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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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gestellt wird. Aber daß die Gemeinde den Schulzen wählt, ist nirgend
gesagt; mich die in den Entwürfen, welche den Proviuziallaudtagcu vorlagen,
enthaltene Bestimmung, daß der Landrath den Schulzen wie seine Beisitzer (die
Schössen) auf Präsentation der Gemeindeversammlnng ernannt, und
daß er, wenn er die Präscntirtcn nicht für geeignet hält, andere Personen er¬
nennen darf, fehlt in den Entwürfen, die jetzt den Kammern vorgelegt sind: der
Gemeindevorstand wird also wol schlechtweg ohne jedes Zuthun der Gemeinde
ernannt werden. So hat man die Selbständigkeit der Gemeinden gewahrt!

Schließlich mache ich noch darauf aufmerksam, daß Jude" und Dissidenten
in allen Landgemeinden der östlichen Provinzen von Commuualämtern ausgeschlossen
sind. Die Juden haben das Recht, gegen diese Bestimmung bei dem Bundes¬
tage zu reclamiren. Denn 8. 8 des Edicts vom 11. März 1812, welches, wenn
man von der Verfassung absieht, die Verhältnisse der Juden in den östlichen
Provinzen regelt, spricht ihnen die Berechtigung zu, Gemeindeämter zu verwalten,
und dieses Recht ist ihnen durch dz. 16 der deutschen Bundesacte vom 8. Juni
1818 garantirt. Hier heißt es: "Die Bundesversammlung wird in Berathung
ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerlichen Verbesserungen
der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirten seien und wie
insonderheit denselben der Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme
aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne.
Jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von
den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte er¬
halten." Dazu gehören ohne allen Zweifel die den preußischen Juden in dem
Edict von 1812 beigelegten Rechte. Die rcvidivte Städteordnung vom 17. März
1831, welche die Juden von den Stellen eines Bürgermeisters und Oberbürger¬
meisters ausschloß, verstieß zwar gegen die Bnndcsgesetzgcbnng, war aber für
Preußen factisch ein rechtskräftiges Gesetz; dagegen ist die Ausschließung der
Juden vom Schulzenamte nnr durch ein Miuisterialrescript erfolgt (i. Mai 1833),
welches, wenn es bindend sein sollte, weder gegen den klaren Wortlaut eiues
Bundesgesetzes, noch eines preußischen verstoßen durfte. Zu Magistratsämtern ist
den Juden nie der Zutritt verweigert worden. Die Einschränkungen, welche die
alte Städteordnung bestehen ließ, sind durch den Eingang des Edicts vom
11. März 1812 aufgehoben, welcher lautet: "Wir Friedrich Wilhelm u. s. s.
haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue,
der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle
bisherige, durch das gegenwärtige Edict nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften
für die Juden für aufgehoben." Daß die Einschränkung, welche die neuen
Gtmcindcvrdnuugöeutwürfe vorschlagen, mit der Verfassung unvereinbar ist, kann
nicht bezweifelt werden; aber sie widerspricht auch, wie bemerkt, der Bundes-
gcsetzgebuug.


gestellt wird. Aber daß die Gemeinde den Schulzen wählt, ist nirgend
gesagt; mich die in den Entwürfen, welche den Proviuziallaudtagcu vorlagen,
enthaltene Bestimmung, daß der Landrath den Schulzen wie seine Beisitzer (die
Schössen) auf Präsentation der Gemeindeversammlnng ernannt, und
daß er, wenn er die Präscntirtcn nicht für geeignet hält, andere Personen er¬
nennen darf, fehlt in den Entwürfen, die jetzt den Kammern vorgelegt sind: der
Gemeindevorstand wird also wol schlechtweg ohne jedes Zuthun der Gemeinde
ernannt werden. So hat man die Selbständigkeit der Gemeinden gewahrt!

