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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Da anzunehmen ist, daß auch nnter den mir unbekannten Personen einige
zur Linken halten werden, so wird die gestimmte Opposition in der zweiten Kam¬
mer mit Ausschluß der Polen und Ultramontanen es vielleicht ans achtzig und
einige Stimmen bringen. Dieser Minorität gegenüber steht eine formidable
Phalanx von NeactionairS, die in zwei ungleiche Hälften zerfällt, in die Männer
der Kreuzzeitung, und in die Bureaukraten.

Daß das preußische Ministerium keine politische. Partei hinter sich hat, ist
bekannt; es sucht darin sogar einen besondern Ruhm. Dagegen erscheint es an
der Spitze der gesammten Beamtenwelt, der sich eine nicht unbeträchtliche Zahl
von Schmarotzern, die nach ihrem Vortheil angeln, anschließt. Die Beamtenwelt
ist dieses Mal, namentlich durch die Wahlen auf dem platten Lande, so stark ver¬
treten, daß selbst der Negierung bange zu werden scheint; allein in diesem Dilemma
kann ihr nicht geholfen werden; wenn ihr Wunsch, möglichst viel sichere Stimmen
in den -Kammern zu haben, erfüllt wird, so zieht sie gerade dadurch ihre dienst¬
eifrigsten Organe ans den Provinzen zurück und die Provinzen athmen ans.
Der Einfluß der Landräthe scheint da, wo er mit einiger Energie geltend gemacht
wird, zur Zeit unwiderstehlich zu sein, und wer unsre Gesetzgebung genauer kennt,
wird sich darüber nicht wundern. Unter den Gewählten figuriren etwa neunzig ac¬
tive Regierungsbeamte und Militairs, worunter fünfzig Landräthe. Dazu kommen,
als Landwehr ersten Aufgebots, weniger abhängig und darum weniger zuverlässig,
30 städtische und ständische Beamte'(worunter -I-I Bürgermeister), und 48 Juristen,
nnter denen sich 6 Staatsanwälte und -12 Kreisgerichtsdircctore" befinden. Von diesen
circa -170 Staatsbeamten, die in einem größern oder geringern Abhängigkeitsverhält-
niß stehen, gehören nur wenig über zwanzig den liberalen Fractionen an. Rech¬
net man von dem Nest noch diejenigen ab, die bei etwaigen Disharmonien sich
entweder zur Kreuzzeitungspartei, oder zu den Ultramontanen schlagen werden, so
bleiben dein Ministerium immer noch ungefähr hundert sichere Stimmen,' d. h. es
ist eine Koalition sämmtlicher politischer Fractionen erforderlich, wenn das Mini-
sterium eine erhebliche Niederlage erleiden soll. Wenn die Ultramontanen und
Polen sich mit den Liberalen bei einer Abstimmung vereinigen, wird die Wage
schwanken. , Natürlicher Führer der ministeriellen Partei ist Herr v. Kleist-Retzow,
dessen Stellung zum Junkerthum bekanntlich zweifelhaft geworden ist, seitdem er
die Lust der Bureaukratie athmet; und die Kreisgerichisdircctoren Nöldechen und
Breithaupt werden als Berichterstatter und Amcndemeutssteller an Fruchtbarkeit
die Kaninchen übertreffen müssen. Ausgezeichnete Denkschriften, wie sie die Linke
in der vorigen Session über die ständische Neactivirnng, die Gemeindeordnung,
die Lage der Presse lieferte, wie v. Patow's Bericht über den niederländischen
Handelsvertrag oder Cießkowski's Denkschrift über die Begründung einer polnischen
Universität, wird man in der künftigen Session überhaupt vergeblich erwarten.


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Da anzunehmen ist, daß auch nnter den mir unbekannten Personen einige
zur Linken halten werden, so wird die gestimmte Opposition in der zweiten Kam¬
mer mit Ausschluß der Polen und Ultramontanen es vielleicht ans achtzig und
einige Stimmen bringen. Dieser Minorität gegenüber steht eine formidable
Phalanx von NeactionairS, die in zwei ungleiche Hälften zerfällt, in die Männer
der Kreuzzeitung, und in die Bureaukraten.

Daß das preußische Ministerium keine politische. Partei hinter sich hat, ist
bekannt; es sucht darin sogar einen besondern Ruhm. Dagegen erscheint es an
der Spitze der gesammten Beamtenwelt, der sich eine nicht unbeträchtliche Zahl
von Schmarotzern, die nach ihrem Vortheil angeln, anschließt. Die Beamtenwelt
ist dieses Mal, namentlich durch die Wahlen auf dem platten Lande, so stark ver¬
treten, daß selbst der Negierung bange zu werden scheint; allein in diesem Dilemma
kann ihr nicht geholfen werden; wenn ihr Wunsch, möglichst viel sichere Stimmen
in den -Kammern zu haben, erfüllt wird, so zieht sie gerade dadurch ihre dienst¬
eifrigsten Organe ans den Provinzen zurück und die Provinzen athmen ans.
Der Einfluß der Landräthe scheint da, wo er mit einiger Energie geltend gemacht
wird, zur Zeit unwiderstehlich zu sein, und wer unsre Gesetzgebung genauer kennt,
wird sich darüber nicht wundern. Unter den Gewählten figuriren etwa neunzig ac¬
tive Regierungsbeamte und Militairs, worunter fünfzig Landräthe. Dazu kommen,
als Landwehr ersten Aufgebots, weniger abhängig und darum weniger zuverlässig,
30 städtische und ständische Beamte'(worunter -I-I Bürgermeister), und 48 Juristen,
nnter denen sich 6 Staatsanwälte und -12 Kreisgerichtsdircctore» befinden. Von diesen
circa -170 Staatsbeamten, die in einem größern oder geringern Abhängigkeitsverhält-
niß stehen, gehören nur wenig über zwanzig den liberalen Fractionen an. Rech¬
net man von dem Nest noch diejenigen ab, die bei etwaigen Disharmonien sich
entweder zur Kreuzzeitungspartei, oder zu den Ultramontanen schlagen werden, so
bleiben dein Ministerium immer noch ungefähr hundert sichere Stimmen,' d. h. es
ist eine Koalition sämmtlicher politischer Fractionen erforderlich, wenn das Mini-
sterium eine erhebliche Niederlage erleiden soll. Wenn die Ultramontanen und
Polen sich mit den Liberalen bei einer Abstimmung vereinigen, wird die Wage
schwanken. , Natürlicher Führer der ministeriellen Partei ist Herr v. Kleist-Retzow,
dessen Stellung zum Junkerthum bekanntlich zweifelhaft geworden ist, seitdem er
die Lust der Bureaukratie athmet; und die Kreisgerichisdircctoren Nöldechen und
Breithaupt werden als Berichterstatter und Amcndemeutssteller an Fruchtbarkeit
die Kaninchen übertreffen müssen. Ausgezeichnete Denkschriften, wie sie die Linke
in der vorigen Session über die ständische Neactivirnng, die Gemeindeordnung,
die Lage der Presse lieferte, wie v. Patow's Bericht über den niederländischen
Handelsvertrag oder Cießkowski's Denkschrift über die Begründung einer polnischen
Universität, wird man in der künftigen Session überhaupt vergeblich erwarten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/357>, abgerufen am 27.09.2024.