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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Interesse der öffentlichen Meinung den Vortritt zu lassen. Selbst die Börse, die
sonst keineswegs romantischer Natur ist, wiegt sich i" süßen Illusionen, nud das
diplomatische Nasenrümpfen Oestreichs, der keineswegs hoffnungsvolle Zustand
Spaniens, die Rüstungen Englands, die Vorbereitungen Deutschlands und gewisse
Motionen in Amerika, die unter allem andere" Verhältnissen Sensation gemacht
haben würden, wie eine Schnldfordenmg an einen Schuldner, der im Rausche so
glücklich war, einigen Trost zu finden. Dem Erwachen wirb ohnehin früh genug
seine Zeit werden, und darum wollen wir es den guten Franzosen nicht übel
"ebenen, wenn sie sich in diesem Augenblick mehr darum kümmern, ob die Kaiserin
ein weißes Sammetkleid oder ein weißes Spitzenkleid tragen werde, ob der Kaiser
die Krone aus dem Kopfe erscheinen will, oder ob er sich blos mit den Lorbeeren
des zweiten Decembers schmücken werde. ES ist bemerkenswerth genug und ver¬
dient unser Lob, daß im Grunde verhältnißmäßig n"r wenig Zudrang aus deu
Provinzen bemerkbar, daß also, wenn man nach diesem Factum sich einen Schluß
zu ziehen erlauben kaun, denn doch etwas Ernst in die Franzosen gekommen.
Zu früh wäre das auch in der That nicht. Die Meinung über die Heirath hat
sich noch immer nicht geändert, wo man hinhört, überall dieselbe tadelnde Stimme,
wenn auch nicht dieselben Motive. Die Rede hat gleichfalls keinen' günstigem
Eindruck gemacht, und obgleich Alles übereinstimmt, daß sie meisterhaft abgefaßt
sei, brachte sie selbst bei den Massen keine rechte Wirkung hervor, weil man diesem
Herr", wie sich das Volt von Paris ausdrückt, nicht trauen kann. Es wird
Louis Napoleon lange nicht gelinge", rechten Enthusiasmus zu erwecke" , er mag
thu", was er will. Das moralische Gefühl ist auch trotz ""srer politischen Spal-
tungen "och stark geung, als daß die Franzosen Alles vergessen hätten, was man
ihrem Lande zugemuthet. Ich muß gestehen, daß ich erwartet hatte, das Manifest
werde sein Glück macheu, die geniale Phrase des parvenu schien mir so ganz im
Geiste des französischen Volkes gefunden, daß ich um so mehr einige Hingebung
vorausgesetzt hätte, weil sich die Bourgeoisie und Haudelsaristokratie gleich so un-
vortheilhaft dadurch berührt erklärte. Bisher hat sich aber Nichts dergleichen kund
gegeben, und das einzige Gefühl, das sich geltend macht, ist jenes einer großen
Neugierde. Die Pariserinnen "vollen die glückliche Kaiserin sehen, die Geld genug
hat, sich ^ Kleider ans einmal macheu zu lassen. Das Volk will sich über¬
zeugen, ob sie wirklich rothes Haar habe cainin; miiz /Xngtm"" -- aber von eigent¬
lichen Volksmanifestationen, wie sie bei einem so beweglichen Naturell wie dem
französischen so leicht zu Stande kommen, ist nirgend eine Spur zu finden.
Mau ist neugierig, wie auf ein Spectakel, es ist eine ^'emuwo wM^MtÄtion,
zu welcher ganz Paris zu Gaste geladen ist. Der Kaiser thut mittlerweile Alles
was er kann, um unter der Hand die Meinung zu verbreiten, daß er nur in
demokratischer Absicht und zum Frommen der Unabhängigkeit Frankreichs eine so
wenig traditionelle Ehe schließe. Die Polizei hat ausdrücklich Auftrag erhalten, sich


Interesse der öffentlichen Meinung den Vortritt zu lassen. Selbst die Börse, die
sonst keineswegs romantischer Natur ist, wiegt sich i» süßen Illusionen, nud das
diplomatische Nasenrümpfen Oestreichs, der keineswegs hoffnungsvolle Zustand
Spaniens, die Rüstungen Englands, die Vorbereitungen Deutschlands und gewisse
Motionen in Amerika, die unter allem andere» Verhältnissen Sensation gemacht
haben würden, wie eine Schnldfordenmg an einen Schuldner, der im Rausche so
glücklich war, einigen Trost zu finden. Dem Erwachen wirb ohnehin früh genug
seine Zeit werden, und darum wollen wir es den guten Franzosen nicht übel
»ebenen, wenn sie sich in diesem Augenblick mehr darum kümmern, ob die Kaiserin
ein weißes Sammetkleid oder ein weißes Spitzenkleid tragen werde, ob der Kaiser
die Krone aus dem Kopfe erscheinen will, oder ob er sich blos mit den Lorbeeren
des zweiten Decembers schmücken werde. ES ist bemerkenswerth genug und ver¬
dient unser Lob, daß im Grunde verhältnißmäßig n»r wenig Zudrang aus deu
Provinzen bemerkbar, daß also, wenn man nach diesem Factum sich einen Schluß
zu ziehen erlauben kaun, denn doch etwas Ernst in die Franzosen gekommen.
