Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fricdenheit gereiche. Die Forderung von Durazzo ist von der Pforte nicht accep-
tirt, und in Folge dessen vom Grafen Leiningen zurückgezogen worden. Man
glaubt, und wie ich denke nicht mit Unrecht, daß Oestreich bei diesem Punkte
auf russische und englische verborgene Interessen stieß, und aus diesem Grund
sich nachgiebig zeigte. Mindestens wird die, von mir bereits annoncirte Conferenz,
welche der englische und russische Geschäftsträger um die Mitte der vergangenen
Woche mit Fnad Effendi hatten, in der Art ausgelegt, als hätten jene Diplomaten
damals ein jeder für sich, dem Pfortenminister Protest-Noten überreicht.

In den letzten Tagen redete man wiederum ernstlicher von der bevorstehen¬
den Ankunft eines außerordentlichen russischen Botschafters, mit ähnlichen Auf¬
trägen als die, welche Graf Leiningen auszurichten hatte. Käme er wirklich, so
würde er Canning Discount Ratcliffe) auf seinem Posten, und zum allerenergisch-
sten Widerstände bereit finden. Man würde dann aufs Neue nach langer Zeit
wieder erfahren, in welchem Maße ein in sich und mit der Boltsrepräsentation in
Uebereinstimmung handelndes brittischeS Ministerium seineu auswärtigen Vertreter
zu kräftigen, und deu Maßregeln, die er nimmt, Nachdruck zu verleihen vermag.

Was der Pforte innerhalb der letzteren vierzehn Tage begegnete, wird nir¬
gends schmerzlicher empfunden werden, wie in England, und wenn Aberdeen
Neigung für Oestreich empfindet, und diesem alten Verbündeten Englands auf dem
Continent Zugeständnisse zu machen willig ist, so weiß er sich doch, das ist offen¬
kundig, ohne solche Rücksichten dem Czarcnreich gegenüber.


In den Artikeln der "Grenzboten", über die neue-
sten Gemeindeordnung-Entioürfe ist bereits hervorgehoben worden, daß die Be¬
stimmung der Laudgemeindeordnungen, nach welcher die Juden vou Commuual-
ämtern ausgeschlossen werde", nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen
das dnrch die Bundesacte garantirte Edict vou 18-12 verstößt. I" den letzten
Wochen sind in der That ans mehreren Ortschaften Petitionen jüdischer Bewohner
eingelaufen, welche sich ans die erwähnten gesetzlichen Bestimmiiugen stützen und
gegen eine Beeinträchtign""!,, sogar der vormärzlichen Rechte der Judenschaft,
Protest einlegen. Bei dem engherzigen und fanatischen Si"n, der die Mehrheit
unsrer ersten Kammer bezeichnet, war allerdings nicht zu erwarten, daß dieses
Haus bei der Berathung der Laudgemeindeordnungen auf je"e Stimmen Rücksicht
nehmen würde; allein das schien nicht zweifelhaft, daß die Beibehaltung der
judenfeindlichen Bestimmung eine Abänderung der Verfassung nothwendig machen
würde; denn diese ordnet im Art. 12 ausdrücklich an: "der Genuß der bürger¬
liche" und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiöse" Bekennt-
niß." Man sollte es für ganz uinuöglich halten, daß Jemand in einer Bestimmung,
durch welche eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte, das Recht zu Cvmmnnal-
ämtern zugelassen zu werden, vou dem Bekenntniß der christlichen Religion


S9^

fricdenheit gereiche. Die Forderung von Durazzo ist von der Pforte nicht accep-
tirt, und in Folge dessen vom Grafen Leiningen zurückgezogen worden. Man
glaubt, und wie ich denke nicht mit Unrecht, daß Oestreich bei diesem Punkte
auf russische und englische verborgene Interessen stieß, und aus diesem Grund
sich nachgiebig zeigte. Mindestens wird die, von mir bereits annoncirte Conferenz,
welche der englische und russische Geschäftsträger um die Mitte der vergangenen
Woche mit Fnad Effendi hatten, in der Art ausgelegt, als hätten jene Diplomaten
damals ein jeder für sich, dem Pfortenminister Protest-Noten überreicht.

In den letzten Tagen redete man wiederum ernstlicher von der bevorstehen¬
den Ankunft eines außerordentlichen russischen Botschafters, mit ähnlichen Auf¬
trägen als die, welche Graf Leiningen auszurichten hatte. Käme er wirklich, so
würde er Canning Discount Ratcliffe) auf seinem Posten, und zum allerenergisch-
sten Widerstände bereit finden. Man würde dann aufs Neue nach langer Zeit
wieder erfahren, in welchem Maße ein in sich und mit der Boltsrepräsentation in
Uebereinstimmung handelndes brittischeS Ministerium seineu auswärtigen Vertreter
zu kräftigen, und deu Maßregeln, die er nimmt, Nachdruck zu verleihen vermag.

