Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit, von unersetzbarer Zeit hinzu. Schon früher hatten wir, besonders so lange wir im
mexikanischen Meerbusen zwischen den Inseln dahin sichren, manchen Nachmittag still
gelegen, aber die Zeit erschien uns nicht als verloren, da sie durch einige Stunden guten
Wind vollständig ersetzt werden konnte -- gerade wie ein Spieler sich durch eiuen
anfänglichen Verlust nicht leicht die gute Laune nehmen läßt, da er hofft, daß
er das Verlorene im Verlauf des Spiels wieder gewinnen kann; naht aber das
Spiel seinem Ende, setzt er zum letzten Male ein, dann erwartet er mit Angst
den Ausgang, und geht, wenn das Glück ihm nicht wohl wollte, verstimmt
von bannen.

Trotzdem, daß ich durch die eingetretene Windstille mehr verlor als die
Anderen -- die Ehre des Propheten und die Wette--,so kann ich doch nicht sagen, daß
sie mich übler berührte, als meine Reisegefährten/ Während die meisten meiner
Freunde die Reise als Mittel zur Erreichung ihres Zwecks ansahen, war sie sür
mich Selbstzweck. Jene hatten ihr Vaterland verlassen, um in Amerika das zu
suchen, was sie in Europa nicht zu finden glaubten: sie gingen sort, um aus
fremdem festem Boden ihr Glück zu machen, und da sie dies eben auf festem
Boden suchten, so war für sie die wogende See nicht mehr als Perlen sür den
Hungrigen -- ich im Gegentheil konnte, wenn ich nach der Triebfeder meines
Thuns forschte, Nichts anderes herausfinden, als das Streben nach Veränderung,
ein Trachten nach ungewohnten Anschauungen. Solche fremdartige Anschauungen
hatte mir die See bis jetzt in reichem Maße geboten. Wenn in den früheren
Stadien der Reise bisweilen der Wind von der gewünschten Richtung abwich,
oder wenn er von der mühsamen Anstrengung, mit welcher er unser Gebäude
zehn engl. Meilen in der Stunde forttrieb, erschlafft sich der Ruhe überließ, da
klagte wol der Eine über Zeitverlust, während ein Anderer ohne ein Wort zu
sagen, sich in seine Koje verkroch, um Aerger und Langeweile zu verschlafen, und
wenn ich dann in die allgemeine Verstimmung nicht einstimmte, sondern in der
gewohnten Weise meine Geige sortspielte, so hielten dies die Anderen erst recht
für einen Verstoß gegen jede Harmonie.

Der launische Wind hatte meine Prophezeiung zu Schanden gemacht, aber
er grollte nicht lauge. Den folgenden Morgen war Alles ringsumher noch Wasser,
keine Spur von Land, kein Baum, kein Haus; aber der See war trübe, nicht
so frisch grün, wie wir sie vorher zu sehen gewohnt waren, milchig von aus¬
geschwemmter Erde: Sah man aber senkrecht an den Seitenwänden oder an dem
Steuerruder des Schiffes herab, so zeigte sich das Meer mit seiner vollen Klarheit
in einer langen schmalen Linie. "Das ist der Mississippi!" rief uns der Capitain
zu, der uns wohl ansah, daß wir das Räthsel nicht zu lösen vermochten. Viele
Meilen in die See hinein sendet dieser gewaltige Strom sein trübes Wasser, ohne
es mit dem klaren Elemente des Meeres zu vermischen; unten salzig und klar,
oben süß und trübe, ohne ihre gegenseitige Lage auszugeben, schlagen die Wellen


Zeit, von unersetzbarer Zeit hinzu. Schon früher hatten wir, besonders so lange wir im
mexikanischen Meerbusen zwischen den Inseln dahin sichren, manchen Nachmittag still
gelegen, aber die Zeit erschien uns nicht als verloren, da sie durch einige Stunden guten
Wind vollständig ersetzt werden konnte — gerade wie ein Spieler sich durch eiuen
anfänglichen Verlust nicht leicht die gute Laune nehmen läßt, da er hofft, daß
er das Verlorene im Verlauf des Spiels wieder gewinnen kann; naht aber das
Spiel seinem Ende, setzt er zum letzten Male ein, dann erwartet er mit Angst
den Ausgang, und geht, wenn das Glück ihm nicht wohl wollte, verstimmt
von bannen.

