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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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bestimmt den König von der Einführung der Civilehe abzubringen, den Be¬
strebungen der recictiouairen Fraction zu Hilfe kam, fanden die Herren Revel
und Balbo kein geneigtes Gehör für ihre Forderungen. Die Unterhandlungen
mit Cavonr wurden wieder aufgenommen und ein Ministerium durch diesen zu
Stande gebracht, dessen Zusammensetzung eine Leitung der öffentlichen Angelegen¬
heiten im Sinne des entschieden constitutionellen linken Centrums in Aussicht stellte.

Der jetzige Ministerpräsident selber schied, wie man sich erinnern wird, vor
einiger Zeit ans der Verwaltung d'Azcglio's, weil seine Person ganz besonders
die Antipathien des Klerus und der rechten Seite erregte. Seine Rückkehr an
die Spitze der Geschäfte mußte daher die energische Durchführung der begonnenen
Reformen und die standhafte Vertheidigung der Unabhängigkeit Piemonts und
der Krone gegen die Anmaßungen des Vaticans bedeuten. Er ist außerdem der
hervorragendste Vertreter der Freihaudelspolitik und des Bündnisses mit England,
und seine hohe finanzielle Kapacität verbürgte durchgreifende Maßregeln zur
Ordnung der durch die Folge" des unglücklichen Krieges mit Oestreich noch immer
schwer verwickelten Finanzlage. Seine Gelangnug an das Ruder des Staates
wurde deshalb von der öffentlichen Meinung, wie von der liberalen Presse, mit
großem Beifall begrüßt, und die Entscheidung des Königs in dieser bedenklichen
Krisis konnte die Anhänglichkeit an den Monarchen und seine Dynastie nur
steigern und befestigen.

Die Session ist seit mehreren Wochen eröffnet und bis jetzt hat eine com-
pacte Majorität der zweiten Kammer das neue Cabinet unterstützt. Die Durch¬
führung des Ehegesetzes ist indeß im Senat ans übrigens vorauszusehende Hin¬
dernisse gestoßen; der Entwurf desselben, der schon ziemlich verstümmelt aus den
Berathungen der Commission hervorgegangen war, wurde nach lebhaften Debatten
mit 39 gegen 38 Stimmen verworfen. Dieses Ergebniß beunruhigte das Publi-
cum und veranlaßte Brofferio, den Chef der demokratischen Linken in der zweiten
Kammer, zu eiuer ziemlich scharfen Jnterpellation an das Ministerium; auf die
bestimmte Versicherung des Cvuseilpräsidculeu jedoch, daß die Regierung die
Einbringung eiues neuen Entwurfs vorbereite, ging die Versammlung zur Tages¬
ordnung über. Es erscheint "unzugänglich, daß, um dessen Annahme im Senate
zu sicher", die Krone vou der ihr zustehenden Befugniß der Ernennung neuer
Senatore" Gebrauch macheu muß, was auch zweifelsohne geschehn wird. Die
Petitionen der Municipalitäten wegen Einziehung der Kirchengüter werden vor¬
aussichtlich durch die Annahme der Tagesordnung beseitigt werden, und nur die
Stimmen der demokratischen Abgeordneten für sich gewinnen. Eine Maßregel
dieser Art wäre auch in Piemonts gegenwärtiger Lage ein eben so unkluges, als
unnützes Wagestück.

Die Berathung des Budgets in der zweiten Kammer bot die seltene Erschei¬
nung dar, die Versammlung dem Gouvernement eine Vermehrung der Bewilli-


bestimmt den König von der Einführung der Civilehe abzubringen, den Be¬
strebungen der recictiouairen Fraction zu Hilfe kam, fanden die Herren Revel
und Balbo kein geneigtes Gehör für ihre Forderungen. Die Unterhandlungen
mit Cavonr wurden wieder aufgenommen und ein Ministerium durch diesen zu
Stande gebracht, dessen Zusammensetzung eine Leitung der öffentlichen Angelegen¬
heiten im Sinne des entschieden constitutionellen linken Centrums in Aussicht stellte.

Der jetzige Ministerpräsident selber schied, wie man sich erinnern wird, vor
einiger Zeit ans der Verwaltung d'Azcglio's, weil seine Person ganz besonders
die Antipathien des Klerus und der rechten Seite erregte. Seine Rückkehr an
die Spitze der Geschäfte mußte daher die energische Durchführung der begonnenen
Reformen und die standhafte Vertheidigung der Unabhängigkeit Piemonts und
der Krone gegen die Anmaßungen des Vaticans bedeuten. Er ist außerdem der
hervorragendste Vertreter der Freihaudelspolitik und des Bündnisses mit England,
und seine hohe finanzielle Kapacität verbürgte durchgreifende Maßregeln zur
Ordnung der durch die Folge» des unglücklichen Krieges mit Oestreich noch immer
schwer verwickelten Finanzlage. Seine Gelangnug an das Ruder des Staates
wurde deshalb von der öffentlichen Meinung, wie von der liberalen Presse, mit
großem Beifall begrüßt, und die Entscheidung des Königs in dieser bedenklichen
Krisis konnte die Anhänglichkeit an den Monarchen und seine Dynastie nur
steigern und befestigen.

Die Session ist seit mehreren Wochen eröffnet und bis jetzt hat eine com-
pacte Majorität der zweiten Kammer das neue Cabinet unterstützt. Die Durch¬
führung des Ehegesetzes ist indeß im Senat ans übrigens vorauszusehende Hin¬
dernisse gestoßen; der Entwurf desselben, der schon ziemlich verstümmelt aus den
Berathungen der Commission hervorgegangen war, wurde nach lebhaften Debatten
mit 39 gegen 38 Stimmen verworfen. Dieses Ergebniß beunruhigte das Publi-
cum und veranlaßte Brofferio, den Chef der demokratischen Linken in der zweiten
Kammer, zu eiuer ziemlich scharfen Jnterpellation an das Ministerium; auf die
bestimmte Versicherung des Cvuseilpräsidculeu jedoch, daß die Regierung die
Einbringung eiues neuen Entwurfs vorbereite, ging die Versammlung zur Tages¬
ordnung über. Es erscheint »unzugänglich, daß, um dessen Annahme im Senate
zu sicher», die Krone vou der ihr zustehenden Befugniß der Ernennung neuer
Senatore» Gebrauch macheu muß, was auch zweifelsohne geschehn wird. Die
Petitionen der Municipalitäten wegen Einziehung der Kirchengüter werden vor¬
aussichtlich durch die Annahme der Tagesordnung beseitigt werden, und nur die
Stimmen der demokratischen Abgeordneten für sich gewinnen. Eine Maßregel
dieser Art wäre auch in Piemonts gegenwärtiger Lage ein eben so unkluges, als
unnützes Wagestück.

Die Berathung des Budgets in der zweiten Kammer bot die seltene Erschei¬
nung dar, die Versammlung dem Gouvernement eine Vermehrung der Bewilli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/210>, abgerufen am 02.10.2024.