Zu früh wäre das auch in der That nicht. Die Meinung über die Heirath hat
sich noch immer nicht geändert, wo man hinhört, überall dieselbe tadelnde Stimme,
wenn auch nicht dieselben Motive. Die Rede hat gleichfalls keinen' günstigem
Eindruck gemacht, und obgleich Alles übereinstimmt, daß sie meisterhaft abgefaßt
sei, brachte sie selbst bei den Massen keine rechte Wirkung hervor, weil man diesem
Herr», wie sich das Volt von Paris ausdrückt, nicht trauen kann. Es wird
Louis Napoleon lange nicht gelinge», rechten Enthusiasmus zu erwecke» , er mag
thu», was er will. Das moralische Gefühl ist auch trotz »»srer politischen Spal-
tungen »och stark geung, als daß die Franzosen Alles vergessen hätten, was man
ihrem Lande zugemuthet. Ich muß gestehen, daß ich erwartet hatte, das Manifest
werde sein Glück macheu, die geniale Phrase des parvenu schien mir so ganz im
Geiste des französischen Volkes gefunden, daß ich um so mehr einige Hingebung
vorausgesetzt hätte, weil sich die Bourgeoisie und Haudelsaristokratie gleich so un-
vortheilhaft dadurch berührt erklärte. Bisher hat sich aber Nichts dergleichen kund
gegeben, und das einzige Gefühl, das sich geltend macht, ist jenes einer großen
Neugierde. Die Pariserinnen »vollen die glückliche Kaiserin sehen, die Geld genug
hat, sich ^ Kleider ans einmal macheu zu lassen. Das Volk will sich über¬
zeugen, ob sie wirklich rothes Haar habe cainin; miiz /Xngtm«» — aber von eigent¬
lichen Volksmanifestationen, wie sie bei einem so beweglichen Naturell wie dem
französischen so leicht zu Stande kommen, ist nirgend eine Spur zu finden.
Mau ist neugierig, wie auf ein Spectakel, es ist eine ^'emuwo wM^MtÄtion,
zu welcher ganz Paris zu Gaste geladen ist. Der Kaiser thut mittlerweile Alles
was er kann, um unter der Hand die Meinung zu verbreiten, daß er nur in
demokratischer Absicht und zum Frommen der Unabhängigkeit Frankreichs eine so
wenig traditionelle Ehe schließe. Die Polizei hat ausdrücklich Auftrag erhalten, sich


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[0277] Interesse der öffentlichen Meinung den Vortritt zu lassen. Selbst die Börse, die sonst keineswegs romantischer Natur ist, wiegt sich i» süßen Illusionen, nud das diplomatische Nasenrümpfen Oestreichs, der keineswegs hoffnungsvolle Zustand Spaniens, die Rüstungen Englands, die Vorbereitungen Deutschlands und gewisse Motionen in Amerika, die unter allem andere» Verhältnissen Sensation gemacht haben würden, wie eine Schnldfordenmg an einen Schuldner, der im Rausche so glücklich war, einigen Trost zu finden. Dem Erwachen wirb ohnehin früh genug seine Zeit werden, und darum wollen wir es den guten Franzosen nicht übel »ebenen, wenn sie sich in diesem Augenblick mehr darum kümmern, ob die Kaiserin ein weißes Sammetkleid oder ein weißes Spitzenkleid tragen werde, ob der Kaiser die Krone aus dem Kopfe erscheinen will, oder ob er sich blos mit den Lorbeeren des zweiten Decembers schmücken werde. ES ist bemerkenswerth genug und ver¬ dient unser Lob, daß im Grunde verhältnißmäßig n»r wenig Zudrang aus deu Provinzen bemerkbar, daß also, wenn man nach diesem Factum sich einen Schluß zu ziehen erlauben kaun, denn doch etwas Ernst in die Franzosen gekommen. Zu früh wäre das auch in der That nicht. Die Meinung über die Heirath hat sich noch immer nicht geändert, wo man hinhört, überall dieselbe tadelnde Stimme, wenn auch nicht dieselben Motive. Die Rede hat gleichfalls keinen' günstigem Eindruck gemacht, und obgleich Alles übereinstimmt, daß sie meisterhaft abgefaßt sei, brachte sie selbst bei den Massen keine rechte Wirkung hervor, weil man diesem Herr», wie sich das Volt von Paris ausdrückt, nicht trauen kann. Es wird Louis Napoleon lange nicht gelinge», rechten Enthusiasmus zu erwecke» , er mag thu», was er will. Das moralische Gefühl ist auch trotz »»srer politischen Spal- tungen »och stark geung, als daß die Franzosen Alles vergessen hätten, was man ihrem Lande zugemuthet. Ich muß gestehen, daß ich erwartet hatte, das Manifest werde sein Glück macheu, die geniale Phrase des parvenu schien mir so ganz im Geiste des französischen Volkes gefunden, daß ich um so mehr einige Hingebung vorausgesetzt hätte, weil sich die Bourgeoisie und Haudelsaristokratie gleich so un- vortheilhaft dadurch berührt erklärte. Bisher hat sich aber Nichts dergleichen kund gegeben, und das einzige Gefühl, das sich geltend macht, ist jenes einer großen Neugierde. Die Pariserinnen »vollen die glückliche Kaiserin sehen, die Geld genug hat, sich ^ Kleider ans einmal macheu zu lassen. Das Volk will sich über¬ zeugen, ob sie wirklich rothes Haar habe cainin; miiz /Xngtm«» — aber von eigent¬ lichen Volksmanifestationen, wie sie bei einem so beweglichen Naturell wie dem französischen so leicht zu Stande kommen, ist nirgend eine Spur zu finden. Mau ist neugierig, wie auf ein Spectakel, es ist eine ^'emuwo wM^MtÄtion, zu welcher ganz Paris zu Gaste geladen ist. Der Kaiser thut mittlerweile Alles was er kann, um unter der Hand die Meinung zu verbreiten, daß er nur in demokratischer Absicht und zum Frommen der Unabhängigkeit Frankreichs eine so wenig traditionelle Ehe schließe. Die Polizei hat ausdrücklich Auftrag erhalten, sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/277>, abgerufen am 29.06.2024.