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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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so tief eingelassen, daß sie den betreffenden Coustructiouslheil schwächen, oder
denselben auch nur scheinbar ans seinem Zusammenhange reißen könnten. Die
Vorsprünge sind der Regel nach abgeschrägt, um dem Wasser freien Ablauf
zu gestatten; die Gesimse siud so angebracht, daß sowol die Fugen des Mauer-
werks, als die Fnndamentirnng des Baues gegen die Einwirkung des Regens durch
sie geschützt werden; die einzelnen Wertstücke erscheinen in einer Art geordnet, daß
die Fugenlinien mit den architektonischen Linien nicht in Concurrenz treten,
vielmehr sofort als etwas rein Zufälliges sich zu erkennen geben, aus welchem
Grunde denn auch, so wie wegen der größern Solidität des Mauerwerkes, niemals
besonders große Steinblöcke verwandt wurden; die Fenster-Pfosten und Ge¬
wände zeigen eine ähnliche Verbindung des praktischen mit dem ästhetischen
Zwecke, indem ihre Construction und zierlich bewegte Gliederung sowol auf das
Einfallen des Lichtes, als auf die möglichste Durchbildung,und Belebung der
Masse berechnet siud. Ueberhaupt zeigt die gothische Baukunst überall, daß sie
wesentlich constructiv ist." -- Dasselbe gilt von der Auswahl des Bau¬
materials. -- "Heutzutage weiß mau durch Mörtel und Tünche aus Allem
Alles zu machen. Der gebrechlichste Ziegelbau wird unter ihrem Bei¬
stande in einen florentinischen Fclscnpalast verwandelt; der Gyps zaubert jede
Mauer und jeden Balken in eine strahlende Wand oder Säule von Marmorstein
und Porphyr um; die Steinpappe (neuester Erfindung!) und das Papier wäckv
wissen den Bildnermeißel durchaus entbehrlich zu machen, wie die Tüncher-Chablone
die sichere Hand des Meisters!" -- Die mittelalterliche Baukunst dagegen strebte
überall nach Wahrheit. -- "Wo die Natur blos die Ziegel bot, da wußte das
Genie dieser Meister dieselben nicht weniger künstlerisch zu ordnen und zu gestalten,
als anderwärts den Tuff- und deu Quaderstein. Die Backsteinbauten des nörd¬
lichen Deutschlands und Italiens sind in ihrer Art ehe" so bewundernswerth
und künstlerisch vollendet, als die kolossalsten Marmorconstrnctionen Griechenlands,
eben weil sie nicht mehr scheinen wollen, als sie wirklich sind."--Nach
einer ziemlich grellen Darstellung der heutigen Baumethode wird im Gegensatz
von den mittelalterlichen Baumeistern angegeben, daß sie ihre Häuser nicht von
außen hinein ("in der Fa<?abe einen glatten und symmetrischen Anstrich zu geben),
sondern von innen heraus bauten, so daß die Fayade das Product des Jünen-
baues wurde, wie der Aufriß das Product des Grundrisses. Auch in den Pri-
vatgebäuden des Mittelalters "entwickelt sich Alles durchaus natürlich, -gleichwie
nach einem organischen Gesetze; jeder Theil, der größte wie der kleinste, giebt
durch seiue Erscheinung sofort seine Bestimmung und den Grad seiner Bedeutung
zu erkennen, nichts ist verkleistert und maskirt; endlich aber gestaltet ein natür¬
liches Kunstgefühl die Einzelheiten zu einem malerischen, ausdrucksvolle" Ganzen,
welches überdies möglichst mit der Umgebung in Einklang gesetzt wird."

"So mußten sich z. B., umgekehrt'wie solches die heutige Baukunst lehrt,


so tief eingelassen, daß sie den betreffenden Coustructiouslheil schwächen, oder
denselben auch nur scheinbar ans seinem Zusammenhange reißen könnten. Die
Vorsprünge sind der Regel nach abgeschrägt, um dem Wasser freien Ablauf
zu gestatten; die Gesimse siud so angebracht, daß sowol die Fugen des Mauer-
werks, als die Fnndamentirnng des Baues gegen die Einwirkung des Regens durch
sie geschützt werden; die einzelnen Wertstücke erscheinen in einer Art geordnet, daß
die Fugenlinien mit den architektonischen Linien nicht in Concurrenz treten,
vielmehr sofort als etwas rein Zufälliges sich zu erkennen geben, aus welchem
Grunde denn auch, so wie wegen der größern Solidität des Mauerwerkes, niemals
besonders große Steinblöcke verwandt wurden; die Fenster-Pfosten und Ge¬
wände zeigen eine ähnliche Verbindung des praktischen mit dem ästhetischen
Zwecke, indem ihre Construction und zierlich bewegte Gliederung sowol auf das
Einfallen des Lichtes, als auf die möglichste Durchbildung,und Belebung der
Masse berechnet siud. Ueberhaupt zeigt die gothische Baukunst überall, daß sie
wesentlich constructiv ist." — Dasselbe gilt von der Auswahl des Bau¬
materials. — „Heutzutage weiß mau durch Mörtel und Tünche aus Allem
Alles zu machen. Der gebrechlichste Ziegelbau wird unter ihrem Bei¬
stande in einen florentinischen Fclscnpalast verwandelt; der Gyps zaubert jede
Mauer und jeden Balken in eine strahlende Wand oder Säule von Marmorstein
und Porphyr um; die Steinpappe (neuester Erfindung!) und das Papier wäckv
wissen den Bildnermeißel durchaus entbehrlich zu machen, wie die Tüncher-Chablone
die sichere Hand des Meisters!" — Die mittelalterliche Baukunst dagegen strebte
überall nach Wahrheit. — „Wo die Natur blos die Ziegel bot, da wußte das
Genie dieser Meister dieselben nicht weniger künstlerisch zu ordnen und zu gestalten,
als anderwärts den Tuff- und deu Quaderstein. Die Backsteinbauten des nörd¬
lichen Deutschlands und Italiens sind in ihrer Art ehe« so bewundernswerth
und künstlerisch vollendet, als die kolossalsten Marmorconstrnctionen Griechenlands,
eben weil sie nicht mehr scheinen wollen, als sie wirklich sind."--Nach
einer ziemlich grellen Darstellung der heutigen Baumethode wird im Gegensatz
von den mittelalterlichen Baumeistern angegeben, daß sie ihre Häuser nicht von
außen hinein (»in der Fa<?abe einen glatten und symmetrischen Anstrich zu geben),
sondern von innen heraus bauten, so daß die Fayade das Product des Jünen-
baues wurde, wie der Aufriß das Product des Grundrisses. Auch in den Pri-
vatgebäuden des Mittelalters „entwickelt sich Alles durchaus natürlich, -gleichwie
nach einem organischen Gesetze; jeder Theil, der größte wie der kleinste, giebt
durch seiue Erscheinung sofort seine Bestimmung und den Grad seiner Bedeutung
zu erkennen, nichts ist verkleistert und maskirt; endlich aber gestaltet ein natür¬
liches Kunstgefühl die Einzelheiten zu einem malerischen, ausdrucksvolle» Ganzen,
welches überdies möglichst mit der Umgebung in Einklang gesetzt wird."

