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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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die Fenster in Bezug auf Gestalt, Größe, Zahl und Anordnung nach derNaum-
vertheilung im Innern richten; die Gesimse, wo solche überhaupt das Material und die
Mauerstärke zuließen, erfüllten durch ihre Gestalt wirklich ihren Zweck, Regen
und Feuchtigkeit von der Mauer abzuhalten, und waren nicht wie die akademi¬
schen bloße Masken; die Treppen lagen in besonderen, den ganzen Bau über¬
ragenden Thürmen, sowol geschützt gegen Feuergefahr, als wohlerlcuchtet und die
freie Bewegung im Innern nicht hemnleud; die Kamine traten kräftig und ent¬
schieden aus den Wänden und Dächern und brachen so, wie die eben gedachten
Treppenhäuser, nicht blos die Monotonie der großen Flächen, sondern sie boten
mich einen weiten Spielraum für ornamentale Motive aller Art dar. Während
auf unsren, dem Wind und Wetter preisgegebenen Balkonen Niemand, wenigstens
Niemand vom schönen Geschlechte, sich blicken lassen darf, ohne Gefahr zu laufen,
hinweggezischt zu werden, gereichte dem mittelalterlichen Wohnhause der Erker
zur schönsten Zierde von Außen und von Innen, wie zur höchstem Annehmlichkeit
und Bequemlichkeit. Die Decken der Gemächer wurden nicht durch allerhand
Kleisterwerk zu einer monotonen Fläche gestaltet, vielmehr blieben auch sie dem
obersten Grundsatze der Wahrheit getreu, indem die Balkenlagen klar hervor¬
traten und das Gerippe zu der Vertäfelung bildeten, welche das angenehmste
Spiel von Licht und Schatten zeigte, und dem Holzschnitzer und Kunstschreiner
Gelegenheit zur Bethätigung seines Talentes bot. Alles, von der phantastisch
gestalteten Wetterfahne an, bis herab zum Klopfer an der Hausthüre und zur
Vergitterung über derselben, zeigte sich entschieden als das, was es sein sollte,
nur. immer durch Ausführung und Anordnung in das freie Reich der Kunst
gehoben. So gestaltete sich, im Gegensatze zu unsren modernen Häusern, die
eigentlich nur wie Häuserfutterale aussehen, ein lebendiges, bedeutungsvolles,
in sich einiges, organisch gegliedertes Ganzes, aus welchem die Abstammung, die
äußere Stellung, die Lebensweise, ja -- durch die fast nie fehlenden Heiligenbilder,
Sprüche und Embleme -- der Glaube seines Erbauers und Inhabers sich
erkennen ließ. Die keck aufgegiebeltcn oder zinnengekrönten Reihen solcher
Behausungen, von welchen eine jede, bei aller Uebereinstimmung im Grundtypus,
doch stets ein entschieden individuelles Gepräge trug, überragt von den öffentlichen
Bauwerken, den Versammlungsorten freiheitsstolzer Bürger, und von den luftigen,
um die Wette aufsteigenden Thürmen, bildeten dann die unvergleichlichen Städte,
mit denen besonders unser,Vaterland prangte/' -- Eben so in den Bauerhäusern.
"Auch aus diesen Holzconstructionen springen die allgemeinen, leitenden
Principien der christlich-germanischen Architektur in die Augen. Die ganze
Anordnung paßt auch hier überall sich dem Materials an; das Gefüge tritt stets
unverhohlen hervor; die Ballen, Sprossen und Riegel gestalten sich, indem sie
zugleich ihre coustructiveu Zwecke erfüllen, zu sinnvollen Ornamente, welches
noch dnrch mannichfaches originelles Schnitzwerk gehoben wird. Wie beim Steinbau


die Fenster in Bezug auf Gestalt, Größe, Zahl und Anordnung nach derNaum-
vertheilung im Innern richten; die Gesimse, wo solche überhaupt das Material und die
Mauerstärke zuließen, erfüllten durch ihre Gestalt wirklich ihren Zweck, Regen
und Feuchtigkeit von der Mauer abzuhalten, und waren nicht wie die akademi¬
schen bloße Masken; die Treppen lagen in besonderen, den ganzen Bau über¬
ragenden Thürmen, sowol geschützt gegen Feuergefahr, als wohlerlcuchtet und die
freie Bewegung im Innern nicht hemnleud; die Kamine traten kräftig und ent¬
schieden aus den Wänden und Dächern und brachen so, wie die eben gedachten
Treppenhäuser, nicht blos die Monotonie der großen Flächen, sondern sie boten
mich einen weiten Spielraum für ornamentale Motive aller Art dar. Während
auf unsren, dem Wind und Wetter preisgegebenen Balkonen Niemand, wenigstens
Niemand vom schönen Geschlechte, sich blicken lassen darf, ohne Gefahr zu laufen,
hinweggezischt zu werden, gereichte dem mittelalterlichen Wohnhause der Erker
zur schönsten Zierde von Außen und von Innen, wie zur höchstem Annehmlichkeit
und Bequemlichkeit. Die Decken der Gemächer wurden nicht durch allerhand
Kleisterwerk zu einer monotonen Fläche gestaltet, vielmehr blieben auch sie dem
obersten Grundsatze der Wahrheit getreu, indem die Balkenlagen klar hervor¬
traten und das Gerippe zu der Vertäfelung bildeten, welche das angenehmste
Spiel von Licht und Schatten zeigte, und dem Holzschnitzer und Kunstschreiner
Gelegenheit zur Bethätigung seines Talentes bot. Alles, von der phantastisch
gestalteten Wetterfahne an, bis herab zum Klopfer an der Hausthüre und zur
Vergitterung über derselben, zeigte sich entschieden als das, was es sein sollte,
nur. immer durch Ausführung und Anordnung in das freie Reich der Kunst
gehoben. So gestaltete sich, im Gegensatze zu unsren modernen Häusern, die
eigentlich nur wie Häuserfutterale aussehen, ein lebendiges, bedeutungsvolles,
in sich einiges, organisch gegliedertes Ganzes, aus welchem die Abstammung, die
äußere Stellung, die Lebensweise, ja — durch die fast nie fehlenden Heiligenbilder,
Sprüche und Embleme — der Glaube seines Erbauers und Inhabers sich
erkennen ließ. Die keck aufgegiebeltcn oder zinnengekrönten Reihen solcher
Behausungen, von welchen eine jede, bei aller Uebereinstimmung im Grundtypus,
doch stets ein entschieden individuelles Gepräge trug, überragt von den öffentlichen
Bauwerken, den Versammlungsorten freiheitsstolzer Bürger, und von den luftigen,
um die Wette aufsteigenden Thürmen, bildeten dann die unvergleichlichen Städte,
mit denen besonders unser,Vaterland prangte/' — Eben so in den Bauerhäusern.
