Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.die Ungerechtigkeit dadurch gehoben, daß man den schon bisher vollständig be¬ Die heutige Debatte hat gelehrt, daß die von dem Herrn Minister des die Ungerechtigkeit dadurch gehoben, daß man den schon bisher vollständig be¬ Die heutige Debatte hat gelehrt, daß die von dem Herrn Minister des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186313"/> <p xml:id="ID_1362" prev="#ID_1361"> die Ungerechtigkeit dadurch gehoben, daß man den schon bisher vollständig be¬<lb/> lasteten Personen noch die neue Last aufbürdet, die Capitalien zusammenzubringen,<lb/> welche man braucht, um die bisher Bevorzugten für die Beseitigung der Bor¬<lb/> dseite, die sie zur unbilligen Benachteiligung ihrer Mitbürger lange genug ge¬<lb/> nossen haben, für alle Zeiten zu entschädigen? Heißt das nicht, ein Unrecht durch<lb/> ein anderes —und, streng genommen, genau durch dieselbe Art des Unrechts—<lb/> wieder gut machen? So herrscht in den beiden Gesetzentwürfen ein directer Wider¬<lb/> spruch. Ehe man dem Privilegirten als Entschädigung bedeutende Capitalien in<lb/> die Hände giebt, ans dem Beutel der Belasteten, ist es besser, daß Alles beim<lb/> Alten bleibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1363" next="#ID_1364"> Die heutige Debatte hat gelehrt, daß die von dem Herrn Minister des<lb/> Innern mit so großer Liebe gepflegten „ provinziellen Eigenthümlichkeiten" bereits<lb/> im besten Gedeihen begriffen sind. Bei der Heftigkeit, mit der die Regulirung<lb/> der Grundsteuer von den Rheinländern gefordert wird, nud bei der Zähigkeit,<lb/> mit der die Junker der östlichen Provinzen an der Exemtion als an einem<lb/> Privilegium festhalten, lag die Gefahr nahe, daß die Debatte eine unerquick-<lb/> liche Wendung nahm. Jetzt, da die Beurtheilung politischer Fragen vom pro¬<lb/> vinziellen Standpunkte ans eine gewisse Sanction erhalten hat, war es um so<lb/> natürlicher, daß sich die bittersten Anschuldigungen des Ostens gegen den Westen,<lb/> und umgekehrt, boren ließen. Herr v. Gerlach begann natürlich das Kreuzfeuer; und ist<lb/> es nach diesem Vorgänge zu verwundern, wenn die Abgeordneten der westlichen<lb/> Provinzen, falls nun einmal die provinziellen Interessen scharf gesondert werden<lb/> sollen, von dieser Sonderung bei einer Frage Gebrauch machen, bei der sie gerade<lb/> vom provinziellen Standpunkte aus die schärfsten Waffen für die von ihnen ver¬<lb/> tretene Ansicht finden? Die beliebte Hinweisung, daß die Rheinland? eroberte<lb/> Provinzen wären, wurde von dem Abgeordneten v. Gerlach auch heute wieder¬<lb/> holt; sie rief die entrüstete Entgegnung des Abg. v. Ketteler, eines conservativen<lb/> Mitgliedes der katholischen Fraction, hervor, daß, wenn der Grundsatz Platz<lb/> griffe, die Rheinlande als eroberte Provinzen zu betrachten, die rheinischen Ab¬<lb/> geordneten nicht in dieses Haus gehörten. Da haben Sie ein Pröbchen des<lb/> Segens, der uns ans der Schärsung der provinziellen Gegensätze erwächst. Auch<lb/> in den einzelnen Fractionen greift die Zwietracht um sich; die Erörterung der<lb/> Grnndsteuerfrage hat dazu veranlaßt, die Zustände der einzelnen Provinzen gegen<lb/> einander zu halten, wahre oder vermeintliche Bevorzugung und Vernachlässigung in<lb/> ein grelles Licht zu stellen, die ungleichmäßige Behandlung der Provinzen in Be¬<lb/> zug auf das Chaussee- und Eisenbahnwesen, die russische Grenzsperre, die Kala¬<lb/> mitäten der Kriegsjahre, die ungleich auf den Provinzen lasteten, und andere<lb/> Gravamina, die mit der vorliegenden Frage in keiner unmittelbaren Beziehung<lb/> stehen, zur Verbitterung nud Entfremdung der Gemüther in die Debatte hinein¬<lb/> zuziehen. So wuchert das Unkraut des provinziellen Antagonismus lustig empor,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
