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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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in ihren geselligen Cirkel" des Französischen und im engeren ungenirter Kreis
der Häuslichkeit zuweilen deö Luxemburgischen sich bedienen; das Landvolk da¬
gegen beschränkt sich ganz auf das Landesidiom, welches Verwandtschaft sowol
mit dem Flämischen, wie dem Wallonischen hat, vou Beiden aber schon durch
diese entgegengesetzte Mischung, wie durch seine eigenthümlichen Bestandtheile
wesentlich verschieden ist.

Meine Ankunft fiel gerade in die letzten Tage der sogenannten Schobermesse,
die, obwohl sie nur ein großer Jahrmarkt ist, für Luxemburg und die Umgegend
dennoch ihre Wichtigkeit hat. Sie findet einmal jährlich statt und die 14 Tage,
welche sie währt, bilden den Glanzpunkt der Berguüguugeu, welche das ganze
Jahr der kleineren Bürgerschaft und deu untern Klassen gewährt. Die eigent¬
lichen Kaufbuden waren bereits weggeräumt; auf einem freie" Platz jedoch, einige
hundert Schritte vor deu Festungswerken auf der Westseite der Stadt, waren
noch zwei Reihen vou improvisirten Verguügnngsbudeu, wandernden Komödianten,
Seiltänzern, Knnstreitern, Jongleuren und Athlethen, Panoramen und WachSfiguren-
cabiuetlen zurückgeblieben, die den ganzen Tag über einen zahlreichen Schwarm von
Beschauern und Gaffern anzogen, unter denen man auch die Honoratioren in den
spätern Nachmittagsstunden antraf. Die einzelnen Gesellschaften hatten zum Theil
eigene Musikbanden, die wetteifernd eine schreckliche Concurrenz von allerhand
Tänzen und Märschen zum Besten gaben, während die Bajazzos auf den Gerüsten
vor den Buden herumsprangen, durch Sprachröhre, Lobpreisungen ihrer Truppen
hinausschrien, ja zuweilen auch die letzteren selbst im Costum erschienen und
Tänze aufführten, welche das Publicum begierig nach den eigentlichen Vorstellungen
machen sollten. Es schien mir jedoch, daß die unbemitteltere und größere Masse
es gerade deshalb vorzog, sich umsonst an dem zu ergötzen, was sie außerhalb
der Bude sah und auf deu Eintritt in das Innere, der Euere kostete, verzichtete.
Diese Wahrnehmung brachte die unglücklichen Bajazzos mitunter zu possenhaften
Wuthausbrüchen, die sie über die gaffende Menge ergossen, ja Einige aus dieser,
welche sich zu nahe an den Eingang wagten, wurde" von dem Hanswurst mit
Gewalt gepackt, und an die Kasse abgeliefert, obwol es zweifelhaft blieb, ob
ihr aus einer derartigen Operation irgend welche Vortheile erwuchsen. Ich
erinnere mich bei der Knustreitergesellschaft el" junges Mädchen gesehen zu haben,
deren anmuthige Gestalt und interessante Gesichtszüge von einer tief brünetten,
südlichen Färbung -- wahrscheinlich mochte sie aus zigeunerischem Blute stam¬
me,, _ nix ausfielen. Sie wurde Marietta genannt und gewiß würde mancher
der jüngeren Officiere oder der Luxemburger "Dandys" sich der Kleinen zu
nähern versucht haben, hätte sie nicht die Furcht vor der Klatschsucht einer pro¬
vinziellen, ganz auf sich selbst angewiesenen Gesellschaft und das unausbleiblich
daraus erfolgende Verdikt davon abgehalten. Am letzten Tage der Messe zogen
die gastirenden Seiltänzertrnppen zu Pferde, im theatralischen Costüm und mit


in ihren geselligen Cirkel» des Französischen und im engeren ungenirter Kreis
der Häuslichkeit zuweilen deö Luxemburgischen sich bedienen; das Landvolk da¬
gegen beschränkt sich ganz auf das Landesidiom, welches Verwandtschaft sowol
mit dem Flämischen, wie dem Wallonischen hat, vou Beiden aber schon durch
diese entgegengesetzte Mischung, wie durch seine eigenthümlichen Bestandtheile
wesentlich verschieden ist.