Trotzdem, daß ich durch die eingetretene Windstille mehr verlor als die
Anderen — die Ehre des Propheten und die Wette—,so kann ich doch nicht sagen, daß
sie mich übler berührte, als meine Reisegefährten/ Während die meisten meiner
Freunde die Reise als Mittel zur Erreichung ihres Zwecks ansahen, war sie sür
mich Selbstzweck. Jene hatten ihr Vaterland verlassen, um in Amerika das zu
suchen, was sie in Europa nicht zu finden glaubten: sie gingen sort, um aus
fremdem festem Boden ihr Glück zu machen, und da sie dies eben auf festem
Boden suchten, so war für sie die wogende See nicht mehr als Perlen sür den
Hungrigen — ich im Gegentheil konnte, wenn ich nach der Triebfeder meines
Thuns forschte, Nichts anderes herausfinden, als das Streben nach Veränderung,
ein Trachten nach ungewohnten Anschauungen. Solche fremdartige Anschauungen
hatte mir die See bis jetzt in reichem Maße geboten. Wenn in den früheren
Stadien der Reise bisweilen der Wind von der gewünschten Richtung abwich,
oder wenn er von der mühsamen Anstrengung, mit welcher er unser Gebäude
zehn engl. Meilen in der Stunde forttrieb, erschlafft sich der Ruhe überließ, da
klagte wol der Eine über Zeitverlust, während ein Anderer ohne ein Wort zu
sagen, sich in seine Koje verkroch, um Aerger und Langeweile zu verschlafen, und
wenn ich dann in die allgemeine Verstimmung nicht einstimmte, sondern in der
gewohnten Weise meine Geige sortspielte, so hielten dies die Anderen erst recht
für einen Verstoß gegen jede Harmonie.