die Ungerechtigkeit dadurch gehoben, daß man den schon bisher vollständig be¬
lasteten Personen noch die neue Last aufbürdet, die Capitalien zusammenzubringen,
welche man braucht, um die bisher Bevorzugten für die Beseitigung der Bor¬
dseite, die sie zur unbilligen Benachteiligung ihrer Mitbürger lange genug ge¬
nossen haben, für alle Zeiten zu entschädigen? Heißt das nicht, ein Unrecht durch
ein anderes —und, streng genommen, genau durch dieselbe Art des Unrechts—
wieder gut machen? So herrscht in den beiden Gesetzentwürfen ein directer Wider¬
spruch. Ehe man dem Privilegirten als Entschädigung bedeutende Capitalien in
die Hände giebt, ans dem Beutel der Belasteten, ist es besser, daß Alles beim
Alten bleibt.
Die heutige Debatte hat gelehrt, daß die von dem Herrn Minister des
Innern mit so großer Liebe gepflegten „ provinziellen Eigenthümlichkeiten" bereits
im besten Gedeihen begriffen sind. Bei der Heftigkeit, mit der die Regulirung
der Grundsteuer von den Rheinländern gefordert wird, nud bei der Zähigkeit,
mit der die Junker der östlichen Provinzen an der Exemtion als an einem
Privilegium festhalten, lag die Gefahr nahe, daß die Debatte eine unerquick-
liche Wendung nahm. Jetzt, da die Beurtheilung politischer Fragen vom pro¬
vinziellen Standpunkte ans eine gewisse Sanction erhalten hat, war es um so
natürlicher, daß sich die bittersten Anschuldigungen des Ostens gegen den Westen,
und umgekehrt, boren ließen. Herr v. Gerlach begann natürlich das Kreuzfeuer; und ist
es nach diesem Vorgänge zu verwundern, wenn die Abgeordneten der westlichen
Provinzen, falls nun einmal die provinziellen Interessen scharf gesondert werden
sollen, von dieser Sonderung bei einer Frage Gebrauch machen, bei der sie gerade
vom provinziellen Standpunkte aus die schärfsten Waffen für die von ihnen ver¬
tretene Ansicht finden? Die beliebte Hinweisung, daß die Rheinland? eroberte
Provinzen wären, wurde von dem Abgeordneten v. Gerlach auch heute wieder¬
holt; sie rief die entrüstete Entgegnung des Abg. v. Ketteler, eines conservativen
Mitgliedes der katholischen Fraction, hervor, daß, wenn der Grundsatz Platz
griffe, die Rheinlande als eroberte Provinzen zu betrachten, die rheinischen Ab¬
geordneten nicht in dieses Haus gehörten. Da haben Sie ein Pröbchen des
Segens, der uns ans der Schärsung der provinziellen Gegensätze erwächst. Auch
in den einzelnen Fractionen greift die Zwietracht um sich; die Erörterung der
Grnndsteuerfrage hat dazu veranlaßt, die Zustände der einzelnen Provinzen gegen
einander zu halten, wahre oder vermeintliche Bevorzugung und Vernachlässigung in
ein grelles Licht zu stellen, die ungleichmäßige Behandlung der Provinzen in Be¬
zug auf das Chaussee- und Eisenbahnwesen, die russische Grenzsperre, die Kala¬
mitäten der Kriegsjahre, die ungleich auf den Provinzen lasteten, und andere
Gravamina, die mit der vorliegenden Frage in keiner unmittelbaren Beziehung
stehen, zur Verbitterung nud Entfremdung der Gemüther in die Debatte hinein¬
zuziehen. So wuchert das Unkraut des provinziellen Antagonismus lustig empor,
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