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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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scheinende Härte, der Mangel am laissa' tutor, der Lust an der bloßen Schönheit
der Fülle der individuellen Züge, die uns bei Raphael so entzücken, bei Paul
Veronese noch erfreuen, dieser Mangel erweckt uns eine gewisse Scheu oder
Kälte, man fürchtet, man verehrt auch eine Natur, die so weit über irdische
Schwächen erhaben scheint, man beugt sich vor ihr, aber man liebt sie selten.
Nur das Besondere, ja selbst daS Unvollkommene tritt uns so recht nahe. --

Obwohl man die Grundeigenschaften dieser Individualität schon in den
frühesten Werken herausfindet, so ist doch in seinem Styl eine gar bedeutende
Verwandlung sichtbar. Bei den Nibelungen "ut dem Faust ist noch überall der
Einfluß der Altdeutschen, speciell Dürer, mit ihrer Härte und Eckigkeit, aber auch
ihrer ungeheuer nachhaltige" Tüchtigkeit sichtbar. -- Das Titelblatt zu den Nibe¬
lungen kaun man als Zeichnung jedem Werke des letztgenannten Meisters an die
Seite stellen, in poetischer Auffassung und Wiedergabe des Stoffs den meisten
desselben bei Weitem vorziehen. -- Ebenso wird sein Faust trotz der Herbigkeit
wol immer die beste Bearbeitung des Stückes bleiben, so wenig er auch dem
alten verwöhnten Göthe geschmeckt haben soll, dem die süßlichen Kompositionen
des Retzsch, die eher für Clauren als das Meisterwerk deutscher Poesie passen
besser gefielen. -- Während seines Aufenthalts in Italien machte Cornelius die
Zeichnungen zu Dante "ut theilweise zum Nibelungenlied, wenn ich nicht irre, da im
letztem anch. der Einfluß antiker Reliefs schon mit dem Dürer scheu um die Herr¬
schaft streitet, malte die Bilder in Casa Bartholdy, sowie er die Compositionc" zur
Glyptothek vorbereitete. -- In beiden Letztern zeigt er sich schon ga"z selbststä"dig,
der Einfluß der Antike, noch mehr aber Raphael's und Michel Angelo's machen
sich nun allein noch geltend, bei der Glyptothek vorzugsweise der antike und viel¬
leicht auch der des Giulio Romano, bei den spätern Arbeiten gleichmäßig der der
beiden letztgenannten Meister, ohne daß aber irgendwo von etwas Anderem die
Rede sein könnte, als von der Benutzung der Formen und Fortschritte, die die
Kunst diesen Meistern im Allgemeinen verdankt, und die in einem so verwandten
Geiste immer ähnlich sich gestalten mußten, ohne deswegen irgend der Originali¬
tät zu entbehren. -- Die Erzeugnisse sind sich verwandt, wie alle großen Kunst¬
werke eine gewisse Verwandtschaft mit einander haben, mehr nicht, denn Cornelius
ist überall deutsch, er hat uicht die Weichheit, die Grazie und Formenschönheit
des Raphael; weder die feine Naturbetrachtung noch die liebevolle Detailvoll-,
eudung desselben, noch weniger die wundervolle, unerschöpflich mannichfaltige An¬
muth seiner Launen, -- sondern geistige Tiefe der Weltanschauung, poetische Gedanken¬
fülle, Ernst und Größe der Empfindung sind es, die ihn zum großen Künstler
stempeln, -- da er für diese überall die entsprechenden Formen in der Natur zu
finden und mit einer Energie und Größe wiederzugeben weiß, in der ihn kein
Lebender erreicht.




scheinende Härte, der Mangel am laissa' tutor, der Lust an der bloßen Schönheit
der Fülle der individuellen Züge, die uns bei Raphael so entzücken, bei Paul
Veronese noch erfreuen, dieser Mangel erweckt uns eine gewisse Scheu oder
Kälte, man fürchtet, man verehrt auch eine Natur, die so weit über irdische
Schwächen erhaben scheint, man beugt sich vor ihr, aber man liebt sie selten.
Nur das Besondere, ja selbst daS Unvollkommene tritt uns so recht nahe. —

