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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Wir übergehe" die gedrängte Erzählung der Lebensgeschichte Louis Napo¬
leon's, womit der Verfasser dieses Capitel beginnt, und wir folgen ihm erst
vom Ausbruche der Februarrevolution.

"Mit dem 2i. Februar vervielfältigte sich die freier gewordene Propaganda,
aber sie änderte ihren Charakter. Der aufgeklärtere Bruchtheil der bonapartistischen
Partei, die Männer, welche nicht durch Jugenderinnerungen geblendet waren,
noch durch das Bedauern des kaiserlichen Ruhmes, begriffen, daß das Laud
ohne Rückhalt der republikanischen Bewegung sich angeschlossen habe, und daß
es verwegen wäre, der Volksthümlichkeit der provisorischen Regierung geradezu
die Stiru zu bieten; Alles was man thun konnte, dachten sie, war, deren Fehler
und später jene der Nationalversammlung zu belauschen, um nach Umstände"
Nutzen daraus zu schöpfen.

Man verhielt daher die Ungeduld der Eiferer, es war nicht mehr von einem
Kaiser die Rede, sondern blos von einem volkstümlichen Führer der Republik.
Man sprach nicht mehr von den Ansprüchen auf den Thron, die Louis Bona-
parte aus seiner Geburt herleitete, aber wohl von den Pflichten gegen das Volk,
die ihm sein Name auferlegte; man pries seine ritterliche Biederkeit, seine an¬
tike Ehrlichkeit; man sagte, daß er seit zwanzig Jahren die Hoffnung Frankreichs
gewesen; er allein, so versicherte man, könne daselbst eine Demokratie ohne
Anarchie gründen, und man trachtete dieser Idee alle Republikaner zu ge¬
winnen, welche mit der Politik der provisorischen Regierung nicht zufrieden
gewesen. Der General Piat, nnn. Obrist einer Vorstadtlegion geworden, Herr
Aladenise, Bataillonschef der Garde mobile, Herr Bataille, Redacteur am
National, die H. H. Abatucci, Vieillarde, Volksvertreter, und noch Andere
theilten Briefe Louis Bonaparte's mit, welche alle von den demokratischsten
Gefühlen durchdrungen waren. Herr Edgar Ney bearbeitete die entlassenen
Municipalgardcu; man wußte ergebene Männer in die National-Ateliers, und sogar
in die Konferenzen des Luxembourg zu schmuggeln. Frauen von brennendem
Eifer 'beseelt, gingen in die Vorstädte, wo sie im Namen Louis Bonaparte's
Almosen spendeten und besonders an Versprechungen freigebig waren.

Bei Annäherung der Wahlen wurden die vereinzelten Anstrengungen ver¬
doppelt und concentrirt; man gründete billige Journale, welche nicht blos in
Paris verbreitet wurden, sondern in den entferntesten Landgegenden, die Mauern
bedeckten sich mit Anschlägen, welche Louis Bonaparte's Namen in enorme" Lettern
trugen; man verschenkte zu Tausenden die Portraits, die Medaillen, die Litho¬
graphien, welche den Kaiser Frankreich seinen Neffe" vorstellend abbildeten; man
bezahlte Leicrkastenträger, Nachtwandlerinnen, um des Kaisers Rückkehr zu singen*)



*) Hier der Refrain eines dieser Lieder:
Mpvlllon rentre! alas Il>> puero
Mpolvon v'Sö bon repudliviu".

Wir übergehe» die gedrängte Erzählung der Lebensgeschichte Louis Napo¬
leon's, womit der Verfasser dieses Capitel beginnt, und wir folgen ihm erst
vom Ausbruche der Februarrevolution.

„Mit dem 2i. Februar vervielfältigte sich die freier gewordene Propaganda,
aber sie änderte ihren Charakter. Der aufgeklärtere Bruchtheil der bonapartistischen
Partei, die Männer, welche nicht durch Jugenderinnerungen geblendet waren,
noch durch das Bedauern des kaiserlichen Ruhmes, begriffen, daß das Laud
ohne Rückhalt der republikanischen Bewegung sich angeschlossen habe, und daß
es verwegen wäre, der Volksthümlichkeit der provisorischen Regierung geradezu
die Stiru zu bieten; Alles was man thun konnte, dachten sie, war, deren Fehler
und später jene der Nationalversammlung zu belauschen, um nach Umstände»
Nutzen daraus zu schöpfen.

