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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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legten sie das Gewicht der Entscheidung, und zwar durch ihre moralische Kraft
allein, in die Wage, mit welcher die Geschicke des äußersten Nordwestens unseres
Vaterlandes gewogen wurden, und östreichische Rosse wurden aus den Fluchen
der Cyder getränkt.

So viel Schall und Klang das Alles hat, und wie schwer seine innere Be¬
deutung ist -- den eigentlichen Nerv für die große Reihe von Folgen, der sich
daran knüpfte, legte dennoch erst die östreichische Diplomatie hinein. Sie war
es, welche in einem Momente, an den es nicht gut ist, zu erinnern, Preußen zur
zweiten Macht, nicht nur in Deutschland überhaupt, sondern im Speciellen im
Norden Dentschlands, wo Oestreich sodann als erste gebot, herabdrückte -- sie ist
es jetzt wiederum gewesen, welche ohne Zuthun einer militärischen Kraftanstrengung,
ja ohne allen kriegerischen Apparat, fast lediglich durch Aufstellung einiger Ba¬
taillone im Kreise Cattaro und an sonstigen Grenzpunkten unterstützt, der ottoma-
nischen Pforte Bedingungen aufgezwungen hat, die noch demüthigender sind, wie
die von Olmütz.

Die Krisis ist beendet. Man konnte mit Recht darob in Wien Vic¬
toria schießen lassen, denn es ist ein großer Sieg, den man, und zwar ohne alle
Verluste, aus friedlichem Wege, selbst ohne ein paar Audienzen des Grafen Leiningen
beim Großvezier, ohne einige Konferenzen mit dem Minister des Auswärtigen,
lediglich durch zwei oder drei Noten, durch ruhiges Abwarten, durch Gemessen¬
heit, Zähigkeit und eine Consequenz ohne Gleichen erreicht hat.

Mehr erreichte Oestreich in allen Kriegen nicht, die eS seit Anbeginn seiner
Herrschaft an der unteren Donau mit den Ottomanen geführt. Mehr selbst ernd-
tete Rußland nicht einmal, mit all seiner Schlauheit, dem Eifer, der strengen
Schule und der Schmiegsamkeit seiner Diplomatie seit etwa Jahren. England
und Frankreich aber haben niemals zu Stambul einen ähnlichen Vertrag erlangt,
wie der ist, deu Graf Leiningen am Sonnabend den 13. d. Mes zur Notistcativn
nach Wien sendete.

Die Geschicklichkeit dieses Unterhändlers giebt noch nicht die volle Erklärung
über die Möglichkeit eiues solchen Triumphes. Allerdings laufen alle Gründe
dieses beispiellosen diplomatischen Erfolges auf die Meisterschaft in der Benutzung
der Umstände hinaus -- aber eben diese Umstände mußten sich bieten, um benutzt
werden zu können; man schafft nur in seltenen Fällen die Situation, innerhalb
welcher man agirt, und im internationalen staatlichen Verkehr geschieht es fast nie.

Es muß als ein verhängnißvoller Fehler des Fnfionscabincts in England be¬
zeichnet werden, daß es die sich vorbereitende Krisis zu spät wahrgenommen, und
erst da dem Viscount Stratsord of Ratcliffe Ordre auf seinen Posten zu gehen
ertheilte, als hier die Entscheidung gewogen wurde. Diese Ordre wurde nämlich
erst an demselben Tage in Downing Straal ausgefertigt, wo man dort vom
brittischen Gesandten in Wien die Notification von der bevorstehenden Sendung


Grenzboten. l, 18ü!Z. S!)

legten sie das Gewicht der Entscheidung, und zwar durch ihre moralische Kraft
allein, in die Wage, mit welcher die Geschicke des äußersten Nordwestens unseres
Vaterlandes gewogen wurden, und östreichische Rosse wurden aus den Fluchen
der Cyder getränkt.

So viel Schall und Klang das Alles hat, und wie schwer seine innere Be¬
deutung ist — den eigentlichen Nerv für die große Reihe von Folgen, der sich
daran knüpfte, legte dennoch erst die östreichische Diplomatie hinein. Sie war
es, welche in einem Momente, an den es nicht gut ist, zu erinnern, Preußen zur
zweiten Macht, nicht nur in Deutschland überhaupt, sondern im Speciellen im
Norden Dentschlands, wo Oestreich sodann als erste gebot, herabdrückte — sie ist
es jetzt wiederum gewesen, welche ohne Zuthun einer militärischen Kraftanstrengung,
ja ohne allen kriegerischen Apparat, fast lediglich durch Aufstellung einiger Ba¬
taillone im Kreise Cattaro und an sonstigen Grenzpunkten unterstützt, der ottoma-
nischen Pforte Bedingungen aufgezwungen hat, die noch demüthigender sind, wie
die von Olmütz.

Die Krisis ist beendet. Man konnte mit Recht darob in Wien Vic¬
toria schießen lassen, denn es ist ein großer Sieg, den man, und zwar ohne alle
Verluste, aus friedlichem Wege, selbst ohne ein paar Audienzen des Grafen Leiningen
beim Großvezier, ohne einige Konferenzen mit dem Minister des Auswärtigen,
lediglich durch zwei oder drei Noten, durch ruhiges Abwarten, durch Gemessen¬
heit, Zähigkeit und eine Consequenz ohne Gleichen erreicht hat.

Mehr erreichte Oestreich in allen Kriegen nicht, die eS seit Anbeginn seiner
Herrschaft an der unteren Donau mit den Ottomanen geführt. Mehr selbst ernd-
tete Rußland nicht einmal, mit all seiner Schlauheit, dem Eifer, der strengen
Schule und der Schmiegsamkeit seiner Diplomatie seit etwa Jahren. England
und Frankreich aber haben niemals zu Stambul einen ähnlichen Vertrag erlangt,
wie der ist, deu Graf Leiningen am Sonnabend den 13. d. Mes zur Notistcativn
nach Wien sendete.

Die Geschicklichkeit dieses Unterhändlers giebt noch nicht die volle Erklärung
über die Möglichkeit eiues solchen Triumphes. Allerdings laufen alle Gründe
dieses beispiellosen diplomatischen Erfolges auf die Meisterschaft in der Benutzung
der Umstände hinaus — aber eben diese Umstände mußten sich bieten, um benutzt
werden zu können; man schafft nur in seltenen Fällen die Situation, innerhalb
welcher man agirt, und im internationalen staatlichen Verkehr geschieht es fast nie.

Es muß als ein verhängnißvoller Fehler des Fnfionscabincts in England be¬
zeichnet werden, daß es die sich vorbereitende Krisis zu spät wahrgenommen, und
erst da dem Viscount Stratsord of Ratcliffe Ordre auf seinen Posten zu gehen
ertheilte, als hier die Entscheidung gewogen wurde. Diese Ordre wurde nämlich
erst an demselben Tage in Downing Straal ausgefertigt, wo man dort vom
brittischen Gesandten in Wien die Notification von der bevorstehenden Sendung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/473>, abgerufen am 24.07.2024.