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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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offizielle Quellen zum Grunde, welche aber leider, gleich anderen Angaben, nicht
immer den Anforderungen der Wissenschaft entsprechen; deshalb werden hier öfters
Meinungen und Resultate vermißt, deren Gegenwart wohl geeignet wäre,
die Schilderung zu beleben." schalkhafter Weise sagt er dann: ,,Jn zweifelhaften
Fällen findet daher hier eine bloße Zusammenstellung der Daten statt, indem die
Schlußfolge dem Urtheil und der Einsicht des Lesers selber überlassen wird."
Wer aber offizielle russische Daten kennt, der weiß, daß ihre Schlußfolgen und
Folgeschlüsse unsrem westeuropäischen Unterthanen-Verstände häufig ganz unzugäng¬
lich sind. Um irgend ein solches Beispiel zu geben, schlagen wir eine beliebige
Seite des Storch'schen Buches auf, wo wir z. B. betreffs der Ziegelbrennereien
auf Kronqütern (S. 491) die Angabe finden, daß

1847 in 266 Ziegelhütten 6,331.920 Ziegel im Werth von 24,100 N. S.
1848 in 279 " 2,883,938 " " " " 10,640 R. S.

gebrannt worden sind. Unsre westeuropäische Berechnung würde danach aus eine
Vertheuerung der Ziegel im Jahre 1848 schließen müssen. Trotzdem sagt die
offizielle Angabe von beiden Jahren: "folglich kosteten 1000 Ziegel 36 Kop.
S." Die Rechtfertigung dieses "folglich" findet nur, wer russische Bücher zu
lesen gewohnt ist, in der offiziellen Angabe: Alle Verwaltungszweige streben da¬
hin, die Zahl der Ziegelbrenuereien zu vermehren, "die Ziegel und Dachpfannen
zu wohlfeilen Preisen zu liefern" u. f. w. -- Herrn Storch scheinen allerdings
sehr viele Fälle zweifelhaft zu sein, denn er enthält sich eigentlich im ganzen
Buche eigener Meinungen und Resultate. Selbst wo er "geltende Zustände"
bespricht, thut er dies fast ausschließlich durch Anführung des Wortlautes der
betreffenden Artikel im Swod der Gesetze, d. h. er giebt uns die aufgestellte
Norm, deu Ukas, aber keine Schilderung der lebendigen Gestaltung seiner Vor¬
schriften. Diese Zusammenstellung ist dagegen für Denjenigen, welcher die bäuer¬
lichen Zustände in Nußland bereits kennt, mit großem Geschick gemacht und
muß auch sür Jeden, der sich um unsre deutschen Bauernverhältnisse in histori¬
schem oder politischem Sinne kümmert, von größtem Interesse werden. Als
amüsantes Lesebuch kaun man das Werk freilich nicht empfehlen. Dies ist in¬
dessen auch nicht sein Zweck, und um wenigstens einen Ueberblick seines Inhalts
zu geben, mögen hier die hauptsächlichsten Abschnittstitel folgen. Quellen (Ur¬
kunden, Chroniken, Gesetzbücher, Swod der Gesetze, Jahresberichte der Mini¬
sterien, Offizielle Journale); Literatur (sehr reichhaltig, intellectuell und kritisch
im Buche wenig benutzt); allgemeine Bauernversassung (Geschichtliche Uebersicht
-- nicht ohne Interesse; geltende Zustände -- nur Normen; Leistungen an den
Staat, den Grundherrn, die Gemeinde); ländliche Bevölkerung (ohne genaue
Resultate) :c. Betriebsamkeit der Bauern (äußerst sorgsam und speciell aus¬
gearbeitet); Mittel und Maßregeln zur Förderung der Banernbetriebsamkeit (auf
dem Papier sehr reichhaltig und allseitig; interessante Aufzählung der landwirth-


offizielle Quellen zum Grunde, welche aber leider, gleich anderen Angaben, nicht
immer den Anforderungen der Wissenschaft entsprechen; deshalb werden hier öfters
Meinungen und Resultate vermißt, deren Gegenwart wohl geeignet wäre,
die Schilderung zu beleben." schalkhafter Weise sagt er dann: ,,Jn zweifelhaften
Fällen findet daher hier eine bloße Zusammenstellung der Daten statt, indem die
Schlußfolge dem Urtheil und der Einsicht des Lesers selber überlassen wird."
Wer aber offizielle russische Daten kennt, der weiß, daß ihre Schlußfolgen und
Folgeschlüsse unsrem westeuropäischen Unterthanen-Verstände häufig ganz unzugäng¬
lich sind. Um irgend ein solches Beispiel zu geben, schlagen wir eine beliebige
Seite des Storch'schen Buches auf, wo wir z. B. betreffs der Ziegelbrennereien
auf Kronqütern (S. 491) die Angabe finden, daß

1847 in 266 Ziegelhütten 6,331.920 Ziegel im Werth von 24,100 N. S.
1848 in 279 „ 2,883,938 „ „ „ „ 10,640 R. S.

gebrannt worden sind. Unsre westeuropäische Berechnung würde danach aus eine
Vertheuerung der Ziegel im Jahre 1848 schließen müssen. Trotzdem sagt die
offizielle Angabe von beiden Jahren: „folglich kosteten 1000 Ziegel 36 Kop.
S." Die Rechtfertigung dieses „folglich" findet nur, wer russische Bücher zu
lesen gewohnt ist, in der offiziellen Angabe: Alle Verwaltungszweige streben da¬
hin, die Zahl der Ziegelbrenuereien zu vermehren, „die Ziegel und Dachpfannen
zu wohlfeilen Preisen zu liefern" u. f. w. — Herrn Storch scheinen allerdings
sehr viele Fälle zweifelhaft zu sein, denn er enthält sich eigentlich im ganzen
Buche eigener Meinungen und Resultate. Selbst wo er „geltende Zustände"
bespricht, thut er dies fast ausschließlich durch Anführung des Wortlautes der
betreffenden Artikel im Swod der Gesetze, d. h. er giebt uns die aufgestellte
Norm, deu Ukas, aber keine Schilderung der lebendigen Gestaltung seiner Vor¬
schriften. Diese Zusammenstellung ist dagegen für Denjenigen, welcher die bäuer¬
lichen Zustände in Nußland bereits kennt, mit großem Geschick gemacht und
muß auch sür Jeden, der sich um unsre deutschen Bauernverhältnisse in histori¬
schem oder politischem Sinne kümmert, von größtem Interesse werden. Als
amüsantes Lesebuch kaun man das Werk freilich nicht empfehlen. Dies ist in¬
dessen auch nicht sein Zweck, und um wenigstens einen Ueberblick seines Inhalts
zu geben, mögen hier die hauptsächlichsten Abschnittstitel folgen. Quellen (Ur¬
kunden, Chroniken, Gesetzbücher, Swod der Gesetze, Jahresberichte der Mini¬
sterien, Offizielle Journale); Literatur (sehr reichhaltig, intellectuell und kritisch
im Buche wenig benutzt); allgemeine Bauernversassung (Geschichtliche Uebersicht
— nicht ohne Interesse; geltende Zustände — nur Normen; Leistungen an den
Staat, den Grundherrn, die Gemeinde); ländliche Bevölkerung (ohne genaue
Resultate) :c. Betriebsamkeit der Bauern (äußerst sorgsam und speciell aus¬
gearbeitet); Mittel und Maßregeln zur Förderung der Banernbetriebsamkeit (auf
dem Papier sehr reichhaltig und allseitig; interessante Aufzählung der landwirth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/38>, abgerufen am 19.10.2024.