Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer Ueberzeugung von den verderblichen Wirkungen des herrschenden Systems
nur bestärkt sein. In der zweiten Kammer waren ihr nur sehr vereinzelte Ele¬
mente geneigt, wie die Abgeordneten Landfermanu, v. Font u. A. Um so mehr
mußte sie bei den Neuwahlen ans Verstärkung bedacht sei". Aber sie hat über
großes Mißgeschick zu klagen. Von der an und für sich genügen Anzahl ihrer
Anhänger in den früheren Kammern ist.der größte Theil nicht wieder gewählt
worden, wie die Herrn Matthis, Graf Uork, v. Gruner; und die Trümmer der
Fraction Mätzke sind vollends ganz aus einander gesprengt. Eben so sind ihre Ver¬
suche, neue Anhänger in die Kammern zu bringen, mißlungen; die Grafen Pour-
tales und Goltz, der frühere Kultusminister Eichhorn u. A. sind nicht gewählt.
Es ist demnach fraglich, ob Graf Fürstenberg-Stammheim, v. Bethmann-Hollweg
und v. Font überhaupt eine Fraction in der zweiten Kammer zu Stande bringen
werden; in der jetzt aus einander fliehenden Partei Geppert sind einige Elemente
dazu vorhanden, die des lauwarmen Wassers, mit dem sie bisher durch die
Tagesordnungen der Herr" Geppert und v. Eynaru gespeist wurden, herzlich
überdrüßig sind und gleichwohl durch alte und befestigte Vorurtheile von der
constitutionellen Partei fern gehalten werden. Doch in der Kunst der Propa¬
ganda ist die Fraction Bethmann-Hollweg wo möglich noch unerfahrener, als die
Constitutionellen. Daß der frühere sächsische Staatsminister, Herr v. Carlowitz,
sich eiuer bestimmten Fraction anschließen wird, bezweifeln wir; sollte er sich mit
den Anhängern des Herrn v. Bethmann vereinigen, so dürfte er zugleich eine
geeignete Persönlichkeit sein, eine Verständigung mit der constitutionellen Partei
Behufs gemeinsamer Schritte anzubahnen.

Daß wir das Wahlmißgeschick der benachbarten Fraction nicht mit Gleich-
giltigkeit ansehen, versteht sich von selbst. Wäre sie mit einem auch extensiv
respectabeln Kern in die Kammern getreten, so hätte sie vielen schwächlichen
Gemüthern, die sich davor ängstigen, Mitglieder der Linken genannt zu werden,
einen Halt und zugleich die Gelegenheit geboten, ihren eigentlichen Ansichten
einen angemessenen Ausdruck zu geben. Unglücklicher Weise sind bei der Wahl
gerade solche Elemente übergangen, welche die junge Partei vor Erschlaffung und
vor dem Faulfieber der Tagesvrduungen bewahren konnten. Dazu kommt, daß
durch das Wahlmißgeschick Talente brach gelegt sind, die in einer Kammer sehr
am Platze wären; Matthis ist, wie sehr man ihm auch sonst abgeneigt sein mag,
ein bedeutender Dialektiker und in der Rede gewandt; v. Grüner ist in die Ge-
heimniße der Bnndestagspolitik tief eingeweiht und nnter den preußischen Diplo¬
maten vielleicht der beste Kenner des Frankfurter Terrains und der östreichischen
Taktik; Pourtales endlich scheint in jeder Beziehung ein Mann von ganz hervor¬
ragenden Gaben zu sein, die sich in der Kammer bald geltend machen würden.
Wir glaubten, daß die constitutionelle Partei ohne Bedenken für die Wahl der
beiden zuletzt genannten Männer hätte thätig sein können.


ihrer Ueberzeugung von den verderblichen Wirkungen des herrschenden Systems
nur bestärkt sein. In der zweiten Kammer waren ihr nur sehr vereinzelte Ele¬
mente geneigt, wie die Abgeordneten Landfermanu, v. Font u. A. Um so mehr
mußte sie bei den Neuwahlen ans Verstärkung bedacht sei». Aber sie hat über
großes Mißgeschick zu klagen. Von der an und für sich genügen Anzahl ihrer
Anhänger in den früheren Kammern ist.der größte Theil nicht wieder gewählt
worden, wie die Herrn Matthis, Graf Uork, v. Gruner; und die Trümmer der
Fraction Mätzke sind vollends ganz aus einander gesprengt. Eben so sind ihre Ver¬
suche, neue Anhänger in die Kammern zu bringen, mißlungen; die Grafen Pour-
tales und Goltz, der frühere Kultusminister Eichhorn u. A. sind nicht gewählt.