„So mußten sich z. B., umgekehrt'wie solches die heutige Baukunst lehrt,


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[0353] so tief eingelassen, daß sie den betreffenden Coustructiouslheil schwächen, oder denselben auch nur scheinbar ans seinem Zusammenhange reißen könnten. Die Vorsprünge sind der Regel nach abgeschrägt, um dem Wasser freien Ablauf zu gestatten; die Gesimse siud so angebracht, daß sowol die Fugen des Mauer- werks, als die Fnndamentirnng des Baues gegen die Einwirkung des Regens durch sie geschützt werden; die einzelnen Wertstücke erscheinen in einer Art geordnet, daß die Fugenlinien mit den architektonischen Linien nicht in Concurrenz treten, vielmehr sofort als etwas rein Zufälliges sich zu erkennen geben, aus welchem Grunde denn auch, so wie wegen der größern Solidität des Mauerwerkes, niemals besonders große Steinblöcke verwandt wurden; die Fenster-Pfosten und Ge¬ wände zeigen eine ähnliche Verbindung des praktischen mit dem ästhetischen Zwecke, indem ihre Construction und zierlich bewegte Gliederung sowol auf das Einfallen des Lichtes, als auf die möglichste Durchbildung,und Belebung der Masse berechnet siud. Ueberhaupt zeigt die gothische Baukunst überall, daß sie wesentlich constructiv ist." — Dasselbe gilt von der Auswahl des Bau¬ materials. — „Heutzutage weiß mau durch Mörtel und Tünche aus Allem Alles zu machen. Der gebrechlichste Ziegelbau wird unter ihrem Bei¬ stande in einen florentinischen Fclscnpalast verwandelt; der Gyps zaubert jede Mauer und jeden Balken in eine strahlende Wand oder Säule von Marmorstein und Porphyr um; die Steinpappe (neuester Erfindung!) und das Papier wäckv wissen den Bildnermeißel durchaus entbehrlich zu machen, wie die Tüncher-Chablone die sichere Hand des Meisters!" — Die mittelalterliche Baukunst dagegen strebte überall nach Wahrheit. — „Wo die Natur blos die Ziegel bot, da wußte das Genie dieser Meister dieselben nicht weniger künstlerisch zu ordnen und zu gestalten, als anderwärts den Tuff- und deu Quaderstein. Die Backsteinbauten des nörd¬ lichen Deutschlands und Italiens sind in ihrer Art ehe« so bewundernswerth und künstlerisch vollendet, als die kolossalsten Marmorconstrnctionen Griechenlands, eben weil sie nicht mehr scheinen wollen, als sie wirklich sind."--Nach einer ziemlich grellen Darstellung der heutigen Baumethode wird im Gegensatz von den mittelalterlichen Baumeistern angegeben, daß sie ihre Häuser nicht von außen hinein (»in der Fa<?abe einen glatten und symmetrischen Anstrich zu geben), sondern von innen heraus bauten, so daß die Fayade das Product des Jünen- baues wurde, wie der Aufriß das Product des Grundrisses. Auch in den Pri- vatgebäuden des Mittelalters „entwickelt sich Alles durchaus natürlich, -gleichwie nach einem organischen Gesetze; jeder Theil, der größte wie der kleinste, giebt durch seiue Erscheinung sofort seine Bestimmung und den Grad seiner Bedeutung zu erkennen, nichts ist verkleistert und maskirt; endlich aber gestaltet ein natür¬ liches Kunstgefühl die Einzelheiten zu einem malerischen, ausdrucksvolle» Ganzen, welches überdies möglichst mit der Umgebung in Einklang gesetzt wird." „So mußten sich z. B., umgekehrt'wie solches die heutige Baukunst lehrt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/353>, abgerufen am 27.09.2024.