Obwohl man die Grundeigenschaften dieser Individualität schon in den
frühesten Werken herausfindet, so ist doch in seinem Styl eine gar bedeutende
Verwandlung sichtbar. Bei den Nibelungen »ut dem Faust ist noch überall der
Einfluß der Altdeutschen, speciell Dürer, mit ihrer Härte und Eckigkeit, aber auch
ihrer ungeheuer nachhaltige» Tüchtigkeit sichtbar. — Das Titelblatt zu den Nibe¬
lungen kaun man als Zeichnung jedem Werke des letztgenannten Meisters an die
Seite stellen, in poetischer Auffassung und Wiedergabe des Stoffs den meisten
desselben bei Weitem vorziehen. — Ebenso wird sein Faust trotz der Herbigkeit
wol immer die beste Bearbeitung des Stückes bleiben, so wenig er auch dem
alten verwöhnten Göthe geschmeckt haben soll, dem die süßlichen Kompositionen
des Retzsch, die eher für Clauren als das Meisterwerk deutscher Poesie passen
besser gefielen. — Während seines Aufenthalts in Italien machte Cornelius die
Zeichnungen zu Dante »ut theilweise zum Nibelungenlied, wenn ich nicht irre, da im
letztem anch. der Einfluß antiker Reliefs schon mit dem Dürer scheu um die Herr¬
schaft streitet, malte die Bilder in Casa Bartholdy, sowie er die Compositionc» zur
Glyptothek vorbereitete. — In beiden Letztern zeigt er sich schon ga»z selbststä»dig,
der Einfluß der Antike, noch mehr aber Raphael's und Michel Angelo's machen
sich nun allein noch geltend, bei der Glyptothek vorzugsweise der antike und viel¬
leicht auch der des Giulio Romano, bei den spätern Arbeiten gleichmäßig der der
beiden letztgenannten Meister, ohne daß aber irgendwo von etwas Anderem die
Rede sein könnte, als von der Benutzung der Formen und Fortschritte, die die
Kunst diesen Meistern im Allgemeinen verdankt, und die in einem so verwandten
Geiste immer ähnlich sich gestalten mußten, ohne deswegen irgend der Originali¬
tät zu entbehren. — Die Erzeugnisse sind sich verwandt, wie alle großen Kunst¬
werke eine gewisse Verwandtschaft mit einander haben, mehr nicht, denn Cornelius
ist überall deutsch, er hat uicht die Weichheit, die Grazie und Formenschönheit
des Raphael; weder die feine Naturbetrachtung noch die liebevolle Detailvoll-,
eudung desselben, noch weniger die wundervolle, unerschöpflich mannichfaltige An¬
muth seiner Launen, — sondern geistige Tiefe der Weltanschauung, poetische Gedanken¬
fülle, Ernst und Größe der Empfindung sind es, die ihn zum großen Künstler
stempeln, — da er für diese überall die entsprechenden Formen in der Natur zu
finden und mit einer Energie und Größe wiederzugeben weiß, in der ihn kein
Lebender erreicht.




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[0382] scheinende Härte, der Mangel am laissa' tutor, der Lust an der bloßen Schönheit der Fülle der individuellen Züge, die uns bei Raphael so entzücken, bei Paul Veronese noch erfreuen, dieser Mangel erweckt uns eine gewisse Scheu oder Kälte, man fürchtet, man verehrt auch eine Natur, die so weit über irdische Schwächen erhaben scheint, man beugt sich vor ihr, aber man liebt sie selten. Nur das Besondere, ja selbst daS Unvollkommene tritt uns so recht nahe. — Obwohl man die Grundeigenschaften dieser Individualität schon in den frühesten Werken herausfindet, so ist doch in seinem Styl eine gar bedeutende Verwandlung sichtbar. Bei den Nibelungen »ut dem Faust ist noch überall der Einfluß der Altdeutschen, speciell Dürer, mit ihrer Härte und Eckigkeit, aber auch ihrer ungeheuer nachhaltige» Tüchtigkeit sichtbar. — Das Titelblatt zu den Nibe¬ lungen kaun man als Zeichnung jedem Werke des letztgenannten Meisters an die Seite stellen, in poetischer Auffassung und Wiedergabe des Stoffs den meisten desselben bei Weitem vorziehen. — Ebenso wird sein Faust trotz der Herbigkeit wol immer die beste Bearbeitung des Stückes bleiben, so wenig er auch dem alten verwöhnten Göthe geschmeckt haben soll, dem die süßlichen Kompositionen des Retzsch, die eher für Clauren als das Meisterwerk deutscher Poesie passen besser gefielen. — Während seines Aufenthalts in Italien machte Cornelius die Zeichnungen zu Dante »ut theilweise zum Nibelungenlied, wenn ich nicht irre, da im letztem anch. der Einfluß antiker Reliefs schon mit dem Dürer scheu um die Herr¬ schaft streitet, malte die Bilder in Casa Bartholdy, sowie er die Compositionc» zur Glyptothek vorbereitete. — In beiden Letztern zeigt er sich schon ga»z selbststä»dig, der Einfluß der Antike, noch mehr aber Raphael's und Michel Angelo's machen sich nun allein noch geltend, bei der Glyptothek vorzugsweise der antike und viel¬ leicht auch der des Giulio Romano, bei den spätern Arbeiten gleichmäßig der der beiden letztgenannten Meister, ohne daß aber irgendwo von etwas Anderem die Rede sein könnte, als von der Benutzung der Formen und Fortschritte, die die Kunst diesen Meistern im Allgemeinen verdankt, und die in einem so verwandten Geiste immer ähnlich sich gestalten mußten, ohne deswegen irgend der Originali¬ tät zu entbehren. — Die Erzeugnisse sind sich verwandt, wie alle großen Kunst¬ werke eine gewisse Verwandtschaft mit einander haben, mehr nicht, denn Cornelius ist überall deutsch, er hat uicht die Weichheit, die Grazie und Formenschönheit des Raphael; weder die feine Naturbetrachtung noch die liebevolle Detailvoll-, eudung desselben, noch weniger die wundervolle, unerschöpflich mannichfaltige An¬ muth seiner Launen, — sondern geistige Tiefe der Weltanschauung, poetische Gedanken¬ fülle, Ernst und Größe der Empfindung sind es, die ihn zum großen Künstler stempeln, — da er für diese überall die entsprechenden Formen in der Natur zu finden und mit einer Energie und Größe wiederzugeben weiß, in der ihn kein Lebender erreicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/382>, abgerufen am 04.07.2024.