Was der Pforte innerhalb der letzteren vierzehn Tage begegnete, wird nir¬
gends schmerzlicher empfunden werden, wie in England, und wenn Aberdeen
Neigung für Oestreich empfindet, und diesem alten Verbündeten Englands auf dem
Continent Zugeständnisse zu machen willig ist, so weiß er sich doch, das ist offen¬
kundig, ohne solche Rücksichten dem Czarcnreich gegenüber.


In den Artikeln der „Grenzboten", über die neue-
sten Gemeindeordnung-Entioürfe ist bereits hervorgehoben worden, daß die Be¬
stimmung der Laudgemeindeordnungen, nach welcher die Juden vou Commuual-
ämtern ausgeschlossen werde», nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen
das dnrch die Bundesacte garantirte Edict vou 18-12 verstößt. I» den letzten
Wochen sind in der That ans mehreren Ortschaften Petitionen jüdischer Bewohner
eingelaufen, welche sich ans die erwähnten gesetzlichen Bestimmiiugen stützen und
gegen eine Beeinträchtign»»!,, sogar der vormärzlichen Rechte der Judenschaft,
Protest einlegen. Bei dem engherzigen und fanatischen Si»n, der die Mehrheit
unsrer ersten Kammer bezeichnet, war allerdings nicht zu erwarten, daß dieses
Haus bei der Berathung der Laudgemeindeordnungen auf je»e Stimmen Rücksicht
nehmen würde; allein das schien nicht zweifelhaft, daß die Beibehaltung der
judenfeindlichen Bestimmung eine Abänderung der Verfassung nothwendig machen
würde; denn diese ordnet im Art. 12 ausdrücklich an: „der Genuß der bürger¬
liche» und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiöse« Bekennt-
niß." Man sollte es für ganz uinuöglich halten, daß Jemand in einer Bestimmung,
durch welche eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte, das Recht zu Cvmmnnal-
ämtern zugelassen zu werden, vou dem Bekenntniß der christlichen Religion


