Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.Vieles haben ihm schon seine Freunde und Zeitgenossen gegen seine Methode, Das deutsche Volk hat keine Geschichte, auch das preußische hat keine, die W o es e n b e r i es t. -- Wenn ich heute in einer Charakteristik der Vieles haben ihm schon seine Freunde und Zeitgenossen gegen seine Methode, Das deutsche Volk hat keine Geschichte, auch das preußische hat keine, die W o es e n b e r i es t. — Wenn ich heute in einer Charakteristik der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95302"/> <p xml:id="ID_924" prev="#ID_923"> Vieles haben ihm schon seine Freunde und Zeitgenossen gegen seine Methode,<lb/> poetisch darzustellen, eingewendet, sie haben ihm in's Gesicht gesagt, daß er zu<lb/> sehr nach Effecten strebe, daß er oft „packende" Wirkungen auf Kosten der<lb/> Schönheit suche u. s. w. Manches hat auch die kühle Kritik unsrer Zeit an<lb/> seinem schönen Talent auszusetzen. Aber das Alles hat ihn nicht verhindert, einer<lb/> von den auserwählten Lieblingsdichtern unsres Volkes zu werden, denn auch da,<lb/> wo er gegen die hohen Gesetze der Schönheit, welche er selbst so sehr ehrte und<lb/> zu befolgen suchte, verstoßen hat, da, wo falsche Wirkungen und eine gewisse<lb/> Sentimentalität zu bemerken sind, ist die Ursache der Fehler eine Eigenthümlich¬<lb/> keit der Seele, welche der Deutsche am meiste» liebt, weil'sie seinem eigenen<lb/> Wesen angehört, jenes liebevolle, weiche, leicht erschütterte und über seinen Em¬<lb/> pfindungen träumerisch brütende Gemüth; dasselbe Gemüth, dessen Regungen<lb/> unsre europäische Nachbarschaft so lange kritisirt und verlacht, bis sie sich ein¬<lb/> mal in hinreißender Kraft und Größe zeigen; dann unterwerfen sie wol die<lb/> übrige Welt.</p><lb/> <p xml:id="ID_925"> Das deutsche Volk hat keine Geschichte, auch das preußische hat keine, die<lb/> über den großen Churfürsten auf der Spreebrücke hinausgeht; und doch hat kein<lb/> Volk mehr als das deutsche daS Bedürfniß, zu lieben und zu verehren. Was Wunder,<lb/> daß bei uns die hellen Gestalten einer jetzt abgeschlossenen Literaturperiode zu<lb/> nationalen Helden geworden sind; daß Goethe, Schiller, Uhland, Chamisso und<lb/> ihre Zeitgenossen sür uns noch eine andere Bedeutung haben, als die englischen<lb/> und französischen Dichter für ihre Zeitgenossen. Sie sind für unser Leben, was<lb/> man in blinder alter Zeit Hausgötter oder Schutzpatrone nannte, sind die Freude<lb/> und der Stolz des Deutschen, in denen er sein eigenes Wesen verschönert und<lb/> .verklärt wiederfindet. Und deshalb sind alle diese Männer in ihrer Wirkung aus<lb/> die Nation nicht uur zu messen nach dem künstlerischen Werth ihrer Schöpfungen,<lb/> sondern noch mehr nach der Bedeutung, welche sie ans das Gemüth ihres Volkes<lb/> ausgeübt haben. Und von diesem Standpunkt ist Adelbert Chamisso einer der<lb/> bedeutendsten Dichter seit Schiller, und einer, dessen gute, liebenswerthe Persön¬<lb/> lichkeit verdient, daß sich ein ganzes Volk ihrer erfreue.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> W o es e n b e r i es t.</head><lb/> <div n="2"> <head> </head> <p xml:id="ID_926" next="#ID_927"> — Wenn ich heute in einer Charakteristik der<lb/> Wahlen fortfahre und die wahrscheinliche Gestalt der künstigen Kammer in einigen all¬<lb/> gemeinen Umrissen zu zeichnen versuche, so sehe ich schon, daß Viele vornehm übel das<lb/> kindische Treiben lächeln werden, das mühsam die einzelnen Sandkörnchen zu einem<lb/> armseligen Häuschen zusammenkehrt, unbekümmert darum, daß es von dem nächsten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
Vieles haben ihm schon seine Freunde und Zeitgenossen gegen seine Methode,
poetisch darzustellen, eingewendet, sie haben ihm in's Gesicht gesagt, daß er zu
sehr nach Effecten strebe, daß er oft „packende" Wirkungen auf Kosten der
Schönheit suche u. s. w. Manches hat auch die kühle Kritik unsrer Zeit an
seinem schönen Talent auszusetzen. Aber das Alles hat ihn nicht verhindert, einer
von den auserwählten Lieblingsdichtern unsres Volkes zu werden, denn auch da,
wo er gegen die hohen Gesetze der Schönheit, welche er selbst so sehr ehrte und
zu befolgen suchte, verstoßen hat, da, wo falsche Wirkungen und eine gewisse
Sentimentalität zu bemerken sind, ist die Ursache der Fehler eine Eigenthümlich¬
keit der Seele, welche der Deutsche am meiste» liebt, weil'sie seinem eigenen
Wesen angehört, jenes liebevolle, weiche, leicht erschütterte und über seinen Em¬
pfindungen träumerisch brütende Gemüth; dasselbe Gemüth, dessen Regungen
unsre europäische Nachbarschaft so lange kritisirt und verlacht, bis sie sich ein¬
mal in hinreißender Kraft und Größe zeigen; dann unterwerfen sie wol die
übrige Welt.
Das deutsche Volk hat keine Geschichte, auch das preußische hat keine, die
über den großen Churfürsten auf der Spreebrücke hinausgeht; und doch hat kein
Volk mehr als das deutsche daS Bedürfniß, zu lieben und zu verehren. Was Wunder,
daß bei uns die hellen Gestalten einer jetzt abgeschlossenen Literaturperiode zu
nationalen Helden geworden sind; daß Goethe, Schiller, Uhland, Chamisso und
ihre Zeitgenossen sür uns noch eine andere Bedeutung haben, als die englischen
und französischen Dichter für ihre Zeitgenossen. Sie sind für unser Leben, was
man in blinder alter Zeit Hausgötter oder Schutzpatrone nannte, sind die Freude
und der Stolz des Deutschen, in denen er sein eigenes Wesen verschönert und
.verklärt wiederfindet. Und deshalb sind alle diese Männer in ihrer Wirkung aus
die Nation nicht uur zu messen nach dem künstlerischen Werth ihrer Schöpfungen,
sondern noch mehr nach der Bedeutung, welche sie ans das Gemüth ihres Volkes
ausgeübt haben. Und von diesem Standpunkt ist Adelbert Chamisso einer der
bedeutendsten Dichter seit Schiller, und einer, dessen gute, liebenswerthe Persön¬
lichkeit verdient, daß sich ein ganzes Volk ihrer erfreue.
W o es e n b e r i es t.
— Wenn ich heute in einer Charakteristik der
Wahlen fortfahre und die wahrscheinliche Gestalt der künstigen Kammer in einigen all¬
gemeinen Umrissen zu zeichnen versuche, so sehe ich schon, daß Viele vornehm übel das
kindische Treiben lächeln werden, das mühsam die einzelnen Sandkörnchen zu einem
armseligen Häuschen zusammenkehrt, unbekümmert darum, daß es von dem nächsten
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