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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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den Forschungen über die dunkelsten Partien der römischen Antiquitäten an
Schwierigkeit und Hoffnungslosigkeit durchaus uicht nachsteht.

So war die Lage des Cvmmnnalwesens bei Eröffnung der diesjährigen
Session, der die traurige Ausgabe bestimmt ist, uns nicht nur wieder hinter das
Jahr 1830, sondern hinter das Jahr 18V8 zurückzuwerfen. Das Ministerium
brachte zunächst Gesetzentwürfe el", welche die Gen.-Ordn, v. 18!i0 ansdrücklich
beseitigen und Art. 10!) der Verf., der die Grundzüge der künftigen Commnnal-
ordnnng feststellt, ausmerzen sollten. Nachdem so die Dämme, welche die Re¬
stauration bisher einengten, glücklich durchstochen waren, wurden wir mit einer
wahren Fluch von Entwürfen überschwemmt. Da kam eine besondere Gemeinde-
ordnung für die Rheinprovinz, 7 für die ländlichen Gemeinden in Westphalen
und den sechs östlichen Provinzen, eine für die Städte der östlichen Provinzen
mit Ausschluß Neuvorpvmmerns, eine für die Städte in Neuvorpommern, eine
für die in Westphalen; in Summa -I-I GemeiudcvrdnnngSentwürfe! Hinter diesen
stehen als zweites Treffen 8 Kreiövrdnnngcn, und als Reserve in weiterer Ferne
8 Provinzialordnnngen! Da kann man doch wol mit jenem frommen Pfarrer,
dessen Frau blos mit Drilliugeu niederkam, ausrufen: "Herr, halt ein mit Deinem
Segen!" Aber noch war deö Guten nicht genug. In diesen Entwürfe" erhält
jede Ortschaft das Recht, ihre absonderlichen Observanzen und "Eigenthümlich¬
keiten" als specielle Vervollständigung der Gen.-Ordn. auszuzeichnen, -- natür¬
lich "unter Leitung des Landraths," wie ans Empfehlung der pommerschen "her¬
vorragenden Existenzen" hinzugesetzt wurde, und uuter Vorbehalt der Bestätigung
durch die Negierung; so werde" wir Gemeindeordnungen erhalten, unzählbar
wie der Wüstensand; freilich auch eben so unerquicklich und "nfrnchtbar.

Ich kaun mir die Eigenthümlichkeit des Geistes, der diese Entwürfe aussauu,
nur schwer vergegenwärtigen. Wenn dieses Königreich ein Antignitäteucabinet wäre,
wenn.es darauf ankäme, um eiues wissenschaftlichen Zweckes willen verrottete und
schädliche Einrichtungen zu conserviren, wie man noch hier und dort Elennthiere
conservirt, trotz des Schadens, den sie anrichten: so würde ich die neuen Vor¬
lagen begreife". Jetzt aber fragt man sich verwundert: was soll das Alles? was
ist damit gewonnen? was wird dadurch geschafft" oder begründet? In Bezug
ans die Städte und die westlichen Provinzen werden wir weit in die Vergangen¬
heit zurückgewiesen, indem die büreaukratische Maschinerie auf Kosten der Selbst-
ständigkeit der Gemeinden vervollständigt wird; und für das platte Land der
östlichen Provinzen ist anch nicht einmal der Versuch einer Organisation gemacht.

Hier lassen sich sämmtliche Bestimmungen in drei Kategorien zerlegen; sie
bezwecken entweder 1) das Alte zu conserviren; oder 2) die Stellung der Ritter¬
güter als "kleiner Monarchien" möglichst zu sichern; oder 3) der bureaukratischen
Einmischung möglichst freie Bahn zu öffnen. Das sind die Grundsätze, die Leben
gebären sollen!


den Forschungen über die dunkelsten Partien der römischen Antiquitäten an
Schwierigkeit und Hoffnungslosigkeit durchaus uicht nachsteht.

So war die Lage des Cvmmnnalwesens bei Eröffnung der diesjährigen
Session, der die traurige Ausgabe bestimmt ist, uns nicht nur wieder hinter das
Jahr 1830, sondern hinter das Jahr 18V8 zurückzuwerfen. Das Ministerium
brachte zunächst Gesetzentwürfe el», welche die Gen.-Ordn, v. 18!i0 ansdrücklich
beseitigen und Art. 10!) der Verf., der die Grundzüge der künftigen Commnnal-
ordnnng feststellt, ausmerzen sollten. Nachdem so die Dämme, welche die Re¬
stauration bisher einengten, glücklich durchstochen waren, wurden wir mit einer
wahren Fluch von Entwürfen überschwemmt. Da kam eine besondere Gemeinde-
ordnung für die Rheinprovinz, 7 für die ländlichen Gemeinden in Westphalen
und den sechs östlichen Provinzen, eine für die Städte der östlichen Provinzen
mit Ausschluß Neuvorpvmmerns, eine für die Städte in Neuvorpommern, eine
für die in Westphalen; in Summa -I-I GemeiudcvrdnnngSentwürfe! Hinter diesen
stehen als zweites Treffen 8 Kreiövrdnnngcn, und als Reserve in weiterer Ferne
8 Provinzialordnnngen! Da kann man doch wol mit jenem frommen Pfarrer,
dessen Frau blos mit Drilliugeu niederkam, ausrufen: „Herr, halt ein mit Deinem
Segen!" Aber noch war deö Guten nicht genug. In diesen Entwürfe» erhält
jede Ortschaft das Recht, ihre absonderlichen Observanzen und „Eigenthümlich¬
keiten" als specielle Vervollständigung der Gen.-Ordn. auszuzeichnen, — natür¬
lich „unter Leitung des Landraths," wie ans Empfehlung der pommerschen „her¬
vorragenden Existenzen" hinzugesetzt wurde, und uuter Vorbehalt der Bestätigung
durch die Negierung; so werde» wir Gemeindeordnungen erhalten, unzählbar
wie der Wüstensand; freilich auch eben so unerquicklich und »nfrnchtbar.

