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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Frieden mit der Ritterschaft wieder schlichen kann, die dann allerdings in der Lage
ist, daS nehmen zu müssen, was die Regierung ihr bietet. Die Constitutionellen
werden dabei das natürliche Opfer sein. Ich kann in Betreff dessen nnr auf
die Erklärungen verweisen, die der Minister von Westphalen bei Gelegenheit des
Stahl-Arnim'sehen Antrags in der ersten Kammer gegeben hat. Wer darnach
noch Illusionen hegen kann, dem ist nicht zu helfen.

Die Bethmann-Hollweg'sche Fraction, deren redliches Wollen und sonstige
große Verdienste ich nicht verkleinern will, beging deshalb einen großen Mißgriff, als
sie die Initiative eines Antrags nahm, der, ging er durch, dieser Situation ein
Ende machte, und der später eine gezwungene Versöhnung der Junkerpartei und
des Gouvernements herbeiführen würde, deren Kosten auf die Constitutionellen
fallen müssen. Vor Allem durften die Freunde und Vertheidiger der Verfassung
mit keinem Schritt ihre starke Defensivstellung verlassen und selbst das Signal zu
einer Umformung der Staatsgewalten geben, deren Schlußcrgebniß stets nnr eine
Niederlage des Constitutionalismus sei" kann; kam aber ohne ihr Zuthun die
Frage zur Entscheidung, so war die gebotene Taktik der Cvnstitntioncllc" mit der
Jnnkerpartci gegen die Vorlage der Regierung zu stimmen. Sie blieben damit
dem Prinzip, das sie feierlich proclamirt, getreu, und hielten, was mit das We¬
sentlichste jetzt in Preuße" ist, die Revision der zweiten Kammer aus. Das jetzige
Wahlgesetz derselben mag schlecht sein, aber ein ständisches würde noch zehnmal
schlechter sein, schlechter vor Allem, weil damit jede Aussicht verloren ginge, die
Theilnahme und Thätigkeit deS Volkes sür die Verfassung, die jetzt so tief dar¬
niederliegen, wieder zu erwecken. Die zweite Kammer ständisch machen, heißt das
constitutionelle Lebe" in Preußen begraben. Was die Zukunft daun bringen wird,
kauu freilich Niemand wissen, verzichten müßte mau aber daraus, auf dem Felde
der bestehende" Institutionen für sie zu arbeiten. Und eine andere Bedeutung,
als diese, kau" die Verfassung für die cvnstitutioiielle Partei nicht haben.

Ich muß schließlich das Geständniß aussprechen, daß mir die Chancen der
Sache, für die ich hier plaidirt habe, in der zweiten Kammer schlecht zu stehen
scheinen. Die Stimmen der Bethmann-Hollwegiancr, die beharrlich dabei einer
Rücksicht folgen, deren ich vorher schou erwähnt habe, und in der ich, weil nicht
die geringste Hoffnung, keinen Grund erblicken kann, für die Regierung zu po-
liren, werden ohne Zweifel dem ministeriellen Project bleiben, unter den Katho¬
liken wird es Unterstützung finden, und in der constitutionellen Partei werden
wie im vorigen Jahr verschiedene Abgeordnete gleichfalls dieser Seite beitreten.
Selbst die Mehrzahl der Constitutionellen mit der selbstständigen Fraction der äußer¬
sten Rechten und dem sonstigen Zuwachs, den sie etwa noch unter den Katholiken
finden dürfte, wird die Majorität der Regierungsvorlage nicht entwinden
können. Sollte aber dies uur zu wahrscheinliche Resultat auch eintreten, so wird
es mich doch mit Befriedigung erfüllen, den Kern der constitutionellen Opposition


Frieden mit der Ritterschaft wieder schlichen kann, die dann allerdings in der Lage
ist, daS nehmen zu müssen, was die Regierung ihr bietet. Die Constitutionellen
werden dabei das natürliche Opfer sein. Ich kann in Betreff dessen nnr auf
die Erklärungen verweisen, die der Minister von Westphalen bei Gelegenheit des
Stahl-Arnim'sehen Antrags in der ersten Kammer gegeben hat. Wer darnach
noch Illusionen hegen kann, dem ist nicht zu helfen.

Die Bethmann-Hollweg'sche Fraction, deren redliches Wollen und sonstige
große Verdienste ich nicht verkleinern will, beging deshalb einen großen Mißgriff, als
sie die Initiative eines Antrags nahm, der, ging er durch, dieser Situation ein
Ende machte, und der später eine gezwungene Versöhnung der Junkerpartei und
des Gouvernements herbeiführen würde, deren Kosten auf die Constitutionellen
fallen müssen. Vor Allem durften die Freunde und Vertheidiger der Verfassung
mit keinem Schritt ihre starke Defensivstellung verlassen und selbst das Signal zu
einer Umformung der Staatsgewalten geben, deren Schlußcrgebniß stets nnr eine
Niederlage des Constitutionalismus sei» kann; kam aber ohne ihr Zuthun die
Frage zur Entscheidung, so war die gebotene Taktik der Cvnstitntioncllc» mit der
Jnnkerpartci gegen die Vorlage der Regierung zu stimmen. Sie blieben damit
dem Prinzip, das sie feierlich proclamirt, getreu, und hielten, was mit das We¬
sentlichste jetzt in Preuße» ist, die Revision der zweiten Kammer aus. Das jetzige
Wahlgesetz derselben mag schlecht sein, aber ein ständisches würde noch zehnmal
schlechter sein, schlechter vor Allem, weil damit jede Aussicht verloren ginge, die
Theilnahme und Thätigkeit deS Volkes sür die Verfassung, die jetzt so tief dar¬
niederliegen, wieder zu erwecken. Die zweite Kammer ständisch machen, heißt das
constitutionelle Lebe» in Preußen begraben. Was die Zukunft daun bringen wird,
kauu freilich Niemand wissen, verzichten müßte mau aber daraus, auf dem Felde
der bestehende» Institutionen für sie zu arbeiten. Und eine andere Bedeutung,
als diese, kau» die Verfassung für die cvnstitutioiielle Partei nicht haben.

Ich muß schließlich das Geständniß aussprechen, daß mir die Chancen der
Sache, für die ich hier plaidirt habe, in der zweiten Kammer schlecht zu stehen
scheinen. Die Stimmen der Bethmann-Hollwegiancr, die beharrlich dabei einer
Rücksicht folgen, deren ich vorher schou erwähnt habe, und in der ich, weil nicht
die geringste Hoffnung, keinen Grund erblicken kann, für die Regierung zu po-
liren, werden ohne Zweifel dem ministeriellen Project bleiben, unter den Katho¬
liken wird es Unterstützung finden, und in der constitutionellen Partei werden
wie im vorigen Jahr verschiedene Abgeordnete gleichfalls dieser Seite beitreten.
Selbst die Mehrzahl der Constitutionellen mit der selbstständigen Fraction der äußer¬
sten Rechten und dem sonstigen Zuwachs, den sie etwa noch unter den Katholiken
finden dürfte, wird die Majorität der Regierungsvorlage nicht entwinden
können. Sollte aber dies uur zu wahrscheinliche Resultat auch eintreten, so wird
es mich doch mit Befriedigung erfüllen, den Kern der constitutionellen Opposition


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/396>, abgerufen am 24.07.2024.