Schließlich mache ich noch darauf aufmerksam, daß Jude» und Dissidenten
in allen Landgemeinden der östlichen Provinzen von Commuualämtern ausgeschlossen
sind. Die Juden haben das Recht, gegen diese Bestimmung bei dem Bundes¬
tage zu reclamiren. Denn 8. 8 des Edicts vom 11. März 1812, welches, wenn
man von der Verfassung absieht, die Verhältnisse der Juden in den östlichen
Provinzen regelt, spricht ihnen die Berechtigung zu, Gemeindeämter zu verwalten,
und dieses Recht ist ihnen durch dz. 16 der deutschen Bundesacte vom 8. Juni
1818 garantirt. Hier heißt es: „Die Bundesversammlung wird in Berathung
ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerlichen Verbesserungen
der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirten seien und wie
insonderheit denselben der Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme
aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne.
Jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von
den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte er¬
halten." Dazu gehören ohne allen Zweifel die den preußischen Juden in dem
Edict von 1812 beigelegten Rechte. Die rcvidivte Städteordnung vom 17. März
1831, welche die Juden von den Stellen eines Bürgermeisters und Oberbürger¬
meisters ausschloß, verstieß zwar gegen die Bnndcsgesetzgcbnng, war aber für
Preußen factisch ein rechtskräftiges Gesetz; dagegen ist die Ausschließung der
Juden vom Schulzenamte nnr durch ein Miuisterialrescript erfolgt (i. Mai 1833),
welches, wenn es bindend sein sollte, weder gegen den klaren Wortlaut eiues
Bundesgesetzes, noch eines preußischen verstoßen durfte. Zu Magistratsämtern ist
den Juden nie der Zutritt verweigert worden. Die Einschränkungen, welche die
alte Städteordnung bestehen ließ, sind durch den Eingang des Edicts vom
11. März 1812 aufgehoben, welcher lautet: „Wir Friedrich Wilhelm u. s. s.
haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue,
der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle
bisherige, durch das gegenwärtige Edict nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften
für die Juden für aufgehoben." Daß die Einschränkung, welche die neuen
Gtmcindcvrdnuugöeutwürfe vorschlagen, mit der Verfassung unvereinbar ist, kann
nicht bezweifelt werden; aber sie widerspricht auch, wie bemerkt, der Bundes-
gcsetzgebuug.


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[0230] gestellt wird. Aber daß die Gemeinde den Schulzen wählt, ist nirgend gesagt; mich die in den Entwürfen, welche den Proviuziallaudtagcu vorlagen, enthaltene Bestimmung, daß der Landrath den Schulzen wie seine Beisitzer (die Schössen) auf Präsentation der Gemeindeversammlnng ernannt, und daß er, wenn er die Präscntirtcn nicht für geeignet hält, andere Personen er¬ nennen darf, fehlt in den Entwürfen, die jetzt den Kammern vorgelegt sind: der Gemeindevorstand wird also wol schlechtweg ohne jedes Zuthun der Gemeinde ernannt werden. So hat man die Selbständigkeit der Gemeinden gewahrt! Schließlich mache ich noch darauf aufmerksam, daß Jude» und Dissidenten in allen Landgemeinden der östlichen Provinzen von Commuualämtern ausgeschlossen sind. Die Juden haben das Recht, gegen diese Bestimmung bei dem Bundes¬ tage zu reclamiren. Denn 8. 8 des Edicts vom 11. März 1812, welches, wenn man von der Verfassung absieht, die Verhältnisse der Juden in den östlichen Provinzen regelt, spricht ihnen die Berechtigung zu, Gemeindeämter zu verwalten, und dieses Recht ist ihnen durch dz. 16 der deutschen Bundesacte vom 8. Juni 1818 garantirt. Hier heißt es: „Die Bundesversammlung wird in Berathung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerlichen Verbesserungen der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirten seien und wie insonderheit denselben der Genuß der bürgerlichen Rechte gegen die Uebernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne. Jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte er¬ halten." Dazu gehören ohne allen Zweifel die den preußischen Juden in dem Edict von 1812 beigelegten Rechte. Die rcvidivte Städteordnung vom 17. März 1831, welche die Juden von den Stellen eines Bürgermeisters und Oberbürger¬ meisters ausschloß, verstieß zwar gegen die Bnndcsgesetzgcbnng, war aber für Preußen factisch ein rechtskräftiges Gesetz; dagegen ist die Ausschließung der Juden vom Schulzenamte nnr durch ein Miuisterialrescript erfolgt (i. Mai 1833), welches, wenn es bindend sein sollte, weder gegen den klaren Wortlaut eiues Bundesgesetzes, noch eines preußischen verstoßen durfte. Zu Magistratsämtern ist den Juden nie der Zutritt verweigert worden. Die Einschränkungen, welche die alte Städteordnung bestehen ließ, sind durch den Eingang des Edicts vom 11. März 1812 aufgehoben, welcher lautet: „Wir Friedrich Wilhelm u. s. s. haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, der allgemeinen Wohlfahrt angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edict nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben." Daß die Einschränkung, welche die neuen Gtmcindcvrdnuugöeutwürfe vorschlagen, mit der Verfassung unvereinbar ist, kann nicht bezweifelt werden; aber sie widerspricht auch, wie bemerkt, der Bundes- gcsetzgebuug.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/230>, abgerufen am 24.07.2024.