¬
rilla, deshalb soll er gut oder übel beseitigt werden; der Absolutismus bietet
dagegen die verlockendsten Aussichten dar; deshalb will man ihn so viel und


legenden die Octroyirung auszuschließen. Abweichend von dem sonst üblichen
Verfahren hatte die Kammer unter ausdrücklichen Vorbehalt der Abstimmung
über das Amendement zuerst über die Beseitigung des Art. 103 abgestimmt, da
das Amendement auch nur für den Fall gestellt war, daß diese Beseitigung be¬
liebt werden sollte. Der Herr Minister des Innern war gleich bereit, die Ab¬
weichung von dem regulären Verfahren in seinem Sinne zu benutzen; er erklärte
Art. -106 für definitiv beseitigt und machte die Frage, ob er dnrch das erwähnte
Amendement ersetzt werden sollte, von der Zustimmung der Regierung abhängig,
— als ob das Amendement ein ganz selbstständiger Antrag und die Beseitigung
des Art. 106 nicht mit Rücksicht auf die ausdrücklich vorbehaltene Abstimmung
über das Amendement erfolgt wäre. Allein die Klarheit und Festigkeit des
Präsidenten vereitelte diesen Versuch; er stellte das Sachverhältniß fest und er¬
klärte, daß die Frage wegen Beseitigung deö Art. 103 noch nicht erledigt sei.
Es wird demnach über das jetzt angenommene Amendement nach drei Wochen
zum zweiten Mal abgestimmt werden; wiederholt die Kammer ihren jetzigen Be¬
schluß, so wird er zunächst dem andern Hause mitgetheilt, um dessen Zustimmung
zu erwirken.


Die Siege Louis Napoleon's lassen den Hof von Madrid
nicht schlafen, d. h. die Siege, welche der französische Machthaber über die
durch die mühevollen Kämpfe zweier Generationen erworbenen Institutionen Frank¬
reichs davongetragen, denn von andern weiß die Geschichte bis jetzt nicht zu
berichten, man müßte denn zu denen gehören, die an das „rothe Gespenst" glau¬
ben, das nach den Versicherungen der kaiserlichen Hof- und Leibjournalisten, des
Apostaten Guerrouiere, des Socialisten Cüftua, und des literarischen Bravo
Cassagnac vor der „rettenden That" des zweiten Dezember zerstoben sein soll.
Leider befindet sich der spanische Hof nicht in der glücklichen Lage, ein rothes Gespenst
zur Ueberwindung des Parlamentarismus citiren zu können; er gleicht viel eher
jenem Manne, welcher sagte: „ich kann anch Geister rufen, aber sie kommen
nicht." Diese Art von Geisterbeschwörung erweckt in Spanien keine Furcht, denn
sie findet keinen Glauben. Man hat mit der Verfassung das Jahr -1848 glück¬
lich überwunden, und es ist gar kein Grund vorhanden zu befürchten, daß man
jetzt nicht mit ihr weiter kommen sollte.

Da die Staatsrettung also beim besten Willen nicht vorzuschieben ist, so
bleibt als Motto für die Madrider Politik nnr noch der schöne Wahlspruch des
alten französischen Königthums übrig: „cur tot t-se notre; xlaisir", u»d bei der
gewissenhaftesten Forschung ist es unmöglich, ein anderes Motiv dafür aufzufinden.
Der Constitutionalismus belästigt den Hof, die Königin Mutter und die Kama¬
rilla, deshalb soll er gut oder übel beseitigt werden; der Absolutismus bietet
dagegen die verlockendsten Aussichten dar; deshalb will man ihn so viel und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/480>, abgerufen am 04.07.2024.