Man verhielt daher die Ungeduld der Eiferer, es war nicht mehr von einem
Kaiser die Rede, sondern blos von einem volkstümlichen Führer der Republik.
Man sprach nicht mehr von den Ansprüchen auf den Thron, die Louis Bona-
parte aus seiner Geburt herleitete, aber wohl von den Pflichten gegen das Volk,
die ihm sein Name auferlegte; man pries seine ritterliche Biederkeit, seine an¬
tike Ehrlichkeit; man sagte, daß er seit zwanzig Jahren die Hoffnung Frankreichs
gewesen; er allein, so versicherte man, könne daselbst eine Demokratie ohne
Anarchie gründen, und man trachtete dieser Idee alle Republikaner zu ge¬
winnen, welche mit der Politik der provisorischen Regierung nicht zufrieden
gewesen. Der General Piat, nnn. Obrist einer Vorstadtlegion geworden, Herr
Aladenise, Bataillonschef der Garde mobile, Herr Bataille, Redacteur am
National, die H. H. Abatucci, Vieillarde, Volksvertreter, und noch Andere
theilten Briefe Louis Bonaparte's mit, welche alle von den demokratischsten
Gefühlen durchdrungen waren. Herr Edgar Ney bearbeitete die entlassenen
Municipalgardcu; man wußte ergebene Männer in die National-Ateliers, und sogar
in die Konferenzen des Luxembourg zu schmuggeln. Frauen von brennendem
Eifer 'beseelt, gingen in die Vorstädte, wo sie im Namen Louis Bonaparte's
Almosen spendeten und besonders an Versprechungen freigebig waren.

Bei Annäherung der Wahlen wurden die vereinzelten Anstrengungen ver¬
doppelt und concentrirt; man gründete billige Journale, welche nicht blos in
Paris verbreitet wurden, sondern in den entferntesten Landgegenden, die Mauern
bedeckten sich mit Anschlägen, welche Louis Bonaparte's Namen in enorme» Lettern
trugen; man verschenkte zu Tausenden die Portraits, die Medaillen, die Litho¬
graphien, welche den Kaiser Frankreich seinen Neffe» vorstellend abbildeten; man
bezahlte Leicrkastenträger, Nachtwandlerinnen, um des Kaisers Rückkehr zu singen*)



*) Hier der Refrain eines dieser Lieder:
Mpvlllon rentre! alas Il>> puero
Mpolvon v'Sö bon repudliviu».
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[0384] Wir übergehe» die gedrängte Erzählung der Lebensgeschichte Louis Napo¬ leon's, womit der Verfasser dieses Capitel beginnt, und wir folgen ihm erst vom Ausbruche der Februarrevolution. „Mit dem 2i. Februar vervielfältigte sich die freier gewordene Propaganda, aber sie änderte ihren Charakter. Der aufgeklärtere Bruchtheil der bonapartistischen Partei, die Männer, welche nicht durch Jugenderinnerungen geblendet waren, noch durch das Bedauern des kaiserlichen Ruhmes, begriffen, daß das Laud ohne Rückhalt der republikanischen Bewegung sich angeschlossen habe, und daß es verwegen wäre, der Volksthümlichkeit der provisorischen Regierung geradezu die Stiru zu bieten; Alles was man thun konnte, dachten sie, war, deren Fehler und später jene der Nationalversammlung zu belauschen, um nach Umstände» Nutzen daraus zu schöpfen. Man verhielt daher die Ungeduld der Eiferer, es war nicht mehr von einem Kaiser die Rede, sondern blos von einem volkstümlichen Führer der Republik. Man sprach nicht mehr von den Ansprüchen auf den Thron, die Louis Bona- parte aus seiner Geburt herleitete, aber wohl von den Pflichten gegen das Volk, die ihm sein Name auferlegte; man pries seine ritterliche Biederkeit, seine an¬ tike Ehrlichkeit; man sagte, daß er seit zwanzig Jahren die Hoffnung Frankreichs gewesen; er allein, so versicherte man, könne daselbst eine Demokratie ohne Anarchie gründen, und man trachtete dieser Idee alle Republikaner zu ge¬ winnen, welche mit der Politik der provisorischen Regierung nicht zufrieden gewesen. Der General Piat, nnn. Obrist einer Vorstadtlegion geworden, Herr Aladenise, Bataillonschef der Garde mobile, Herr Bataille, Redacteur am National, die H. H. Abatucci, Vieillarde, Volksvertreter, und noch Andere theilten Briefe Louis Bonaparte's mit, welche alle von den demokratischsten Gefühlen durchdrungen waren. Herr Edgar Ney bearbeitete die entlassenen Municipalgardcu; man wußte ergebene Männer in die National-Ateliers, und sogar in die Konferenzen des Luxembourg zu schmuggeln. Frauen von brennendem Eifer 'beseelt, gingen in die Vorstädte, wo sie im Namen Louis Bonaparte's Almosen spendeten und besonders an Versprechungen freigebig waren. Bei Annäherung der Wahlen wurden die vereinzelten Anstrengungen ver¬ doppelt und concentrirt; man gründete billige Journale, welche nicht blos in Paris verbreitet wurden, sondern in den entferntesten Landgegenden, die Mauern bedeckten sich mit Anschlägen, welche Louis Bonaparte's Namen in enorme» Lettern trugen; man verschenkte zu Tausenden die Portraits, die Medaillen, die Litho¬ graphien, welche den Kaiser Frankreich seinen Neffe» vorstellend abbildeten; man bezahlte Leicrkastenträger, Nachtwandlerinnen, um des Kaisers Rückkehr zu singen*) *) Hier der Refrain eines dieser Lieder: Mpvlllon rentre! alas Il>> puero Mpolvon v'Sö bon repudliviu».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/384>, abgerufen am 04.07.2024.