Meine Ankunft fiel gerade in die letzten Tage der sogenannten Schobermesse,
die, obwohl sie nur ein großer Jahrmarkt ist, für Luxemburg und die Umgegend
dennoch ihre Wichtigkeit hat. Sie findet einmal jährlich statt und die 14 Tage,
welche sie währt, bilden den Glanzpunkt der Berguüguugeu, welche das ganze
Jahr der kleineren Bürgerschaft und deu untern Klassen gewährt. Die eigent¬
lichen Kaufbuden waren bereits weggeräumt; auf einem freie» Platz jedoch, einige
hundert Schritte vor deu Festungswerken auf der Westseite der Stadt, waren
noch zwei Reihen vou improvisirten Verguügnngsbudeu, wandernden Komödianten,
Seiltänzern, Knnstreitern, Jongleuren und Athlethen, Panoramen und WachSfiguren-
cabiuetlen zurückgeblieben, die den ganzen Tag über einen zahlreichen Schwarm von
Beschauern und Gaffern anzogen, unter denen man auch die Honoratioren in den
spätern Nachmittagsstunden antraf. Die einzelnen Gesellschaften hatten zum Theil
eigene Musikbanden, die wetteifernd eine schreckliche Concurrenz von allerhand
Tänzen und Märschen zum Besten gaben, während die Bajazzos auf den Gerüsten
vor den Buden herumsprangen, durch Sprachröhre, Lobpreisungen ihrer Truppen
hinausschrien, ja zuweilen auch die letzteren selbst im Costum erschienen und
Tänze aufführten, welche das Publicum begierig nach den eigentlichen Vorstellungen
machen sollten. Es schien mir jedoch, daß die unbemitteltere und größere Masse
es gerade deshalb vorzog, sich umsonst an dem zu ergötzen, was sie außerhalb
der Bude sah und auf deu Eintritt in das Innere, der Euere kostete, verzichtete.
Diese Wahrnehmung brachte die unglücklichen Bajazzos mitunter zu possenhaften
Wuthausbrüchen, die sie über die gaffende Menge ergossen, ja Einige aus dieser,
welche sich zu nahe an den Eingang wagten, wurde» von dem Hanswurst mit
Gewalt gepackt, und an die Kasse abgeliefert, obwol es zweifelhaft blieb, ob
ihr aus einer derartigen Operation irgend welche Vortheile erwuchsen. Ich
erinnere mich bei der Knustreitergesellschaft el» junges Mädchen gesehen zu haben,
deren anmuthige Gestalt und interessante Gesichtszüge von einer tief brünetten,
südlichen Färbung — wahrscheinlich mochte sie aus zigeunerischem Blute stam¬
me,, _ nix ausfielen. Sie wurde Marietta genannt und gewiß würde mancher
der jüngeren Officiere oder der Luxemburger „Dandys" sich der Kleinen zu
nähern versucht haben, hätte sie nicht die Furcht vor der Klatschsucht einer pro¬
vinziellen, ganz auf sich selbst angewiesenen Gesellschaft und das unausbleiblich
daraus erfolgende Verdikt davon abgehalten. Am letzten Tage der Messe zogen
die gastirenden Seiltänzertrnppen zu Pferde, im theatralischen Costüm und mit


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[0413] in ihren geselligen Cirkel» des Französischen und im engeren ungenirter Kreis der Häuslichkeit zuweilen deö Luxemburgischen sich bedienen; das Landvolk da¬ gegen beschränkt sich ganz auf das Landesidiom, welches Verwandtschaft sowol mit dem Flämischen, wie dem Wallonischen hat, vou Beiden aber schon durch diese entgegengesetzte Mischung, wie durch seine eigenthümlichen Bestandtheile wesentlich verschieden ist. Meine Ankunft fiel gerade in die letzten Tage der sogenannten Schobermesse, die, obwohl sie nur ein großer Jahrmarkt ist, für Luxemburg und die Umgegend dennoch ihre Wichtigkeit hat. Sie findet einmal jährlich statt und die 14 Tage, welche sie währt, bilden den Glanzpunkt der Berguüguugeu, welche das ganze Jahr der kleineren Bürgerschaft und deu untern Klassen gewährt. Die eigent¬ lichen Kaufbuden waren bereits weggeräumt; auf einem freie» Platz jedoch, einige hundert Schritte vor deu Festungswerken auf der Westseite der Stadt, waren noch zwei Reihen vou improvisirten Verguügnngsbudeu, wandernden Komödianten, Seiltänzern, Knnstreitern, Jongleuren und Athlethen, Panoramen und WachSfiguren- cabiuetlen zurückgeblieben, die den ganzen Tag über einen zahlreichen Schwarm von Beschauern und Gaffern anzogen, unter denen man auch die Honoratioren in den spätern Nachmittagsstunden antraf. Die einzelnen Gesellschaften hatten zum Theil eigene Musikbanden, die wetteifernd eine schreckliche Concurrenz von allerhand Tänzen und Märschen zum Besten gaben, während die Bajazzos auf den Gerüsten vor den Buden herumsprangen, durch Sprachröhre, Lobpreisungen ihrer Truppen hinausschrien, ja zuweilen auch die letzteren selbst im Costum erschienen und Tänze aufführten, welche das Publicum begierig nach den eigentlichen Vorstellungen machen sollten. Es schien mir jedoch, daß die unbemitteltere und größere Masse es gerade deshalb vorzog, sich umsonst an dem zu ergötzen, was sie außerhalb der Bude sah und auf deu Eintritt in das Innere, der Euere kostete, verzichtete. Diese Wahrnehmung brachte die unglücklichen Bajazzos mitunter zu possenhaften Wuthausbrüchen, die sie über die gaffende Menge ergossen, ja Einige aus dieser, welche sich zu nahe an den Eingang wagten, wurde» von dem Hanswurst mit Gewalt gepackt, und an die Kasse abgeliefert, obwol es zweifelhaft blieb, ob ihr aus einer derartigen Operation irgend welche Vortheile erwuchsen. Ich erinnere mich bei der Knustreitergesellschaft el» junges Mädchen gesehen zu haben, deren anmuthige Gestalt und interessante Gesichtszüge von einer tief brünetten, südlichen Färbung — wahrscheinlich mochte sie aus zigeunerischem Blute stam¬ me,, _ nix ausfielen. Sie wurde Marietta genannt und gewiß würde mancher der jüngeren Officiere oder der Luxemburger „Dandys" sich der Kleinen zu nähern versucht haben, hätte sie nicht die Furcht vor der Klatschsucht einer pro¬ vinziellen, ganz auf sich selbst angewiesenen Gesellschaft und das unausbleiblich daraus erfolgende Verdikt davon abgehalten. Am letzten Tage der Messe zogen die gastirenden Seiltänzertrnppen zu Pferde, im theatralischen Costüm und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/413>, abgerufen am 24.07.2024.