Ich kaun mir die Eigenthümlichkeit des Geistes, der diese Entwürfe aussauu,
nur schwer vergegenwärtigen. Wenn dieses Königreich ein Antignitäteucabinet wäre,
wenn.es darauf ankäme, um eiues wissenschaftlichen Zweckes willen verrottete und
schädliche Einrichtungen zu conserviren, wie man noch hier und dort Elennthiere
conservirt, trotz des Schadens, den sie anrichten: so würde ich die neuen Vor¬
lagen begreife». Jetzt aber fragt man sich verwundert: was soll das Alles? was
ist damit gewonnen? was wird dadurch geschafft» oder begründet? In Bezug
ans die Städte und die westlichen Provinzen werden wir weit in die Vergangen¬
heit zurückgewiesen, indem die büreaukratische Maschinerie auf Kosten der Selbst-
ständigkeit der Gemeinden vervollständigt wird; und für das platte Land der
östlichen Provinzen ist anch nicht einmal der Versuch einer Organisation gemacht.

Hier lassen sich sämmtliche Bestimmungen in drei Kategorien zerlegen; sie
bezwecken entweder 1) das Alte zu conserviren; oder 2) die Stellung der Ritter¬
güter als „kleiner Monarchien" möglichst zu sichern; oder 3) der bureaukratischen
Einmischung möglichst freie Bahn zu öffnen. Das sind die Grundsätze, die Leben
gebären sollen!


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[0226] den Forschungen über die dunkelsten Partien der römischen Antiquitäten an Schwierigkeit und Hoffnungslosigkeit durchaus uicht nachsteht. So war die Lage des Cvmmnnalwesens bei Eröffnung der diesjährigen Session, der die traurige Ausgabe bestimmt ist, uns nicht nur wieder hinter das Jahr 1830, sondern hinter das Jahr 18V8 zurückzuwerfen. Das Ministerium brachte zunächst Gesetzentwürfe el», welche die Gen.-Ordn, v. 18!i0 ansdrücklich beseitigen und Art. 10!) der Verf., der die Grundzüge der künftigen Commnnal- ordnnng feststellt, ausmerzen sollten. Nachdem so die Dämme, welche die Re¬ stauration bisher einengten, glücklich durchstochen waren, wurden wir mit einer wahren Fluch von Entwürfen überschwemmt. Da kam eine besondere Gemeinde- ordnung für die Rheinprovinz, 7 für die ländlichen Gemeinden in Westphalen und den sechs östlichen Provinzen, eine für die Städte der östlichen Provinzen mit Ausschluß Neuvorpvmmerns, eine für die Städte in Neuvorpommern, eine für die in Westphalen; in Summa -I-I GemeiudcvrdnnngSentwürfe! Hinter diesen stehen als zweites Treffen 8 Kreiövrdnnngcn, und als Reserve in weiterer Ferne 8 Provinzialordnnngen! Da kann man doch wol mit jenem frommen Pfarrer, dessen Frau blos mit Drilliugeu niederkam, ausrufen: „Herr, halt ein mit Deinem Segen!" Aber noch war deö Guten nicht genug. In diesen Entwürfe» erhält jede Ortschaft das Recht, ihre absonderlichen Observanzen und „Eigenthümlich¬ keiten" als specielle Vervollständigung der Gen.-Ordn. auszuzeichnen, — natür¬ lich „unter Leitung des Landraths," wie ans Empfehlung der pommerschen „her¬ vorragenden Existenzen" hinzugesetzt wurde, und uuter Vorbehalt der Bestätigung durch die Negierung; so werde» wir Gemeindeordnungen erhalten, unzählbar wie der Wüstensand; freilich auch eben so unerquicklich und »nfrnchtbar. Ich kaun mir die Eigenthümlichkeit des Geistes, der diese Entwürfe aussauu, nur schwer vergegenwärtigen. Wenn dieses Königreich ein Antignitäteucabinet wäre, wenn.es darauf ankäme, um eiues wissenschaftlichen Zweckes willen verrottete und schädliche Einrichtungen zu conserviren, wie man noch hier und dort Elennthiere conservirt, trotz des Schadens, den sie anrichten: so würde ich die neuen Vor¬ lagen begreife». Jetzt aber fragt man sich verwundert: was soll das Alles? was ist damit gewonnen? was wird dadurch geschafft» oder begründet? In Bezug ans die Städte und die westlichen Provinzen werden wir weit in die Vergangen¬ heit zurückgewiesen, indem die büreaukratische Maschinerie auf Kosten der Selbst- ständigkeit der Gemeinden vervollständigt wird; und für das platte Land der östlichen Provinzen ist anch nicht einmal der Versuch einer Organisation gemacht. Hier lassen sich sämmtliche Bestimmungen in drei Kategorien zerlegen; sie bezwecken entweder 1) das Alte zu conserviren; oder 2) die Stellung der Ritter¬ güter als „kleiner Monarchien" möglichst zu sichern; oder 3) der bureaukratischen Einmischung möglichst freie Bahn zu öffnen. Das sind die Grundsätze, die Leben gebären sollen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/226>, abgerufen am 27.08.2024.