S9^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186351"/>
            <p xml:id="ID_1503" prev="#ID_1502"> fricdenheit gereiche. Die Forderung von Durazzo ist von der Pforte nicht accep-<lb/>
tirt, und in Folge dessen vom Grafen Leiningen zurückgezogen worden. Man<lb/>
glaubt, und wie ich denke nicht mit Unrecht, daß Oestreich bei diesem Punkte<lb/>
auf russische und englische verborgene Interessen stieß, und aus diesem Grund<lb/>
sich nachgiebig zeigte. Mindestens wird die, von mir bereits annoncirte Conferenz,<lb/>
welche der englische und russische Geschäftsträger um die Mitte der vergangenen<lb/>
Woche mit Fnad Effendi hatten, in der Art ausgelegt, als hätten jene Diplomaten<lb/>
damals ein jeder für sich, dem Pfortenminister Protest-Noten überreicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1504"> In den letzten Tagen redete man wiederum ernstlicher von der bevorstehen¬<lb/>
den Ankunft eines außerordentlichen russischen Botschafters, mit ähnlichen Auf¬<lb/>
trägen als die, welche Graf Leiningen auszurichten hatte. Käme er wirklich, so<lb/>
würde er Canning Discount Ratcliffe) auf seinem Posten, und zum allerenergisch-<lb/>
sten Widerstände bereit finden. Man würde dann aufs Neue nach langer Zeit<lb/>
wieder erfahren, in welchem Maße ein in sich und mit der Boltsrepräsentation in<lb/>
Uebereinstimmung handelndes brittischeS Ministerium seineu auswärtigen Vertreter<lb/>
zu kräftigen, und deu Maßregeln, die er nimmt, Nachdruck zu verleihen vermag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1505"> Was der Pforte innerhalb der letzteren vierzehn Tage begegnete, wird nir¬<lb/>
gends schmerzlicher empfunden werden, wie in England, und wenn Aberdeen<lb/>
Neigung für Oestreich empfindet, und diesem alten Verbündeten Englands auf dem<lb/>
Continent Zugeständnisse zu machen willig ist, so weiß er sich doch, das ist offen¬<lb/>
kundig, ohne solche Rücksichten dem Czarcnreich gegenüber.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> </head>
            <p xml:id="ID_1506" next="#ID_1507"> In den Artikeln der &#x201E;Grenzboten", über die neue-<lb/>
sten Gemeindeordnung-Entioürfe ist bereits hervorgehoben worden, daß die Be¬<lb/>
stimmung der Laudgemeindeordnungen, nach welcher die Juden vou Commuual-<lb/>
ämtern ausgeschlossen werde», nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen<lb/>
das dnrch die Bundesacte garantirte Edict vou 18-12 verstößt. I» den letzten<lb/>
Wochen sind in der That ans mehreren Ortschaften Petitionen jüdischer Bewohner<lb/>
eingelaufen, welche sich ans die erwähnten gesetzlichen Bestimmiiugen stützen und<lb/>
gegen eine Beeinträchtign»»!,, sogar der vormärzlichen Rechte der Judenschaft,<lb/>
Protest einlegen. Bei dem engherzigen und fanatischen Si»n, der die Mehrheit<lb/>
unsrer ersten Kammer bezeichnet, war allerdings nicht zu erwarten, daß dieses<lb/>
Haus bei der Berathung der Laudgemeindeordnungen auf je»e Stimmen Rücksicht<lb/>
nehmen würde; allein das schien nicht zweifelhaft, daß die Beibehaltung der<lb/>
judenfeindlichen Bestimmung eine Abänderung der Verfassung nothwendig machen<lb/>
würde; denn diese ordnet im Art. 12 ausdrücklich an: &#x201E;der Genuß der bürger¬<lb/>
liche» und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiöse« Bekennt-<lb/>
niß." Man sollte es für ganz uinuöglich halten, daß Jemand in einer Bestimmung,<lb/>
durch welche eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte, das Recht zu Cvmmnnal-<lb/>
ämtern zugelassen zu werden, vou dem Bekenntniß der christlichen Religion</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> S9^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] fricdenheit gereiche. Die Forderung von Durazzo ist von der Pforte nicht accep- tirt, und in Folge dessen vom Grafen Leiningen zurückgezogen worden. Man glaubt, und wie ich denke nicht mit Unrecht, daß Oestreich bei diesem Punkte auf russische und englische verborgene Interessen stieß, und aus diesem Grund sich nachgiebig zeigte. Mindestens wird die, von mir bereits annoncirte Conferenz, welche der englische und russische Geschäftsträger um die Mitte der vergangenen Woche mit Fnad Effendi hatten, in der Art ausgelegt, als hätten jene Diplomaten damals ein jeder für sich, dem Pfortenminister Protest-Noten überreicht. In den letzten Tagen redete man wiederum ernstlicher von der bevorstehen¬ den Ankunft eines außerordentlichen russischen Botschafters, mit ähnlichen Auf¬ trägen als die, welche Graf Leiningen auszurichten hatte. Käme er wirklich, so würde er Canning Discount Ratcliffe) auf seinem Posten, und zum allerenergisch- sten Widerstände bereit finden. Man würde dann aufs Neue nach langer Zeit wieder erfahren, in welchem Maße ein in sich und mit der Boltsrepräsentation in Uebereinstimmung handelndes brittischeS Ministerium seineu auswärtigen Vertreter zu kräftigen, und deu Maßregeln, die er nimmt, Nachdruck zu verleihen vermag. Was der Pforte innerhalb der letzteren vierzehn Tage begegnete, wird nir¬ gends schmerzlicher empfunden werden, wie in England, und wenn Aberdeen Neigung für Oestreich empfindet, und diesem alten Verbündeten Englands auf dem Continent Zugeständnisse zu machen willig ist, so weiß er sich doch, das ist offen¬ kundig, ohne solche Rücksichten dem Czarcnreich gegenüber. In den Artikeln der „Grenzboten", über die neue- sten Gemeindeordnung-Entioürfe ist bereits hervorgehoben worden, daß die Be¬ stimmung der Laudgemeindeordnungen, nach welcher die Juden vou Commuual- ämtern ausgeschlossen werde», nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen das dnrch die Bundesacte garantirte Edict vou 18-12 verstößt. I» den letzten Wochen sind in der That ans mehreren Ortschaften Petitionen jüdischer Bewohner eingelaufen, welche sich ans die erwähnten gesetzlichen Bestimmiiugen stützen und gegen eine Beeinträchtign»»!,, sogar der vormärzlichen Rechte der Judenschaft, Protest einlegen. Bei dem engherzigen und fanatischen Si»n, der die Mehrheit unsrer ersten Kammer bezeichnet, war allerdings nicht zu erwarten, daß dieses Haus bei der Berathung der Laudgemeindeordnungen auf je»e Stimmen Rücksicht nehmen würde; allein das schien nicht zweifelhaft, daß die Beibehaltung der judenfeindlichen Bestimmung eine Abänderung der Verfassung nothwendig machen würde; denn diese ordnet im Art. 12 ausdrücklich an: „der Genuß der bürger¬ liche» und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiöse« Bekennt- niß." Man sollte es für ganz uinuöglich halten, daß Jemand in einer Bestimmung, durch welche eines der wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte, das Recht zu Cvmmnnal- ämtern zugelassen zu werden, vou dem Bekenntniß der christlichen Religion S9^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/475>, abgerufen am 28.12.2024.