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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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dings viel beiträgt, daß es in etwas größerem Maßstabes und mehr ausgeführt
ist, als das Rauch'sche, so muß man doch auch zugestehen, daß der Sinn unsrer
Zeit sich dem uns im Leben Fremden immer mehr abwendet und der Beachtuug
und Würdigung der Gegenwart in Dingen, die das Volksleben berühren, mehr
zukehrt.

Sieht mau aber von allen individuellen Ansichten und speciellen Gründen
ab und fragt nnr nach der größern oder geringern Berechtigung dieser beiden
verschiedenen Bekleidnngsarten für die Plastik, so scheint mir folgendes
der einfache natürliche Hergang: -- Das eigentliche Gebiet der Plastik und
ihre höchste und schönste Aufgabe ist die menschliche Gestalt, wie sie aus der
Hand der Natur hervorgegangen ist, und die Griechen bildeten auch, ohne Ge¬
fahr für Sittlichkeit, die meisten ihrer Götter und Heroen in diesem Costume,
wenn nicht der Mythus etwas anderes forderte. Sobald man aber den Körper
ganz oder theilweis verhüllte, wenn mau bestimmte Personen bekleidet vorstellte,
so thaten das alle alten Völker in ihrem Costume und die Deutschen thaten dasselbe
bis zum Verfall der neuer" Kunst. Als sich diese zu Ende des vorigen Jahr¬
hunderts nach langem Traume vou Neuem wieder zu regen begann, waren es
Winckelmann und seine Anhänger, welche ans die große Schönheit der alten
Kunst aufmerksam machten, waren es Carstens, Thorvaldsen, Canova n. A.
welche die Schönheit der antiken Ueberreste erkannte", sie als Muster nahmen
und größteutheils antike Gegenstände darstellten. Aber anch für Darstellungen
aus neuerer Zeit, für Portraitstatueu verwendete man das antike Costume, und
wenn man auch nach und nach davon abging, so glaubte man doch zum mindesten
einen Mantel nicht entbehren zu können, theils um der Dravpirung willen, theils
aber um die moderne Kleidung so viel als möglich zu verstecke". Es wird die
Zeit nicht lange ausbleiben, wo man das Unangenehme dieser Mautelstatne"
fühlen wird.

Die antike Bekleidung mit Toga und Tunica, wie sie die Magistratspersoneu
bei den Römern trugen, läßt nnr Kops, Hände, gewöhnlich einen Arm und die
Unterbeine mehr oder weniger sehen, also die Theile, welche die vorzüglichsten
Mittel sind zum Ausdruck des Individuellen einer Person; der übrige Theil des
Körpers ist wenig sichtbar in seineu einzelnen Theilen, bildet eine größere Masse.
Die engere moderne Kleidung gestattet, die freie Haltung, Bewegung, Propor¬
tion der einzelnen Theile der ganzen Gestalt sehen zu lasse", und kauu deshalb
die ganze individuelle Erscheinung einer Person vollständiger geben. Und In
dividnalitäten will und soll der Künstler doch darstellen, mag er nun die Mittel
dazu aus dem Leben oder ans vorhandenen Portraits oder aus seiner Phantasie
durch Studium der Werke und Thaten eines zu Statnirenden nehmen.



Es ist etwa i F. K --8 Zoll hoch, während das Rauch'sche ungefähr einen reichliche"
Fuß hoch sein mag. >

dings viel beiträgt, daß es in etwas größerem Maßstabes und mehr ausgeführt
ist, als das Rauch'sche, so muß man doch auch zugestehen, daß der Sinn unsrer
Zeit sich dem uns im Leben Fremden immer mehr abwendet und der Beachtuug
und Würdigung der Gegenwart in Dingen, die das Volksleben berühren, mehr
zukehrt.

Sieht mau aber von allen individuellen Ansichten und speciellen Gründen
ab und fragt nnr nach der größern oder geringern Berechtigung dieser beiden
verschiedenen Bekleidnngsarten für die Plastik, so scheint mir folgendes
der einfache natürliche Hergang: — Das eigentliche Gebiet der Plastik und
ihre höchste und schönste Aufgabe ist die menschliche Gestalt, wie sie aus der
Hand der Natur hervorgegangen ist, und die Griechen bildeten auch, ohne Ge¬
fahr für Sittlichkeit, die meisten ihrer Götter und Heroen in diesem Costume,
wenn nicht der Mythus etwas anderes forderte. Sobald man aber den Körper
ganz oder theilweis verhüllte, wenn mau bestimmte Personen bekleidet vorstellte,
so thaten das alle alten Völker in ihrem Costume und die Deutschen thaten dasselbe
bis zum Verfall der neuer« Kunst. Als sich diese zu Ende des vorigen Jahr¬
hunderts nach langem Traume vou Neuem wieder zu regen begann, waren es
Winckelmann und seine Anhänger, welche ans die große Schönheit der alten
Kunst aufmerksam machten, waren es Carstens, Thorvaldsen, Canova n. A.
welche die Schönheit der antiken Ueberreste erkannte«, sie als Muster nahmen
und größteutheils antike Gegenstände darstellten. Aber anch für Darstellungen
aus neuerer Zeit, für Portraitstatueu verwendete man das antike Costume, und
wenn man auch nach und nach davon abging, so glaubte man doch zum mindesten
einen Mantel nicht entbehren zu können, theils um der Dravpirung willen, theils
aber um die moderne Kleidung so viel als möglich zu verstecke». Es wird die
Zeit nicht lange ausbleiben, wo man das Unangenehme dieser Mautelstatne»
fühlen wird.

Die antike Bekleidung mit Toga und Tunica, wie sie die Magistratspersoneu
bei den Römern trugen, läßt nnr Kops, Hände, gewöhnlich einen Arm und die
Unterbeine mehr oder weniger sehen, also die Theile, welche die vorzüglichsten
Mittel sind zum Ausdruck des Individuellen einer Person; der übrige Theil des
Körpers ist wenig sichtbar in seineu einzelnen Theilen, bildet eine größere Masse.
Die engere moderne Kleidung gestattet, die freie Haltung, Bewegung, Propor¬
tion der einzelnen Theile der ganzen Gestalt sehen zu lasse», und kauu deshalb
die ganze individuelle Erscheinung einer Person vollständiger geben. Und In
dividnalitäten will und soll der Künstler doch darstellen, mag er nun die Mittel
dazu aus dem Leben oder ans vorhandenen Portraits oder aus seiner Phantasie
durch Studium der Werke und Thaten eines zu Statnirenden nehmen.



Es ist etwa i F. K —8 Zoll hoch, während das Rauch'sche ungefähr einen reichliche»
Fuß hoch sein mag. >
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/295>, abgerufen am 24.07.2024.