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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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man dagegen Gemeinden von größerm Umfang, -- etwa kirchspielswcise, wo die
confesfion eilen Verhältnisse es erlauben, -- so werden die, aus einer solchen
Vereinigung etwa hervorgehenden Lasten auf eine größere Anzahl wohlhabender
Personen repartirt und leichter getragen; dann finden sich auch eher die Mittel,
nützliche Arbeiten zu beschaffen, und durch Gewährung von Arbeit die Zahl der
wirklich Unterstützungsbedürftigen zu vermindern. In den seltenen Fällen, in
denen man das Gesetz in dieser umfassenden Weise auszuführen suchte, hat sich
in der That kein Widersprich gezeigt. In einem Kreise des Gumbinner-Re¬
gierungsbezirks ist z. B. die Abgrenzung der Sammtgemeindebezirkc Kirchspicls-
weisc erfolgt, unter allseitiger Beistimmung der Betheiligten; und dieser Kreis
zählt über 30 Rittergüter.

Dem Ministerium: genügten indeß die Ersahrungen, die sie bei einer unge-
schickten Ausführung des Gesetzes herausgestellt hatten, vollkommen zu dem Ent¬
schluß, das Gesetz von lttliö zu beseitigen. Nach Reactivirung der Stände mußte
die Gemeindeordnung noch mehr wie ein neuer Lappen ans ein altes Kleid er¬
scheinen. In der Session von -18.^--62 trat der Minister des Jnnern mit
zahlreichen neuen Gemeindeordnnugsgrüuden vor den Kammern, zum Theil für
einzelne Provinzen, zum Theil für Stadt- oder Landgemeinden gesondert. Die
Gründe, welche der Herr Minister gegen das Gesetz von 18!i0 anführte, geben
ein zu klares Bild von seinem eigenthümlichen Urtheil, als daß wir sie ganz
übergehen konnten; sie hatten außerdem dadurch sür uus ein besonderes Interesse,
daß sie großentheils den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten in früheren
Sessionen schnurstracks zuwider liefe", und nicht selten eine Kritik derselben ent¬
hielten, welche durch die anscheinende Harmlosigkeit, mit der sie vorgetragen
wurde, kaum ihren Stachel verlor. Solche Gründe freilich, wie den, daß die
Gemeinden sich nicht an die Bezeichnung "Gemeindevorstand" für "Magistrat"
und "Schulze" gewöhnen könnten, dürfen wir wol übergehen. Diese Wäsche
waschen wir am besten <;n l'lurüIlL. Daß wir dergleichen vom Ministertisch hören
müssen, ist ein Kreuz, welches wir, da wir es nicht ablegen können, am besten in
schweigender Resignation tragen.

Wer offne Angen hat, wird den "specifischen Unterschied zwischen Stadt und
Land" als eine Sage der Vorzeit betrachten, die ans den längst entschwundenen
Tagen des Gewerbezwanges und Zunftwesens herrührt. Jetzt sind nicht nur die
Schranken gefallen, die einst den Städter von dem Landbewohner trennten; es
ist überhaupt unmöglich geworden, die verschiedenen Berufsarten zu trennen,
seitdem der Fortschritt der Cultur sie tausendfach in einander verschlungen und
eine der andern dienstbar gemacht hat. Die kleinen Städte -- und sie bilden die
Mehrzahl -- ziehen namentlich in den östlichen Provinzen ihren Haupterwerb
aus dem Ackerbau; Fabrikthätigkeit kennen sie hier fast gar nicht, und das
niedere Gewerbe vegetirt in thuen mir kümmerlich. Dagegen hat sich die Ge-


man dagegen Gemeinden von größerm Umfang, — etwa kirchspielswcise, wo die
confesfion eilen Verhältnisse es erlauben, — so werden die, aus einer solchen
Vereinigung etwa hervorgehenden Lasten auf eine größere Anzahl wohlhabender
Personen repartirt und leichter getragen; dann finden sich auch eher die Mittel,
nützliche Arbeiten zu beschaffen, und durch Gewährung von Arbeit die Zahl der
wirklich Unterstützungsbedürftigen zu vermindern. In den seltenen Fällen, in
denen man das Gesetz in dieser umfassenden Weise auszuführen suchte, hat sich
in der That kein Widersprich gezeigt. In einem Kreise des Gumbinner-Re¬
gierungsbezirks ist z. B. die Abgrenzung der Sammtgemeindebezirkc Kirchspicls-
weisc erfolgt, unter allseitiger Beistimmung der Betheiligten; und dieser Kreis
zählt über 30 Rittergüter.

Dem Ministerium: genügten indeß die Ersahrungen, die sie bei einer unge-
schickten Ausführung des Gesetzes herausgestellt hatten, vollkommen zu dem Ent¬
schluß, das Gesetz von lttliö zu beseitigen. Nach Reactivirung der Stände mußte
die Gemeindeordnung noch mehr wie ein neuer Lappen ans ein altes Kleid er¬
scheinen. In der Session von -18.^—62 trat der Minister des Jnnern mit
zahlreichen neuen Gemeindeordnnugsgrüuden vor den Kammern, zum Theil für
einzelne Provinzen, zum Theil für Stadt- oder Landgemeinden gesondert. Die
Gründe, welche der Herr Minister gegen das Gesetz von 18!i0 anführte, geben
ein zu klares Bild von seinem eigenthümlichen Urtheil, als daß wir sie ganz
übergehen konnten; sie hatten außerdem dadurch sür uus ein besonderes Interesse,
daß sie großentheils den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten in früheren
Sessionen schnurstracks zuwider liefe», und nicht selten eine Kritik derselben ent¬
hielten, welche durch die anscheinende Harmlosigkeit, mit der sie vorgetragen
wurde, kaum ihren Stachel verlor. Solche Gründe freilich, wie den, daß die
Gemeinden sich nicht an die Bezeichnung „Gemeindevorstand" für „Magistrat"
und „Schulze" gewöhnen könnten, dürfen wir wol übergehen. Diese Wäsche
waschen wir am besten <;n l'lurüIlL. Daß wir dergleichen vom Ministertisch hören
müssen, ist ein Kreuz, welches wir, da wir es nicht ablegen können, am besten in
schweigender Resignation tragen.

Wer offne Angen hat, wird den „specifischen Unterschied zwischen Stadt und
Land" als eine Sage der Vorzeit betrachten, die ans den längst entschwundenen
Tagen des Gewerbezwanges und Zunftwesens herrührt. Jetzt sind nicht nur die
Schranken gefallen, die einst den Städter von dem Landbewohner trennten; es
ist überhaupt unmöglich geworden, die verschiedenen Berufsarten zu trennen,
seitdem der Fortschritt der Cultur sie tausendfach in einander verschlungen und
eine der andern dienstbar gemacht hat. Die kleinen Städte — und sie bilden die
Mehrzahl — ziehen namentlich in den östlichen Provinzen ihren Haupterwerb
aus dem Ackerbau; Fabrikthätigkeit kennen sie hier fast gar nicht, und das
niedere Gewerbe vegetirt in thuen mir kümmerlich. Dagegen hat sich die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/190>, abgerufen am 24.07.2024.