Es ist demnach fraglich, ob Graf Fürstenberg-Stammheim, v. Bethmann-Hollweg
und v. Font überhaupt eine Fraction in der zweiten Kammer zu Stande bringen
werden; in der jetzt aus einander fliehenden Partei Geppert sind einige Elemente
dazu vorhanden, die des lauwarmen Wassers, mit dem sie bisher durch die
Tagesordnungen der Herr» Geppert und v. Eynaru gespeist wurden, herzlich
überdrüßig sind und gleichwohl durch alte und befestigte Vorurtheile von der
constitutionellen Partei fern gehalten werden. Doch in der Kunst der Propa¬
ganda ist die Fraction Bethmann-Hollweg wo möglich noch unerfahrener, als die
Constitutionellen. Daß der frühere sächsische Staatsminister, Herr v. Carlowitz,
sich eiuer bestimmten Fraction anschließen wird, bezweifeln wir; sollte er sich mit
den Anhängern des Herrn v. Bethmann vereinigen, so dürfte er zugleich eine
geeignete Persönlichkeit sein, eine Verständigung mit der constitutionellen Partei
Behufs gemeinsamer Schritte anzubahnen.

Daß wir das Wahlmißgeschick der benachbarten Fraction nicht mit Gleich-
giltigkeit ansehen, versteht sich von selbst. Wäre sie mit einem auch extensiv
respectabeln Kern in die Kammern getreten, so hätte sie vielen schwächlichen
Gemüthern, die sich davor ängstigen, Mitglieder der Linken genannt zu werden,
einen Halt und zugleich die Gelegenheit geboten, ihren eigentlichen Ansichten
einen angemessenen Ausdruck zu geben. Unglücklicher Weise sind bei der Wahl
gerade solche Elemente übergangen, welche die junge Partei vor Erschlaffung und
vor dem Faulfieber der Tagesvrduungen bewahren konnten. Dazu kommt, daß
durch das Wahlmißgeschick Talente brach gelegt sind, die in einer Kammer sehr
am Platze wären; Matthis ist, wie sehr man ihm auch sonst abgeneigt sein mag,
ein bedeutender Dialektiker und in der Rede gewandt; v. Grüner ist in die Ge-
heimniße der Bnndestagspolitik tief eingeweiht und nnter den preußischen Diplo¬
maten vielleicht der beste Kenner des Frankfurter Terrains und der östreichischen
Taktik; Pourtales endlich scheint in jeder Beziehung ein Mann von ganz hervor¬
ragenden Gaben zu sein, die sich in der Kammer bald geltend machen würden.
Wir glaubten, daß die constitutionelle Partei ohne Bedenken für die Wahl der
beiden zuletzt genannten Männer hätte thätig sein können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95337"/>
          <p xml:id="ID_1017" prev="#ID_1016"> ihrer Ueberzeugung von den verderblichen Wirkungen des herrschenden Systems<lb/>
nur bestärkt sein. In der zweiten Kammer waren ihr nur sehr vereinzelte Ele¬<lb/>
mente geneigt, wie die Abgeordneten Landfermanu, v. Font u. A. Um so mehr<lb/>
mußte sie bei den Neuwahlen ans Verstärkung bedacht sei». Aber sie hat über<lb/>
großes Mißgeschick zu klagen. Von der an und für sich genügen Anzahl ihrer<lb/>
Anhänger in den früheren Kammern ist.der größte Theil nicht wieder gewählt<lb/>
worden, wie die Herrn Matthis, Graf Uork, v. Gruner; und die Trümmer der<lb/>
Fraction Mätzke sind vollends ganz aus einander gesprengt. Eben so sind ihre Ver¬<lb/>
suche, neue Anhänger in die Kammern zu bringen, mißlungen; die Grafen Pour-<lb/>
tales und Goltz, der frühere Kultusminister Eichhorn u. A. sind nicht gewählt.<lb/>
Es ist demnach fraglich, ob Graf Fürstenberg-Stammheim, v. Bethmann-Hollweg<lb/>
und v. Font überhaupt eine Fraction in der zweiten Kammer zu Stande bringen<lb/>
werden; in der jetzt aus einander fliehenden Partei Geppert sind einige Elemente<lb/>
dazu vorhanden, die des lauwarmen Wassers, mit dem sie bisher durch die<lb/>
Tagesordnungen der Herr» Geppert und v. Eynaru gespeist wurden, herzlich<lb/>
überdrüßig sind und gleichwohl durch alte und befestigte Vorurtheile von der<lb/>
constitutionellen Partei fern gehalten werden. Doch in der Kunst der Propa¬<lb/>
ganda ist die Fraction Bethmann-Hollweg wo möglich noch unerfahrener, als die<lb/>
Constitutionellen. Daß der frühere sächsische Staatsminister, Herr v. Carlowitz,<lb/>
sich eiuer bestimmten Fraction anschließen wird, bezweifeln wir; sollte er sich mit<lb/>
den Anhängern des Herrn v. Bethmann vereinigen, so dürfte er zugleich eine<lb/>
geeignete Persönlichkeit sein, eine Verständigung mit der constitutionellen Partei<lb/>
Behufs gemeinsamer Schritte anzubahnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1018"> Daß wir das Wahlmißgeschick der benachbarten Fraction nicht mit Gleich-<lb/>
giltigkeit ansehen, versteht sich von selbst. Wäre sie mit einem auch extensiv<lb/>