Der launische Wind hatte meine Prophezeiung zu Schanden gemacht, aber
er grollte nicht lauge. Den folgenden Morgen war Alles ringsumher noch Wasser,
keine Spur von Land, kein Baum, kein Haus; aber der See war trübe, nicht
so frisch grün, wie wir sie vorher zu sehen gewohnt waren, milchig von aus¬
geschwemmter Erde: Sah man aber senkrecht an den Seitenwänden oder an dem
Steuerruder des Schiffes herab, so zeigte sich das Meer mit seiner vollen Klarheit
in einer langen schmalen Linie. „Das ist der Mississippi!" rief uns der Capitain
zu, der uns wohl ansah, daß wir das Räthsel nicht zu lösen vermochten. Viele
Meilen in die See hinein sendet dieser gewaltige Strom sein trübes Wasser, ohne
es mit dem klaren Elemente des Meeres zu vermischen; unten salzig und klar,
oben süß und trübe, ohne ihre gegenseitige Lage auszugeben, schlagen die Wellen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95047"/>
            <p xml:id="ID_125" prev="#ID_124"> Zeit, von unersetzbarer Zeit hinzu. Schon früher hatten wir, besonders so lange wir im<lb/>
mexikanischen Meerbusen zwischen den Inseln dahin sichren, manchen Nachmittag still<lb/>
gelegen, aber die Zeit erschien uns nicht als verloren, da sie durch einige Stunden guten<lb/>
Wind vollständig ersetzt werden konnte &#x2014; gerade wie ein Spieler sich durch eiuen<lb/>
anfänglichen Verlust nicht leicht die gute Laune nehmen läßt, da er hofft, daß<lb/>
er das Verlorene im Verlauf des Spiels wieder gewinnen kann; naht aber das<lb/>
Spiel seinem Ende, setzt er zum letzten Male ein, dann erwartet er mit Angst<lb/>
den Ausgang, und geht, wenn das Glück ihm nicht wohl wollte, verstimmt<lb/>
von bannen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_126"> Trotzdem, daß ich durch die eingetretene Windstille mehr verlor als die<lb/>
Anderen &#x2014; die Ehre des Propheten und die Wette&#x2014;,so kann ich doch nicht sagen, daß<lb/>
sie mich übler berührte, als meine Reisegefährten/ Während die meisten meiner<lb/>
Freunde die Reise als Mittel zur Erreichung ihres Zwecks ansahen, war sie sür<lb/>
mich Selbstzweck. Jene hatten ihr Vaterland verlassen, um in Amerika das zu<lb/>
suchen, was sie in Europa nicht zu finden glaubten: sie gingen sort, um aus<lb/>
fremdem festem Boden ihr Glück zu machen, und da sie dies eben auf festem<lb/>
Boden suchten, so war für sie die wogende See nicht mehr als Perlen sür den<lb/>
Hungrigen &#x2014; ich im Gegentheil konnte, wenn ich nach der Triebfeder meines<lb/>
Thuns forschte, Nichts anderes herausfinden, als das Streben nach Veränderung,<lb/>
ein Trachten nach ungewohnten Anschauungen. Solche fremdartige Anschauungen<lb/>
hatte mir die See bis jetzt in reichem Maße geboten. Wenn in den früheren<lb/>
Stadien der Reise bisweilen der Wind von der gewünschten Richtung abwich,<lb/>
oder wenn er von der mühsamen Anstrengung, mit welcher er unser Gebäude<lb/>
zehn engl. Meilen in der Stunde forttrieb, erschlafft sich der Ruhe überließ, da<lb/>
klagte wol der Eine über Zeitverlust, während ein Anderer ohne ein Wort zu<lb/>
sagen, sich in seine Koje verkroch, um Aerger und Langeweile zu verschlafen, und<lb/>
wenn ich dann in die allgemeine Verstimmung nicht einstimmte, sondern in der<lb/>
gewohnten Weise meine Geige sortspielte, so hielten dies die Anderen erst recht<lb/>
für einen Verstoß gegen jede Harmonie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_127" next="#ID_128"> Der launische Wind hatte meine Prophezeiung zu Schanden gemacht, aber<lb/>
er grollte nicht lauge. Den folgenden Morgen war Alles ringsumher noch Wasser,<lb/>
keine Spur von Land, kein Baum, kein Haus; aber der See war trübe, nicht<lb/>
so frisch grün, wie wir sie vorher zu sehen gewohnt waren, milchig von aus¬<lb/>
geschwemmter Erde: Sah man aber senkrecht an den Seitenwänden oder an dem<lb/>
Steuerruder des Schiffes herab, so zeigte sich das Meer mit seiner vollen Klarheit<lb/>
in einer langen schmalen Linie. &#x201E;Das ist der Mississippi!" rief uns der Capitain<lb/>
zu, der uns wohl ansah, daß wir das Räthsel nicht zu lösen vermochten. Viele<lb/>
Meilen in die See hinein sendet dieser gewaltige Strom sein trübes Wasser, ohne<lb/>
es mit dem klaren Elemente des Meeres zu vermischen; unten salzig und klar,<lb/>
oben süß und trübe, ohne ihre gegenseitige Lage auszugeben, schlagen die Wellen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Zeit, von unersetzbarer Zeit hinzu. Schon früher hatten wir, besonders so lange wir im mexikanischen Meerbusen zwischen den Inseln dahin sichren, manchen Nachmittag still gelegen, aber die Zeit erschien uns nicht als verloren, da sie durch einige Stunden guten Wind vollständig ersetzt werden konnte — gerade wie ein Spieler sich durch eiuen anfänglichen Verlust nicht leicht die gute Laune nehmen läßt, da er hofft, daß er das Verlorene im Verlauf des Spiels wieder gewinnen kann; naht aber das Spiel seinem Ende, setzt er zum letzten Male ein, dann erwartet er mit Angst den Ausgang, und geht, wenn das Glück ihm nicht wohl wollte, verstimmt von bannen. Trotzdem, daß ich durch die eingetretene Windstille mehr verlor als die Anderen — die Ehre des Propheten und die Wette—,so kann ich doch nicht sagen, daß sie mich übler berührte, als meine Reisegefährten/ Während die meisten meiner Freunde die Reise als Mittel zur Erreichung ihres Zwecks ansahen, war sie sür mich Selbstzweck. Jene hatten ihr Vaterland verlassen, um in Amerika das zu suchen, was sie in Europa nicht zu finden glaubten: sie gingen sort, um aus fremdem festem Boden ihr Glück zu machen, und da sie dies eben auf festem Boden suchten, so war für sie die wogende See nicht mehr als Perlen sür den Hungrigen — ich im Gegentheil konnte, wenn ich nach der Triebfeder meines Thuns forschte, Nichts anderes herausfinden, als das Streben nach Veränderung, ein Trachten nach ungewohnten Anschauungen. Solche fremdartige Anschauungen hatte mir die See bis jetzt in reichem Maße geboten. Wenn in den früheren Stadien der Reise bisweilen der Wind von der gewünschten Richtung abwich, oder wenn er von der mühsamen Anstrengung, mit welcher er unser Gebäude zehn engl. Meilen in der Stunde forttrieb, erschlafft sich der Ruhe überließ, da klagte wol der Eine über Zeitverlust, während ein Anderer ohne ein Wort zu sagen, sich in seine Koje verkroch, um Aerger und Langeweile zu verschlafen, und wenn ich dann in die allgemeine Verstimmung nicht einstimmte, sondern in der gewohnten Weise meine Geige sortspielte, so hielten dies die Anderen erst recht für einen Verstoß gegen jede Harmonie. Der launische Wind hatte meine Prophezeiung zu Schanden gemacht, aber er grollte nicht lauge. Den folgenden Morgen war Alles ringsumher noch Wasser, keine Spur von Land, kein Baum, kein Haus; aber der See war trübe, nicht so frisch grün, wie wir sie vorher zu sehen gewohnt waren, milchig von aus¬ geschwemmter Erde: Sah man aber senkrecht an den Seitenwänden oder an dem Steuerruder des Schiffes herab, so zeigte sich das Meer mit seiner vollen Klarheit in einer langen schmalen Linie. „Das ist der Mississippi!" rief uns der Capitain zu, der uns wohl ansah, daß wir das Räthsel nicht zu lösen vermochten. Viele Meilen in die See hinein sendet dieser gewaltige Strom sein trübes Wasser, ohne es mit dem klaren Elemente des Meeres zu vermischen; unten salzig und klar, oben süß und trübe, ohne ihre gegenseitige Lage auszugeben, schlagen die Wellen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/66>, abgerufen am 20.10.2024.