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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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indirecten Wahlen, daß die Mehrheit der Wahlmänner, bei nur einiger Partei¬
disciplin, die von der Gesammtheit derselben vorzunehmenden Wahlen ausschließlich
und unbeschränkt beherrscht. Und so geschah es auch in Leipzig. Bei der definitiven
Wahl der Stadtverordneten fielen sa um du ehe Kandidaten der Konservativen durch,
bis auf einen einzigen, der seiner großen Tüchtigkeit und allgemein respeetirten Per¬
sönlichkeit wegen, mit Unterstützung der andern Partei, die nöthige Stimmenzahl
erhielt. Ein so vollständiger Sieg der liberalen Partei ist in Leipzig noch nicht
vorgekommen, so lange es überhaupt Stadtverordnete zu wählen gab. Männer,
welche vorher eine nicht unwichtige Stellung in dem Leipziger Gemeindewesen
bekleideten, welche oft an der Spitze großer Majoritäten standen, welche die
Stadt oder den Handelsstand in den Ständeversammlungen vertraten, -- sie sind
spurlos verschwunden von der Liste der Gewählten, und haben theilweise nicht ein¬
mal unter den Ersatzmännern ein bescheidenes Plätzchen gefunden. Männer wie
Poppe, der noch in der letzten Ä. Kammer eine Rolle spielte und später von
Hrn. v. Beust mit dem damals vielbesprochenen Briefe über die Zollfrage be¬
ehrt wurde; oder wie Wünning, der von Seiten der Sachs. Regierung dem Ver¬
treter derselbe" aus den Wiener Konferenzen beigegeben und in dieser Stellung
mehrfach ausgezeichnet worden war, und viele Andere, deren bürgerliche und gescll-
schafliche Stellung ihnen bisher stets einen Platz im Schooße der Vertreter der
Stadt gesichert hatte, sind dieses Mal vollständig unberücksichtigt geblieben. Man
kann die Exclusivität, mit welcher die Aufstellung der Candidatcnliste betrieben
wurde, mißbilligen; man kann den durch das Wahlergebnis) herbeigeführten Ver¬
lust mehrerer der tüchtigsten und bewährtesten Arbeitskräfte im Interesse der Stadt
bedauern, und mau wird vor Allem bemerken müssen, daß die große Majorität
der neuen Stadtvertreter nicht der constitutionellen Partei, sondern -- wie bei der po¬
litischen Vergangenheit Leipzigs natürlich -- einer gemäßigten Demokratie angehört,
deren Antecedentien doch ziemlich zweifelhafter Natur sind, und deren Haltung in
der Gegenwart noch nirgend erprobt worden ist, aber man darf sich nicht verhehlen,
daß die Thatsache selbst, betrachtet im Zusammenhange mit den Erreignissen in
anderen Städten, ein Zeichen der Stimmung ist, welche sich langsam umkehrt.
Uebrigens hat die Negierung wegen Formfehlern die Bestätigung der Leipziger
Wahlen verweigert.

Rechnet mau zu diese" Ereignissen noch, daß auch in anderen großen Städten
Preußens bei den letzten Deputirtenwahlcn eine Verstärkung der constitutionellen
Partei sichtbar war, so wird man das Bedeutsame dieser Vorgänge nicht abläug-
nen können, gleichviel ob der Einzelne je nach seiner Richtung darüber Freude
oder Zorn empfindet.




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indirecten Wahlen, daß die Mehrheit der Wahlmänner, bei nur einiger Partei¬
disciplin, die von der Gesammtheit derselben vorzunehmenden Wahlen ausschließlich
und unbeschränkt beherrscht. Und so geschah es auch in Leipzig. Bei der definitiven
Wahl der Stadtverordneten fielen sa um du ehe Kandidaten der Konservativen durch,
bis auf einen einzigen, der seiner großen Tüchtigkeit und allgemein respeetirten Per¬
sönlichkeit wegen, mit Unterstützung der andern Partei, die nöthige Stimmenzahl
erhielt. Ein so vollständiger Sieg der liberalen Partei ist in Leipzig noch nicht
vorgekommen, so lange es überhaupt Stadtverordnete zu wählen gab. Männer,
welche vorher eine nicht unwichtige Stellung in dem Leipziger Gemeindewesen
bekleideten, welche oft an der Spitze großer Majoritäten standen, welche die
Stadt oder den Handelsstand in den Ständeversammlungen vertraten, — sie sind
spurlos verschwunden von der Liste der Gewählten, und haben theilweise nicht ein¬
mal unter den Ersatzmännern ein bescheidenes Plätzchen gefunden. Männer wie
Poppe, der noch in der letzten Ä. Kammer eine Rolle spielte und später von
Hrn. v. Beust mit dem damals vielbesprochenen Briefe über die Zollfrage be¬
ehrt wurde; oder wie Wünning, der von Seiten der Sachs. Regierung dem Ver¬
treter derselbe» aus den Wiener Konferenzen beigegeben und in dieser Stellung
mehrfach ausgezeichnet worden war, und viele Andere, deren bürgerliche und gescll-
schafliche Stellung ihnen bisher stets einen Platz im Schooße der Vertreter der
Stadt gesichert hatte, sind dieses Mal vollständig unberücksichtigt geblieben. Man
kann die Exclusivität, mit welcher die Aufstellung der Candidatcnliste betrieben
wurde, mißbilligen; man kann den durch das Wahlergebnis) herbeigeführten Ver¬
lust mehrerer der tüchtigsten und bewährtesten Arbeitskräfte im Interesse der Stadt
bedauern, und mau wird vor Allem bemerken müssen, daß die große Majorität
der neuen Stadtvertreter nicht der constitutionellen Partei, sondern — wie bei der po¬
litischen Vergangenheit Leipzigs natürlich — einer gemäßigten Demokratie angehört,
deren Antecedentien doch ziemlich zweifelhafter Natur sind, und deren Haltung in
der Gegenwart noch nirgend erprobt worden ist, aber man darf sich nicht verhehlen,
daß die Thatsache selbst, betrachtet im Zusammenhange mit den Erreignissen in
anderen Städten, ein Zeichen der Stimmung ist, welche sich langsam umkehrt.
Uebrigens hat die Negierung wegen Formfehlern die Bestätigung der Leipziger
Wahlen verweigert.