respectabeln Kern in die Kammern getreten, so hätte sie vielen schwächlichen<lb/>
Gemüthern, die sich davor ängstigen, Mitglieder der Linken genannt zu werden,<lb/>
einen Halt und zugleich die Gelegenheit geboten, ihren eigentlichen Ansichten<lb/>
einen angemessenen Ausdruck zu geben. Unglücklicher Weise sind bei der Wahl<lb/>
gerade solche Elemente übergangen, welche die junge Partei vor Erschlaffung und<lb/>
vor dem Faulfieber der Tagesvrduungen bewahren konnten. Dazu kommt, daß<lb/>
durch das Wahlmißgeschick Talente brach gelegt sind, die in einer Kammer sehr<lb/>
am Platze wären; Matthis ist, wie sehr man ihm auch sonst abgeneigt sein mag,<lb/>
ein bedeutender Dialektiker und in der Rede gewandt; v. Grüner ist in die Ge-<lb/>
heimniße der Bnndestagspolitik tief eingeweiht und nnter den preußischen Diplo¬<lb/>
maten vielleicht der beste Kenner des Frankfurter Terrains und der östreichischen<lb/>
Taktik; Pourtales endlich scheint in jeder Beziehung ein Mann von ganz hervor¬<lb/>
ragenden Gaben zu sein, die sich in der Kammer bald geltend machen würden.<lb/>
Wir glaubten, daß die constitutionelle Partei ohne Bedenken für die Wahl der<lb/>
beiden zuletzt genannten Männer hätte thätig sein können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] ihrer Ueberzeugung von den verderblichen Wirkungen des herrschenden Systems nur bestärkt sein. In der zweiten Kammer waren ihr nur sehr vereinzelte Ele¬ mente geneigt, wie die Abgeordneten Landfermanu, v. Font u. A. Um so mehr mußte sie bei den Neuwahlen ans Verstärkung bedacht sei». Aber sie hat über großes Mißgeschick zu klagen. Von der an und für sich genügen Anzahl ihrer Anhänger in den früheren Kammern ist.der größte Theil nicht wieder gewählt worden, wie die Herrn Matthis, Graf Uork, v. Gruner; und die Trümmer der Fraction Mätzke sind vollends ganz aus einander gesprengt. Eben so sind ihre Ver¬ suche, neue Anhänger in die Kammern zu bringen, mißlungen; die Grafen Pour- tales und Goltz, der frühere Kultusminister Eichhorn u. A. sind nicht gewählt. Es ist demnach fraglich, ob Graf Fürstenberg-Stammheim, v. Bethmann-Hollweg und v. Font überhaupt eine Fraction in der zweiten Kammer zu Stande bringen werden; in der jetzt aus einander fliehenden Partei Geppert sind einige Elemente dazu vorhanden, die des lauwarmen Wassers, mit dem sie bisher durch die Tagesordnungen der Herr» Geppert und v. Eynaru gespeist wurden, herzlich überdrüßig sind und gleichwohl durch alte und befestigte Vorurtheile von der constitutionellen Partei fern gehalten werden. Doch in der Kunst der Propa¬ ganda ist die Fraction Bethmann-Hollweg wo möglich noch unerfahrener, als die Constitutionellen. Daß der frühere sächsische Staatsminister, Herr v. Carlowitz, sich eiuer bestimmten Fraction anschließen wird, bezweifeln wir; sollte er sich mit den Anhängern des Herrn v. Bethmann vereinigen, so dürfte er zugleich eine geeignete Persönlichkeit sein, eine Verständigung mit der constitutionellen Partei Behufs gemeinsamer Schritte anzubahnen. Daß wir das Wahlmißgeschick der benachbarten Fraction nicht mit Gleich- giltigkeit ansehen, versteht sich von selbst. Wäre sie mit einem auch extensiv respectabeln Kern in die Kammern getreten, so hätte sie vielen schwächlichen Gemüthern, die sich davor ängstigen, Mitglieder der Linken genannt zu werden, einen Halt und zugleich die Gelegenheit geboten, ihren eigentlichen Ansichten einen angemessenen Ausdruck zu geben. Unglücklicher Weise sind bei der Wahl gerade solche Elemente übergangen, welche die junge Partei vor Erschlaffung und vor dem Faulfieber der Tagesvrduungen bewahren konnten. Dazu kommt, daß durch das Wahlmißgeschick Talente brach gelegt sind, die in einer Kammer sehr am Platze wären; Matthis ist, wie sehr man ihm auch sonst abgeneigt sein mag, ein bedeutender Dialektiker und in der Rede gewandt; v. Grüner ist in die Ge- heimniße der Bnndestagspolitik tief eingeweiht und nnter den preußischen Diplo¬ maten vielleicht der beste Kenner des Frankfurter Terrains und der östreichischen Taktik; Pourtales endlich scheint in jeder Beziehung ein Mann von ganz hervor¬ ragenden Gaben zu sein, die sich in der Kammer bald geltend machen würden. Wir glaubten, daß die constitutionelle Partei ohne Bedenken für die Wahl der beiden zuletzt genannten Männer hätte thätig sein können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/356>, abgerufen am 20.10.2024.