Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.langsam sich wieder senken, aber dann erhob sich englisch-bedachtsam ein anderer Das nächste Mal begleitete ich Mr. Ellis nach der jüdischen Freischule in Mr. Ellis hatte an dem Tage erst eine kleine Rechnung mit seiner Klasse Er sagte diesen Kindern der Armenschnle, daß er einer unangenehmen Sache langsam sich wieder senken, aber dann erhob sich englisch-bedachtsam ein anderer Das nächste Mal begleitete ich Mr. Ellis nach der jüdischen Freischule in Mr. Ellis hatte an dem Tage erst eine kleine Rechnung mit seiner Klasse Er sagte diesen Kindern der Armenschnle, daß er einer unangenehmen Sache <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185984"/> <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> langsam sich wieder senken, aber dann erhob sich englisch-bedachtsam ein anderer<lb/> Arm „in 8v>.i.!0 l.1><; uiilUür", und die Frage mit Gewalt beugend, las man in<lb/> seinen Mienen: „ich kann antworten," darauf erfolgte aber stets die Gegenfrage:<lb/> „Ist das richtig, ihr Anderen?" — Kam während der Unterhaltung ein unge¬<lb/> wöhnliches Wort vor, so wurde gleich gefragt, wie dasselbe buchstabirt werde,<lb/> denn hier wird erst der Begriff entwickelt, und dann erst beschäftigt man sich mit<lb/> dem Worte und znlcht mit den Buchstaben. —</p><lb/> <p xml:id="ID_296"> Das nächste Mal begleitete ich Mr. Ellis nach der jüdischen Freischule in<lb/> Bell-Lane. Es wird sich später eine Gelegenheit darbieten, dieses Stadtquartier<lb/> näher zu beschreiben, hier bemerke ich nur, in sofern ich es beurtheilen konnte,<lb/> macht es allen schmuzigsten Quartieren Londons den Rang streitig. Diese Schule<lb/> kauu nicht mit einer r!.rgg'va-8eiwx>l verglichen werden, denn ungeachtet alles<lb/> Elends und der Armuth, worin Tausende von Londons Juden leben, ist ihr<lb/> Familienband doch selten zerrissen, uneheliche und ganz verlassene Kinder giebt<lb/> es nur wenige, und muß freilich dennoch eine Masse Kinder ihren Lebensunter¬<lb/> halt auf der Straße suchen, so haben sie doch alle eine Heimat!), deren religiöse<lb/> Ceremonien, wenn sie auch nicht ihren Geist erheben, doch vor vielfachen Lastern<lb/> bewahren. Aus den Physiognomien der Kinder, dem echten Londoner Proletariat-<lb/> TypuS und der sächsischen Brutalität, welche auf eine eigene Weise mit den<lb/> morgenländischen Zügen vermischt waren, konnte man doch deutlich erkennen, wie<lb/> armselig, rauh und wild jene Heimath dennoch wol sein mußte.</p><lb/> <p xml:id="ID_297"> Mr. Ellis hatte an dem Tage erst eine kleine Rechnung mit seiner Klasse<lb/> (Knaben von -10 bis 12 Jahren) abzuschließen, dadurch veranlaßt, weil in der vo¬<lb/> rigen Stunde einige Unordnungen vorgefallen waren. Er hielt eine kleine Rede,<lb/> die weder den Ton täppischer Weichherzigkeit, noch den eines zürnenden Zncht-<lb/> meisterö verrieth, er sprach zu ihnen, wie ein Mann mit vernünftigen Menschen spricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_298" next="#ID_299"> Er sagte diesen Kindern der Armenschnle, daß er einer unangenehmen Sache<lb/> erwähnen müsse; er sei der Meinung, sie hätten sich vergangen und bäte sie,<lb/> die Sache selbst zu untersuchen und zu beurtheilen; eine Woche sei verstrichen,<lb/> Zeit genng zur Beruhigung der Gemüther; er hoffe daher, sie hätten eingesehen,<lb/> nicht allein gegen einen Lehrer gefehlt zu haben, der große Ansprüche ans Achtung<lb/> und Aufmerksamkeit habe, sondern auch gegen einen Mann, den sie selbst ein¬<lb/> geladen hätten; denn nachdem er mit der Schuldirection die Verabredung ge¬<lb/> troffen habe, ihnen freiwilligen Unterricht zu ertheilen, würde er doch nicht ge¬<lb/> kommen sein, wenn nicht die Eleven nach vorhergegangener Erwägung selbst gegen<lb/> ihn den Wunsch geäußert hätten, seine Vorträge zu hören. — Nach einigen Augen¬<lb/> blicken erhob sich einer dieser kleinen zerlumpten Judenjungen und erklärte im<lb/> Namen seiner Kameraden: „sie hätten ihren Fehler eingesehen und bäten Mr. Ellis,<lb/> er möge gütigst ihre Entschuldigung dafür empfangen." Sicher werde ich das,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
