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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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geworden, bemerken wir die Lücke, erst wenn das Neue eine Macht, sein
Entstehen.

Gerade in Frankfurt drängen sich derartige Betrachtungen eindringlicher ans, als
an vielen andern Orten. Staat und Stadt fällt zusammen, beiderLebeu wurzelt in einem
individuell kleinen, durch die Verhältnisse so großen Gcschichtsleben. Die steinernen
Stätten der alten Geschichtsgänge stehen noch und die umgewandelten Schatten¬
reste der deutschen Geschichtögröße residiren wieder innerhalb der Mauern. Das
eigene Gesellschaftsleben Frankfurts vererbte sich von Geschlecht zu Geschlecht, ohne
zu innigem Zusammenhange mit jenem, von allen Seiten herandampfenden Gesell-
schaftsleben zu kommen, welches in Frankfurt seine Hauptstadt erobern will. Frank¬
furts Geschäftsleben ist dagegen bis in seine feinsten Verzweigungen untrennbar
mit dem uichtfraukfurtcr Leben verwachsen, ist ohne dasselbe undenkbar. Die
Capitälen aller drei Hessen, Nassaus, Badens sind nnr Residenzen, während
Frankfurt in tausendfachen Beziehungen ihre Landeshauptstadt wurde; und selbst
Unterfrankcns Leben ist nicht nach Würzburg, Nürnberg oder gar München zu
lenken, sondern fluthet immer von Neuem nach dem natürlichen Hasen seiner
Einmündung in deu großen Weltverkehr. -- Hat Frankfurt etwas dafür gethan,
daß es so wurde? Brauchte es etwas dafür zu thun? Diese Fragen wiegen schwer
und sind verwickelt. Sie werden einfacher, wenn wir der Frankfurter anstatt
Frankfurt sage"; der Staat, als solcher, hat überdies auf die Frage, wie sie
zunächst vorliegt, keinen unmittelbaren Einfluß. Sie ist geschäftlicher und socialer
Natur, und obgleich der Deutsche von den Regierenden seit Jahrhunderten in
strenge persönliche Abhängigkeit von den Autoritäten verseht wurde, so liegt es
doch uoch heut keineswegs gleichermaßen in seinem Charakter, wie im französischen,
den Staat als die Quelle zu denken, woraus der Einzelne erst seine Existenz
schöpft. In geschäftlicher Hinsicht hat der Frankfurter -- dies ist bekannt --
unendlich viel gethan, die von ihrer Lage begünstigte Stadt zu dem zu mache",
was sie ist. Und er wurde vom Staate unterstützt, gerade durch das sehr aristo¬
kratische Regiment am lebhaftesten. In socialer Hinsicht dagegen -- und dazu
gehört jedwede feinere Cultur -- hat der Frankfurter niemals absonderlich gestrebt,
seine Stadt zum Mittelpunkte der Umlaute zu macheu. Was dafür geschah, ist
neuern, oft neuesten Ursprungs, verdankt seine Entstehung einzelnen Persönlich¬
keiten, keinem Sinn und keiner Neigung des größer" Publicums. Dieses dachte
immer nur an den Meßplatz, während z. B. beim Theater, Cäcilicnverci",
Museum u. s. w. fast immer ein und dieselben wenigen Namen als Gründer,
Beförderer und Erhalter zu nennen sind. Und seitdem ihre Träger großentheils
vom Grabhügel bedeckt werden, fühlen all diese Anstalten und Unternehmungen
den Maugel großartiger Mäcenaten.

Damit ist just kein Tadel auf die Frankfurter geworfen. Früher, als noch
die bischöflichen Residenzen ihren Glanz ringsum verbreiteten, konnte Frankfurt


geworden, bemerken wir die Lücke, erst wenn das Neue eine Macht, sein
Entstehen.

Gerade in Frankfurt drängen sich derartige Betrachtungen eindringlicher ans, als
an vielen andern Orten. Staat und Stadt fällt zusammen, beiderLebeu wurzelt in einem
individuell kleinen, durch die Verhältnisse so großen Gcschichtsleben. Die steinernen
Stätten der alten Geschichtsgänge stehen noch und die umgewandelten Schatten¬
reste der deutschen Geschichtögröße residiren wieder innerhalb der Mauern. Das
eigene Gesellschaftsleben Frankfurts vererbte sich von Geschlecht zu Geschlecht, ohne
zu innigem Zusammenhange mit jenem, von allen Seiten herandampfenden Gesell-
schaftsleben zu kommen, welches in Frankfurt seine Hauptstadt erobern will. Frank¬
furts Geschäftsleben ist dagegen bis in seine feinsten Verzweigungen untrennbar
mit dem uichtfraukfurtcr Leben verwachsen, ist ohne dasselbe undenkbar. Die
Capitälen aller drei Hessen, Nassaus, Badens sind nnr Residenzen, während
Frankfurt in tausendfachen Beziehungen ihre Landeshauptstadt wurde; und selbst
Unterfrankcns Leben ist nicht nach Würzburg, Nürnberg oder gar München zu
lenken, sondern fluthet immer von Neuem nach dem natürlichen Hasen seiner
Einmündung in deu großen Weltverkehr. — Hat Frankfurt etwas dafür gethan,
daß es so wurde? Brauchte es etwas dafür zu thun? Diese Fragen wiegen schwer
und sind verwickelt. Sie werden einfacher, wenn wir der Frankfurter anstatt
Frankfurt sage»; der Staat, als solcher, hat überdies auf die Frage, wie sie
zunächst vorliegt, keinen unmittelbaren Einfluß. Sie ist geschäftlicher und socialer
Natur, und obgleich der Deutsche von den Regierenden seit Jahrhunderten in
strenge persönliche Abhängigkeit von den Autoritäten verseht wurde, so liegt es
doch uoch heut keineswegs gleichermaßen in seinem Charakter, wie im französischen,
den Staat als die Quelle zu denken, woraus der Einzelne erst seine Existenz
schöpft. In geschäftlicher Hinsicht hat der Frankfurter — dies ist bekannt —
unendlich viel gethan, die von ihrer Lage begünstigte Stadt zu dem zu mache»,
was sie ist. Und er wurde vom Staate unterstützt, gerade durch das sehr aristo¬
kratische Regiment am lebhaftesten. In socialer Hinsicht dagegen — und dazu
gehört jedwede feinere Cultur — hat der Frankfurter niemals absonderlich gestrebt,
seine Stadt zum Mittelpunkte der Umlaute zu macheu. Was dafür geschah, ist
neuern, oft neuesten Ursprungs, verdankt seine Entstehung einzelnen Persönlich¬
keiten, keinem Sinn und keiner Neigung des größer» Publicums. Dieses dachte
immer nur an den Meßplatz, während z. B. beim Theater, Cäcilicnverci»,
Museum u. s. w. fast immer ein und dieselben wenigen Namen als Gründer,
Beförderer und Erhalter zu nennen sind. Und seitdem ihre Träger großentheils
vom Grabhügel bedeckt werden, fühlen all diese Anstalten und Unternehmungen
den Maugel großartiger Mäcenaten.

Damit ist just kein Tadel auf die Frankfurter geworfen. Früher, als noch
die bischöflichen Residenzen ihren Glanz ringsum verbreiteten, konnte Frankfurt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/157>, abgerufen am 29.06.2024.