„Auch aus diesen Holzconstructionen springen die allgemeinen, leitenden
Principien der christlich-germanischen Architektur in die Augen. Die ganze
Anordnung paßt auch hier überall sich dem Materials an; das Gefüge tritt stets
unverhohlen hervor; die Ballen, Sprossen und Riegel gestalten sich, indem sie
zugleich ihre coustructiveu Zwecke erfüllen, zu sinnvollen Ornamente, welches
noch dnrch mannichfaches originelles Schnitzwerk gehoben wird. Wie beim Steinbau


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[0354] die Fenster in Bezug auf Gestalt, Größe, Zahl und Anordnung nach derNaum- vertheilung im Innern richten; die Gesimse, wo solche überhaupt das Material und die Mauerstärke zuließen, erfüllten durch ihre Gestalt wirklich ihren Zweck, Regen und Feuchtigkeit von der Mauer abzuhalten, und waren nicht wie die akademi¬ schen bloße Masken; die Treppen lagen in besonderen, den ganzen Bau über¬ ragenden Thürmen, sowol geschützt gegen Feuergefahr, als wohlerlcuchtet und die freie Bewegung im Innern nicht hemnleud; die Kamine traten kräftig und ent¬ schieden aus den Wänden und Dächern und brachen so, wie die eben gedachten Treppenhäuser, nicht blos die Monotonie der großen Flächen, sondern sie boten mich einen weiten Spielraum für ornamentale Motive aller Art dar. Während auf unsren, dem Wind und Wetter preisgegebenen Balkonen Niemand, wenigstens Niemand vom schönen Geschlechte, sich blicken lassen darf, ohne Gefahr zu laufen, hinweggezischt zu werden, gereichte dem mittelalterlichen Wohnhause der Erker zur schönsten Zierde von Außen und von Innen, wie zur höchstem Annehmlichkeit und Bequemlichkeit. Die Decken der Gemächer wurden nicht durch allerhand Kleisterwerk zu einer monotonen Fläche gestaltet, vielmehr blieben auch sie dem obersten Grundsatze der Wahrheit getreu, indem die Balkenlagen klar hervor¬ traten und das Gerippe zu der Vertäfelung bildeten, welche das angenehmste Spiel von Licht und Schatten zeigte, und dem Holzschnitzer und Kunstschreiner Gelegenheit zur Bethätigung seines Talentes bot. Alles, von der phantastisch gestalteten Wetterfahne an, bis herab zum Klopfer an der Hausthüre und zur Vergitterung über derselben, zeigte sich entschieden als das, was es sein sollte, nur. immer durch Ausführung und Anordnung in das freie Reich der Kunst gehoben. So gestaltete sich, im Gegensatze zu unsren modernen Häusern, die eigentlich nur wie Häuserfutterale aussehen, ein lebendiges, bedeutungsvolles, in sich einiges, organisch gegliedertes Ganzes, aus welchem die Abstammung, die äußere Stellung, die Lebensweise, ja — durch die fast nie fehlenden Heiligenbilder, Sprüche und Embleme — der Glaube seines Erbauers und Inhabers sich erkennen ließ. Die keck aufgegiebeltcn oder zinnengekrönten Reihen solcher Behausungen, von welchen eine jede, bei aller Uebereinstimmung im Grundtypus, doch stets ein entschieden individuelles Gepräge trug, überragt von den öffentlichen Bauwerken, den Versammlungsorten freiheitsstolzer Bürger, und von den luftigen, um die Wette aufsteigenden Thürmen, bildeten dann die unvergleichlichen Städte, mit denen besonders unser,Vaterland prangte/' — Eben so in den Bauerhäusern. „Auch aus diesen Holzconstructionen springen die allgemeinen, leitenden Principien der christlich-germanischen Architektur in die Augen. Die ganze Anordnung paßt auch hier überall sich dem Materials an; das Gefüge tritt stets unverhohlen hervor; die Ballen, Sprossen und Riegel gestalten sich, indem sie zugleich ihre coustructiveu Zwecke erfüllen, zu sinnvollen Ornamente, welches noch dnrch mannichfaches originelles Schnitzwerk gehoben wird. Wie beim Steinbau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/354>, abgerufen am 20.10.2024.