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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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hat. Jedenfalls sind diese Operationen mit einer Ruhe und Sicherheit vor sich
gegangen, welche ans einen großen Plan schließen läßt.

ES ist an der Londoner Börse bekannt genug, daß viel Gold und Silber in
dem letzten Jahre nach dem Osten von Europa gegangen ist, doch hat sich die
Summe dieser exportirten Metalle jeder Berechnung entzogen. Und so ist es nnr
eine Muthmaßung, welche hier aufgestellt wird, daß Rußland in aller Stille eine
von den großen Geldoperationen vorgenommen habe, durch welche eS bedeutende
Kriegönnternehmnngcn vorzubereiten pflegt. Wenigstens erscheint diese Annahme
wahrscheinlicher als eine andere, daß eine ähnliche Operation dnrch Louis Na¬
poleon veranlaßt worden sei. Es ist kaum anzunehmen, daß eine solche massen¬
hafte Anhäufung edler Metalle von Frankreich ans hätte dirigirt werden können,
ohne zur Kenntniß der Börsen zu kommen.

Wenn aber diese Annahme einer so großen Anhäufung edlen Metalls in
Rußland sich bestätigen sollte, so haben wir dies Ausziehen der Gold- und Silber¬
barren aus den Banken von Frankreich und England zu betrachten, wie das Aus¬
stiege" vou Sturmvögeln, welche eine große europäische Katastrophe prophezeien. --
Ist es das neue Frankreich, oder ist es die Türkei, oder sind es beide, für welche
der Schlag vorbereitet wird?

Die Ungewißheit darüber und das Mißtrauen gegen die commerziellen Ver-'
Hältnisse Frankreichs liegt wie eine Gewitterschwüle über dem Fonds- und Golb-
markt. Doch ist die Thätigkeit der Fabriken und die Energie der Waarengeschäfte
dadurch uoch nicht wesentlich berührt.

' Aber abgesehen von der gegenwärtigen Geldkrisis und ihrer unerklärten Ur¬
sache, haben die letzten Monate unsres Geldmarktes einige große und tröstliche
Lehren von höchster Wichtigkeit gegeben. In einem unglaublich kurzen Zeitraum
haben sich große Masse" von Gold ans den europäischen Märkten angehäuft und
eben so schnell siud sie wieder davon verschwunden. Das bisher erschienene neue
Gold hat weder den Werth des Geldes erniedrigt, noch den anderer Gegenstände
erhöht, und noch viel weniger hat es den gebräuchlichen Zinsfuß ans den großen
Handelsplätzen in Europa herabgedrückt. Wenn man also in der letzten Zeit in
wohldurchdachten Büchern und Artikeln Befürchtungen aller Art über die Abnahme
des Geldwerthes liest, so möge man dagegen anch nicht übersehen, daß selbst
bei ununterbrochenem massenhaftem Goldgewinn noch ans lange Zeit hinaus das
Gold die Industrie der Menschen heben und ausdehnen werde, und daß die
weite Erde noch einen unglaublich großen Raum für Expansion des Menschen¬
geschlechts hat. Die entfernten Fundorte des Goldes verursachen eine sehr große
räumliche Ausdehnung und wieder erhöhten Schwung und gesteigerte Thatkraft
der Menschen. Die vergrößerte räumliche Ausdehnung des Menschengeschlechts
sowol, welche in der That eine moderne Völkerwanderung zu werden scheint, als
die gesteigerte Energie, welche in dem Kampf um ein neues Leben in neuen


Gr-nzbotcn. I, -ILLZ, 38

hat. Jedenfalls sind diese Operationen mit einer Ruhe und Sicherheit vor sich
gegangen, welche ans einen großen Plan schließen läßt.

ES ist an der Londoner Börse bekannt genug, daß viel Gold und Silber in
dem letzten Jahre nach dem Osten von Europa gegangen ist, doch hat sich die
Summe dieser exportirten Metalle jeder Berechnung entzogen. Und so ist es nnr
eine Muthmaßung, welche hier aufgestellt wird, daß Rußland in aller Stille eine
von den großen Geldoperationen vorgenommen habe, durch welche eS bedeutende
Kriegönnternehmnngcn vorzubereiten pflegt. Wenigstens erscheint diese Annahme
wahrscheinlicher als eine andere, daß eine ähnliche Operation dnrch Louis Na¬
poleon veranlaßt worden sei. Es ist kaum anzunehmen, daß eine solche massen¬
hafte Anhäufung edler Metalle von Frankreich ans hätte dirigirt werden können,
ohne zur Kenntniß der Börsen zu kommen.

Wenn aber diese Annahme einer so großen Anhäufung edlen Metalls in
Rußland sich bestätigen sollte, so haben wir dies Ausziehen der Gold- und Silber¬
barren aus den Banken von Frankreich und England zu betrachten, wie das Aus¬
stiege» vou Sturmvögeln, welche eine große europäische Katastrophe prophezeien. —
Ist es das neue Frankreich, oder ist es die Türkei, oder sind es beide, für welche
der Schlag vorbereitet wird?

Die Ungewißheit darüber und das Mißtrauen gegen die commerziellen Ver-'
Hältnisse Frankreichs liegt wie eine Gewitterschwüle über dem Fonds- und Golb-
markt. Doch ist die Thätigkeit der Fabriken und die Energie der Waarengeschäfte
dadurch uoch nicht wesentlich berührt.

' Aber abgesehen von der gegenwärtigen Geldkrisis und ihrer unerklärten Ur¬
sache, haben die letzten Monate unsres Geldmarktes einige große und tröstliche
Lehren von höchster Wichtigkeit gegeben. In einem unglaublich kurzen Zeitraum
haben sich große Masse» von Gold ans den europäischen Märkten angehäuft und
eben so schnell siud sie wieder davon verschwunden. Das bisher erschienene neue
Gold hat weder den Werth des Geldes erniedrigt, noch den anderer Gegenstände
erhöht, und noch viel weniger hat es den gebräuchlichen Zinsfuß ans den großen
Handelsplätzen in Europa herabgedrückt. Wenn man also in der letzten Zeit in
wohldurchdachten Büchern und Artikeln Befürchtungen aller Art über die Abnahme
des Geldwerthes liest, so möge man dagegen anch nicht übersehen, daß selbst
bei ununterbrochenem massenhaftem Goldgewinn noch ans lange Zeit hinaus das
Gold die Industrie der Menschen heben und ausdehnen werde, und daß die
weite Erde noch einen unglaublich großen Raum für Expansion des Menschen¬
geschlechts hat. Die entfernten Fundorte des Goldes verursachen eine sehr große
räumliche Ausdehnung und wieder erhöhten Schwung und gesteigerte Thatkraft
der Menschen. Die vergrößerte räumliche Ausdehnung des Menschengeschlechts
sowol, welche in der That eine moderne Völkerwanderung zu werden scheint, als
die gesteigerte Energie, welche in dem Kampf um ein neues Leben in neuen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/305>, abgerufen am 24.07.2024.