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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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schaftlichen Journale; Schweigsamkeit über die praktischen Ergebnisse); Belehrung
und Unterricht (Reglements und offizielle statistische Tabellen); Gesittung der
Bauern (höchst unbedeutend); Gesundheitspflege (wichtige Tabellen); Dörfer.
(Normen, keine Zustände).

Trotz dieses theoretischen Charakters des ganzen Buches müssen wir dasselbe
einen eben so wichtigen, als glücklichen Fortschritt der publicistischcn Literatur
Rußlands ans dem schauderhaften Einerlei gedankenloser oder geradezu heuch¬
lerischer Vergötterung aller anbefohlenen Normen und Formeln nennen. Wir
erinnern uns ja aus der vormärzlichen Leidenszeit unsrer deutschen Literatur,
welche jetzt ihre fröhliche Rückkehr zu feiern beginnt, wie auch da dieZusämmen-
ordnung der offiziellen Lebensbestimmnngen oftmals anstatt aller Erläuterungen
sprechen mußte; wir wissen's ja, wie wir hente wieder in gewissen Fragen auf
denselben Standpunkt zurückgedrängt werden. Dies Alles gilt nun in verstärk- >
ter Potenz in Rußland. Darum muß freilich der russische Schriftsteller seinem
Leser die Lecture zwischen den Zeilen übrig lassen. Da wir Deutschen jedoch
vor der Hand noch so glücklich sind, unsre Urtheile über russische Zustände--na¬
türlich mit der gehörigen Mäßigung und wo möglich ohne selbst anspielende Nück-
beziehnngen ans die Heimath -- ungestraft aussprechen zu können, so sollte man
allerdings erwarte", daß deutsche Schriftsteller über Rußland das von Rußland
gebotene, offizielle, also von den Schutzrednern am wenigsten cmzweifelbare Ma¬
terial für ihre Ausführungen benutzen würden, namentlich, wenn solche sich als
"Studien" über Nußland einführen.

Herr v. Haxthausen hat bekanntlich als Ergebniß einer mehrjährigen Reise
in Rußland bereits 1847 zwei starke Bände "Studien über die inneren Zustände,
das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands" erscheinen
lassen. So eben ist der dritte Band gefolgt, und man kann daraus nicht abnehmen,
ob er auch der letzte des Werkes sei. Wir haben in dieser Zeit so schwere
Schicksalsgänge durchgemacht, daß man es dem Publicum nicht zumuthen mag,
sich zu erinnern, wie Herr v. Haxthausen die beiden ersten Bände seines Werkes
mit der Bemerkung einführte, er werde schreiben, als sei noch gar kein gründ¬
liches Werk über russisch volkstümliches Leben erschienen. Wer Nußland aus
eigener Anschauung kannte, mochte allerdings zweifelhaft sein, ob denn sein Werk
so Ausgezeichnetes gewähren könne, daß man die Unmasse dadurch bedingter
Wiederholungen des schon Bekannten mit in den Kauf nehmen könne. Dies
besonders, da Herr v. Haxthausen ehrlich eingestand, die russische Sprache sei
ihm fremd; dann, weil aus seinem ganzen Buche hervorging, daß officielle und
officivse Mentoren ihn fortwährend umgeben hatten. "Dennoch mußte man ein¬
gestehen, vornehmlich in zwei Richtungen wahrhaft neue (so weit wir ans Selbst¬
beobachtung urtheilen können), richtige und klare Anschauungen durch ihn in die
deutsche Literatur über Rußland eingeführt zu sehen. Seine Darstellung des


schaftlichen Journale; Schweigsamkeit über die praktischen Ergebnisse); Belehrung
und Unterricht (Reglements und offizielle statistische Tabellen); Gesittung der
Bauern (höchst unbedeutend); Gesundheitspflege (wichtige Tabellen); Dörfer.
(Normen, keine Zustände).

Trotz dieses theoretischen Charakters des ganzen Buches müssen wir dasselbe
einen eben so wichtigen, als glücklichen Fortschritt der publicistischcn Literatur
Rußlands ans dem schauderhaften Einerlei gedankenloser oder geradezu heuch¬
lerischer Vergötterung aller anbefohlenen Normen und Formeln nennen. Wir
erinnern uns ja aus der vormärzlichen Leidenszeit unsrer deutschen Literatur,
welche jetzt ihre fröhliche Rückkehr zu feiern beginnt, wie auch da dieZusämmen-
ordnung der offiziellen Lebensbestimmnngen oftmals anstatt aller Erläuterungen
sprechen mußte; wir wissen's ja, wie wir hente wieder in gewissen Fragen auf
denselben Standpunkt zurückgedrängt werden. Dies Alles gilt nun in verstärk- >
ter Potenz in Rußland. Darum muß freilich der russische Schriftsteller seinem
Leser die Lecture zwischen den Zeilen übrig lassen. Da wir Deutschen jedoch
vor der Hand noch so glücklich sind, unsre Urtheile über russische Zustände—na¬
türlich mit der gehörigen Mäßigung und wo möglich ohne selbst anspielende Nück-
beziehnngen ans die Heimath — ungestraft aussprechen zu können, so sollte man
allerdings erwarte«, daß deutsche Schriftsteller über Rußland das von Rußland
gebotene, offizielle, also von den Schutzrednern am wenigsten cmzweifelbare Ma¬
terial für ihre Ausführungen benutzen würden, namentlich, wenn solche sich als
„Studien" über Nußland einführen.

Herr v. Haxthausen hat bekanntlich als Ergebniß einer mehrjährigen Reise
in Rußland bereits 1847 zwei starke Bände „Studien über die inneren Zustände,
das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen Rußlands" erscheinen
lassen. So eben ist der dritte Band gefolgt, und man kann daraus nicht abnehmen,
ob er auch der letzte des Werkes sei. Wir haben in dieser Zeit so schwere
Schicksalsgänge durchgemacht, daß man es dem Publicum nicht zumuthen mag,
sich zu erinnern, wie Herr v. Haxthausen die beiden ersten Bände seines Werkes
mit der Bemerkung einführte, er werde schreiben, als sei noch gar kein gründ¬
liches Werk über russisch volkstümliches Leben erschienen. Wer Nußland aus
eigener Anschauung kannte, mochte allerdings zweifelhaft sein, ob denn sein Werk
so Ausgezeichnetes gewähren könne, daß man die Unmasse dadurch bedingter
Wiederholungen des schon Bekannten mit in den Kauf nehmen könne. Dies
besonders, da Herr v. Haxthausen ehrlich eingestand, die russische Sprache sei
ihm fremd; dann, weil aus seinem ganzen Buche hervorging, daß officielle und
officivse Mentoren ihn fortwährend umgeben hatten. »Dennoch mußte man ein¬
gestehen, vornehmlich in zwei Richtungen wahrhaft neue (so weit wir ans Selbst¬
beobachtung urtheilen können), richtige und klare Anschauungen durch ihn in die
deutsche Literatur über Rußland eingeführt zu sehen. Seine Darstellung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/39>, abgerufen am 27.09.2024.