Rechnet mau zu diese» Ereignissen noch, daß auch in anderen großen Städten
Preußens bei den letzten Deputirtenwahlcn eine Verstärkung der constitutionellen
Partei sichtbar war, so wird man das Bedeutsame dieser Vorgänge nicht abläug-
nen können, gleichviel ob der Einzelne je nach seiner Richtung darüber Freude
oder Zorn empfindet.




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[0155] indirecten Wahlen, daß die Mehrheit der Wahlmänner, bei nur einiger Partei¬ disciplin, die von der Gesammtheit derselben vorzunehmenden Wahlen ausschließlich und unbeschränkt beherrscht. Und so geschah es auch in Leipzig. Bei der definitiven Wahl der Stadtverordneten fielen sa um du ehe Kandidaten der Konservativen durch, bis auf einen einzigen, der seiner großen Tüchtigkeit und allgemein respeetirten Per¬ sönlichkeit wegen, mit Unterstützung der andern Partei, die nöthige Stimmenzahl erhielt. Ein so vollständiger Sieg der liberalen Partei ist in Leipzig noch nicht vorgekommen, so lange es überhaupt Stadtverordnete zu wählen gab. Männer, welche vorher eine nicht unwichtige Stellung in dem Leipziger Gemeindewesen bekleideten, welche oft an der Spitze großer Majoritäten standen, welche die Stadt oder den Handelsstand in den Ständeversammlungen vertraten, — sie sind spurlos verschwunden von der Liste der Gewählten, und haben theilweise nicht ein¬ mal unter den Ersatzmännern ein bescheidenes Plätzchen gefunden. Männer wie Poppe, der noch in der letzten Ä. Kammer eine Rolle spielte und später von Hrn. v. Beust mit dem damals vielbesprochenen Briefe über die Zollfrage be¬ ehrt wurde; oder wie Wünning, der von Seiten der Sachs. Regierung dem Ver¬ treter derselbe» aus den Wiener Konferenzen beigegeben und in dieser Stellung mehrfach ausgezeichnet worden war, und viele Andere, deren bürgerliche und gescll- schafliche Stellung ihnen bisher stets einen Platz im Schooße der Vertreter der Stadt gesichert hatte, sind dieses Mal vollständig unberücksichtigt geblieben. Man kann die Exclusivität, mit welcher die Aufstellung der Candidatcnliste betrieben wurde, mißbilligen; man kann den durch das Wahlergebnis) herbeigeführten Ver¬ lust mehrerer der tüchtigsten und bewährtesten Arbeitskräfte im Interesse der Stadt bedauern, und mau wird vor Allem bemerken müssen, daß die große Majorität der neuen Stadtvertreter nicht der constitutionellen Partei, sondern — wie bei der po¬ litischen Vergangenheit Leipzigs natürlich — einer gemäßigten Demokratie angehört, deren Antecedentien doch ziemlich zweifelhafter Natur sind, und deren Haltung in der Gegenwart noch nirgend erprobt worden ist, aber man darf sich nicht verhehlen, daß die Thatsache selbst, betrachtet im Zusammenhange mit den Erreignissen in anderen Städten, ein Zeichen der Stimmung ist, welche sich langsam umkehrt. Uebrigens hat die Negierung wegen Formfehlern die Bestätigung der Leipziger Wahlen verweigert. Rechnet mau zu diese» Ereignissen noch, daß auch in anderen großen Städten Preußens bei den letzten Deputirtenwahlcn eine Verstärkung der constitutionellen Partei sichtbar war, so wird man das Bedeutsame dieser Vorgänge nicht abläug- nen können, gleichviel ob der Einzelne je nach seiner Richtung darüber Freude oder Zorn empfindet. 19"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/155>, abgerufen am 29.06.2024.