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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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in Entreprise gegeben und waren sonach in gewisser Hinsicht von dessen Disposi¬
tionen abhängig. Dieser nun wollte von keinem Aufschub hören und zwar vor¬
nehmlich deßhalb, weil, wie er sagte, das Wetter so ausgezeichnet schön, und
auch nicht das geringste Wölkchen am Himmel zu scheu sei. Dieser glückliche
Umstand konnte sich seiner Meinung nach jeden Augenblick ändern, um ihn zur
Ersteigung des Bergkolvsses aufs Schnellste zu benutzen, war daher das Rathsamste,
was man thun konnte. "Katania bleibt Ihnen ja immer noch nach der Rückkehr";
mit diesem wichtigen Argument brachte er alle Wenn und Aber zum Schweigen,
und als wir gar schon die bereit stehenden Wagen, Führer und Maulesel erblickten,
die nur auf uns warteten, um sich in Bewegung zu setzen, so faßte ich mich mit
Ergebung in mein Schicksal, reckte die stcifgewordenen Glieder ein Paar Male aus,
und folgte, wohin die selbstgewählte Bestimmung mich rief.

Der Gipfel des Aetna ist 55 italienische Meilen von Katania entfernt; wollten
wir von ihm aus den Sonnenaufgang sehen, was mit Hauptzweck der Reise war,
so hatten wir freilich keine Zeit zu verlieren, und machten uns deshalb auch sofort
auf den Weg. Dies geschah am 7. Juni und zwar bei einer Hitze von 36 Grad
im Schatten; man kann sich vorstellen, wie viel das Thermometer in der Sonne
gezeigt haben mußte. Nach einem leichten Frühstück besorgte unser Marlet den
nöthigen Proviant an Pasteten, Salami, Arak, Citronen, Zucker und Pomeranzen,
so wie auch an frischem Brod und Malteser Cigarren, nud um -I I Uhr bestiegen
wir den bequemen Wagen, der uns nach Nicolosi bringen sollte, wo bereits die
Führer mit den Mauleseln aus uus warteten.

Signor Abbate, der Wirth des Hotels, dessen Betten ich gleich einer ver¬
botenen Frucht nicht kosten durfte und bei dem wir nur so lange hausten, als
nöthig war, um etwas zu uns zu nehmen, redete uns beim Einsteigen anf's
Eindringlichste zu, uns mit Winterkleidern zu versehen. Er hielt davon für die
Aetnabesteiger Lager, und es gehörten dazu: wollene Handschuhe, ungeheure dito
Strümpfe, welche über die Stiefeln gezogen werden konnten, eine langwollige
Schlafmütze, und eine Art Kutte von grobem Fries mit einer Kapuze, wie sie die
Mönche zu tragen pflegen. Beim Anblick dieser nichts weniger als eleganten
und kleidsamen Stücke, die uns bei einer Hitze von 40 Grad empfohlen, ja fast
aufgedrungen wurden, hatte ich unsern schlauen sicilianischen Wirth stark im
Verdacht, auf unsern Geldbeutel zu speculiren -- eine Tugend, die auf der ganzen
italienischen Halbinsel zu Hause ist -- und war fest überzeugt, er suche uns nur
deshalb die warmen Kleider aufzuschwatzen, um mit seinen Vorräthen zu räumen.
Doch noch in derselben Nacht that ich dem guten Mann im Stillen Abbitte; denn
schon ehe zehn Stunden verflossen waren, wurden wir die Nothwendigkeit der uns
angerathenen Gegenstände inne, und steckten unsre Glieder mit Behagen in
Schlafmütze, Handschuhe, Strümpfe und Kutte.

Auf der ganzen, weiten Gotteserde möchte es wol keinen Weg geben, der


Grenzboten. IV. 4 9

in Entreprise gegeben und waren sonach in gewisser Hinsicht von dessen Disposi¬
tionen abhängig. Dieser nun wollte von keinem Aufschub hören und zwar vor¬
nehmlich deßhalb, weil, wie er sagte, das Wetter so ausgezeichnet schön, und
auch nicht das geringste Wölkchen am Himmel zu scheu sei. Dieser glückliche
Umstand konnte sich seiner Meinung nach jeden Augenblick ändern, um ihn zur
Ersteigung des Bergkolvsses aufs Schnellste zu benutzen, war daher das Rathsamste,
was man thun konnte. „Katania bleibt Ihnen ja immer noch nach der Rückkehr";
mit diesem wichtigen Argument brachte er alle Wenn und Aber zum Schweigen,
und als wir gar schon die bereit stehenden Wagen, Führer und Maulesel erblickten,
die nur auf uns warteten, um sich in Bewegung zu setzen, so faßte ich mich mit
Ergebung in mein Schicksal, reckte die stcifgewordenen Glieder ein Paar Male aus,
und folgte, wohin die selbstgewählte Bestimmung mich rief.

Der Gipfel des Aetna ist 55 italienische Meilen von Katania entfernt; wollten
wir von ihm aus den Sonnenaufgang sehen, was mit Hauptzweck der Reise war,
so hatten wir freilich keine Zeit zu verlieren, und machten uns deshalb auch sofort
auf den Weg. Dies geschah am 7. Juni und zwar bei einer Hitze von 36 Grad
im Schatten; man kann sich vorstellen, wie viel das Thermometer in der Sonne
gezeigt haben mußte. Nach einem leichten Frühstück besorgte unser Marlet den
nöthigen Proviant an Pasteten, Salami, Arak, Citronen, Zucker und Pomeranzen,
so wie auch an frischem Brod und Malteser Cigarren, nud um -I I Uhr bestiegen
wir den bequemen Wagen, der uns nach Nicolosi bringen sollte, wo bereits die
Führer mit den Mauleseln aus uus warteten.

Signor Abbate, der Wirth des Hotels, dessen Betten ich gleich einer ver¬
botenen Frucht nicht kosten durfte und bei dem wir nur so lange hausten, als
nöthig war, um etwas zu uns zu nehmen, redete uns beim Einsteigen anf's
Eindringlichste zu, uns mit Winterkleidern zu versehen. Er hielt davon für die
Aetnabesteiger Lager, und es gehörten dazu: wollene Handschuhe, ungeheure dito
Strümpfe, welche über die Stiefeln gezogen werden konnten, eine langwollige
Schlafmütze, und eine Art Kutte von grobem Fries mit einer Kapuze, wie sie die
Mönche zu tragen pflegen. Beim Anblick dieser nichts weniger als eleganten
und kleidsamen Stücke, die uns bei einer Hitze von 40 Grad empfohlen, ja fast
aufgedrungen wurden, hatte ich unsern schlauen sicilianischen Wirth stark im
Verdacht, auf unsern Geldbeutel zu speculiren — eine Tugend, die auf der ganzen
italienischen Halbinsel zu Hause ist — und war fest überzeugt, er suche uns nur
deshalb die warmen Kleider aufzuschwatzen, um mit seinen Vorräthen zu räumen.
Doch noch in derselben Nacht that ich dem guten Mann im Stillen Abbitte; denn
schon ehe zehn Stunden verflossen waren, wurden wir die Nothwendigkeit der uns
angerathenen Gegenstände inne, und steckten unsre Glieder mit Behagen in
Schlafmütze, Handschuhe, Strümpfe und Kutte.

Auf der ganzen, weiten Gotteserde möchte es wol keinen Weg geben, der


Grenzboten. IV. 4 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/75>, abgerufen am 20.10.2024.