langsam sich wieder senken, aber dann erhob sich englisch-bedachtsam ein anderer
Arm „in 8v>.i.!0 l.1><; uiilUür", und die Frage mit Gewalt beugend, las man in
seinen Mienen: „ich kann antworten," darauf erfolgte aber stets die Gegenfrage:
„Ist das richtig, ihr Anderen?" — Kam während der Unterhaltung ein unge¬
wöhnliches Wort vor, so wurde gleich gefragt, wie dasselbe buchstabirt werde,
denn hier wird erst der Begriff entwickelt, und dann erst beschäftigt man sich mit
dem Worte und znlcht mit den Buchstaben. —
Das nächste Mal begleitete ich Mr. Ellis nach der jüdischen Freischule in
Bell-Lane. Es wird sich später eine Gelegenheit darbieten, dieses Stadtquartier
näher zu beschreiben, hier bemerke ich nur, in sofern ich es beurtheilen konnte,
macht es allen schmuzigsten Quartieren Londons den Rang streitig. Diese Schule
kauu nicht mit einer r!.rgg'va-8eiwx>l verglichen werden, denn ungeachtet alles
Elends und der Armuth, worin Tausende von Londons Juden leben, ist ihr
Familienband doch selten zerrissen, uneheliche und ganz verlassene Kinder giebt
es nur wenige, und muß freilich dennoch eine Masse Kinder ihren Lebensunter¬
halt auf der Straße suchen, so haben sie doch alle eine Heimat!), deren religiöse
Ceremonien, wenn sie auch nicht ihren Geist erheben, doch vor vielfachen Lastern
bewahren. Aus den Physiognomien der Kinder, dem echten Londoner Proletariat-
TypuS und der sächsischen Brutalität, welche auf eine eigene Weise mit den
morgenländischen Zügen vermischt waren, konnte man doch deutlich erkennen, wie
armselig, rauh und wild jene Heimath dennoch wol sein mußte.
Mr. Ellis hatte an dem Tage erst eine kleine Rechnung mit seiner Klasse
(Knaben von -10 bis 12 Jahren) abzuschließen, dadurch veranlaßt, weil in der vo¬
rigen Stunde einige Unordnungen vorgefallen waren. Er hielt eine kleine Rede,
die weder den Ton täppischer Weichherzigkeit, noch den eines zürnenden Zncht-
meisterö verrieth, er sprach zu ihnen, wie ein Mann mit vernünftigen Menschen spricht.
Er sagte diesen Kindern der Armenschnle, daß er einer unangenehmen Sache
erwähnen müsse; er sei der Meinung, sie hätten sich vergangen und bäte sie,
die Sache selbst zu untersuchen und zu beurtheilen; eine Woche sei verstrichen,
Zeit genng zur Beruhigung der Gemüther; er hoffe daher, sie hätten eingesehen,
nicht allein gegen einen Lehrer gefehlt zu haben, der große Ansprüche ans Achtung
und Aufmerksamkeit habe, sondern auch gegen einen Mann, den sie selbst ein¬
geladen hätten; denn nachdem er mit der Schuldirection die Verabredung ge¬
troffen habe, ihnen freiwilligen Unterricht zu ertheilen, würde er doch nicht ge¬
kommen sein, wenn nicht die Eleven nach vorhergegangener Erwägung selbst gegen
ihn den Wunsch geäußert hätten, seine Vorträge zu hören. — Nach einigen Augen¬
blicken erhob sich einer dieser kleinen zerlumpten Judenjungen und erklärte im
Namen seiner Kameraden: „sie hätten ihren Fehler eingesehen und bäten Mr. Ellis,
er möge gütigst ihre Entschuldigung dafür empfangen." Sicher werde ich das,
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