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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Die schriftlichen Arbeiten werden voraussichtlich durch die ausgesuchteste Lang¬
weiligkeit zu wirken sich bemühen.

Die eigentliche KrenMtungSpartei ist aus den Wahlen nicht so stark hervor¬
gegangen, wie wir vermutheten und sie selbst gehofft zu haben scheint. Die
zweite Kammer zählt zwar etwa 160 Vertreter des ländlichen Grundbesitzes; aber
von diesen gehört nicht die Hälfte zur eigentlichen Kreuzzeitnngspartei. Vieles lies
mit ihr mit, so lange die große Differenz, die sie von der Bureaukratie trennt,
noch uicht zu Tage gekommen war; jetzt läßt sie sich nicht mehr vertuschen. Die
Pairiedebatten haben zu viel enthüllt, und die Kreuzzeitung ist mit ihren Oppo-
sitionsvcrsnchen ein Jahr zu früh gekommen. Jetzt ist die Junkerpartei wenig
oder gar nicht stärker, als die constitutionelle. Doch wird sie einen gewaltigen
numerischen Zuwachs erhalten, sobald sich innerhalb des Ministeriums das Züng¬
lein zu ihren Gunsten zu neigen scheint. Diesen Wendepunkt zeitig zu erkennen,
und tapfer zu benutzen, wird keine leichte Aufgabe für das Beamtenthum sein;
die Desertion, die dann stattfinden wird, muß eine Umgestaltung des Ministeriums
im junkerlichen Sinn oder seine vollständige Bekehrung zu den Ansichten des
Herrn von Westphalen zur Folge haben, Nach allen Antecedentien zu schließen,
ist das Letztere das Wahrscheinlichere, wie eifrig auch das Correspondenz-Bureau
das Gegentheil versichert.

Viel böser sieht die Differenz mit den Ultramontanen aus, die in der
künftigen Kammer eine Partei von dreißig und einigen Mitgliedern unter der
Führung der beiden Reichensperger, Osterrath's, Braun's und Robben's bilden
werden. Der Cultusminister ist ans einem härtern Stoffe gearbeitet, als seiue
College", und eine Nachgiebigkeit seinerseits nicht wahrscheinlich. Dennoch wird
man gut thun, im Auge zu behalten, daß eine principielle Differenz zwischen
den leitenden Kreisen der evangelischen Kirche und, den Ultramontanen uicht
obwaltet. Wenn mau in der evangelischen Kirche den Glauben aus Ueberzeugung
d. i. den Grundsatz freier Forschung durch deu Autoritätsglauben ersetzt, schneidet
man dem Protestantismus die Berechtigung seiner Existenz ab, räumt der Kon¬
fession, deren Dogma den Vorzug eines ehrwürdigen Alters voraus hat, ein
natürliches Uebergewicht ein und setzt sich zu gleicher Zeit außer Stande, deu
Katholiken ihre unmittelbare und ungestörte Verbindung mit Rom, die ans der
Anerkennung des AutvritätSpriucipü in kirchlichen Dingen als eine unvermeidliche
Consequenz sich crgiel't, zu verweigern. Der allerdings durch zahlreiche Häkeleien
bis zu einer gewissen Bitterkeit gesteigerte Conflict zwischen dem jetzigen evange¬
lischen Kirchenrcgimeut und deu Katholiken entbehrt so sehr eines natürlichen
Grundes, daß die schärfer blickenden Führer der Ultramontanen die im Univers
ihre Stimme ertönen lassen, die Herrn Stahl und Gerlach schon längst als ihre
Bundesgenossen bezeichnet haben. Die Stellung des Kultusministeriums scheint
uns deshalb in dieser Frage zu wenig haltbar zu sein, als daß wir uns nicht


Die schriftlichen Arbeiten werden voraussichtlich durch die ausgesuchteste Lang¬
weiligkeit zu wirken sich bemühen.

Die eigentliche KrenMtungSpartei ist aus den Wahlen nicht so stark hervor¬
gegangen, wie wir vermutheten und sie selbst gehofft zu haben scheint. Die
zweite Kammer zählt zwar etwa 160 Vertreter des ländlichen Grundbesitzes; aber
von diesen gehört nicht die Hälfte zur eigentlichen Kreuzzeitnngspartei. Vieles lies
mit ihr mit, so lange die große Differenz, die sie von der Bureaukratie trennt,
noch uicht zu Tage gekommen war; jetzt läßt sie sich nicht mehr vertuschen. Die
Pairiedebatten haben zu viel enthüllt, und die Kreuzzeitung ist mit ihren Oppo-
sitionsvcrsnchen ein Jahr zu früh gekommen. Jetzt ist die Junkerpartei wenig
oder gar nicht stärker, als die constitutionelle. Doch wird sie einen gewaltigen
numerischen Zuwachs erhalten, sobald sich innerhalb des Ministeriums das Züng¬
lein zu ihren Gunsten zu neigen scheint. Diesen Wendepunkt zeitig zu erkennen,
und tapfer zu benutzen, wird keine leichte Aufgabe für das Beamtenthum sein;
die Desertion, die dann stattfinden wird, muß eine Umgestaltung des Ministeriums
im junkerlichen Sinn oder seine vollständige Bekehrung zu den Ansichten des
Herrn von Westphalen zur Folge haben, Nach allen Antecedentien zu schließen,
ist das Letztere das Wahrscheinlichere, wie eifrig auch das Correspondenz-Bureau
das Gegentheil versichert.

Viel böser sieht die Differenz mit den Ultramontanen aus, die in der
künftigen Kammer eine Partei von dreißig und einigen Mitgliedern unter der
Führung der beiden Reichensperger, Osterrath's, Braun's und Robben's bilden
werden. Der Cultusminister ist ans einem härtern Stoffe gearbeitet, als seiue
College«, und eine Nachgiebigkeit seinerseits nicht wahrscheinlich. Dennoch wird
man gut thun, im Auge zu behalten, daß eine principielle Differenz zwischen
den leitenden Kreisen der evangelischen Kirche und, den Ultramontanen uicht
obwaltet. Wenn mau in der evangelischen Kirche den Glauben aus Ueberzeugung
d. i. den Grundsatz freier Forschung durch deu Autoritätsglauben ersetzt, schneidet
man dem Protestantismus die Berechtigung seiner Existenz ab, räumt der Kon¬
fession, deren Dogma den Vorzug eines ehrwürdigen Alters voraus hat, ein
natürliches Uebergewicht ein und setzt sich zu gleicher Zeit außer Stande, deu
Katholiken ihre unmittelbare und ungestörte Verbindung mit Rom, die ans der
Anerkennung des AutvritätSpriucipü in kirchlichen Dingen als eine unvermeidliche
Consequenz sich crgiel't, zu verweigern. Der allerdings durch zahlreiche Häkeleien
bis zu einer gewissen Bitterkeit gesteigerte Conflict zwischen dem jetzigen evange¬
lischen Kirchenrcgimeut und deu Katholiken entbehrt so sehr eines natürlichen
Grundes, daß die schärfer blickenden Führer der Ultramontanen die im Univers
ihre Stimme ertönen lassen, die Herrn Stahl und Gerlach schon längst als ihre
Bundesgenossen bezeichnet haben. Die Stellung des Kultusministeriums scheint
uns deshalb in dieser Frage zu wenig haltbar zu sein, als daß wir uns nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/358>, abgerufen am 20.10.2024.