Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Erinnerungen an sein Vaterland, die in der Ferne wieder lebendig geworden
waren'. Bei diesem Zwiespalt in seinem Innern war es ihm oft Bedürfniß, sich
zu isoliren und zu zerstreuen, und so schrieb er 1813 für die Kiuder von Eduard
Hitzig das Märchen "Peter Schlemihl." Endlich im Jahre 181-3 faßte er den
schnellen Entschluß, die russische Entdeckungsreise des Rurik uach dem Nordpol
als Naturforscher mitzumachen. Von den Jahren 181Il--1818 saß er unter den
Russen, eingestand in die kleine Brigg, unter Verhältnissen, die vielleicht jedem
Andern unerträglich vorgekommen wären. Er aber war schon ein so guter Deutscher
geworden, daß er mit größter Gemüthlichkeit und bester Laune Alles überwand.
Uebel,- alles Neue hatte er, mit 3i Jahren der älteste Mann der ganzen Equi¬
page, die allerjngendlichste Freude. Ueberall verstand er sich wohl zu sühlen,
und in seiner einfachen und behaglichen Weise mit jeder Art von Einge-
bornen sich zurecht zu finden. Immer sah er zumeist das Gute im Menschen
und ertrug mit Milde das Unvollkommene und Schlechte. Es war ihm
-- mit einigen Ausnahmen -- wohl unter seinen Russen, er freute sich über
die Spanier in Chili und Kalifornien, er schenkte, in einen Schlafrock von
Rennthiersell gewickelt, den Aleuten seinen Tabak und rieb sich mit ihnen die
Nase, er botanisirte rauchend nnter den Spießen der Südsee-Insulaner, und
schloß die berühmte innige Freundschaft mit dem 'braunen Polynesier Kadu auf
dem Natal Archipel. Während der ganzen Reise aber dachte er fortwährend an
seine Freunde in Berlin, und nach drei Jahren Abwesenheit trat er an einem
Herbsttage zu Ednard Hitzig in die Stube, fiel ihm um den Hals, brannte seine
Cigarre an und erzählte den Kindern des Freundes vom Nordpol und den Sand-
wichinseln mit derselben Behaglichkeit und objectiven Ruhe, mit der er ihnen sonst
Märchen und Schwänke erzählt hatte. Von da ab wurde er ein Bürger Berlins.
Er erhielt eine Anstellung am botanischen Garten, heirathete, erzog seine Kinder,
gab eine Reihe von Jahren den Musenalmanach heraus, und theilte seine Zeit
zwischen naturwissenschaftlichen und linguistischen Arbeiten, seiner Poesie und dem
liebevollen Verkehr mit seinen Freunden. Es war ihm beschieden, fast zwanzig
Jahre das ruhige Glück eines Mannes zu genießen, der sich in seiner Familie
und Heimath wohl fühlt. Aber noch vor seinem Tode hatte er den Schmerz,
seine liebenswürdige Frau zu verlieren; ein Jahr später folgte er ihr nach, viel
beweint von seinen zahlreichen persönlichen Freunden und betrauert von der ganzen
Nation, der er ein Liebling geworden war. In den Fieberträumen vor seinem
Tode hat er Französisch gesprochen und manchmal im Dialekt der Südseeinseln,
so oft er wach war, redete er Deutsch. Gezählt und gerechnet hat er immer in
französischer Sprache, aber in der deutschen hat er geliebt.

Ein solches Leben, viel bekannt durch die wiederholten Ausgaben seiner
Werke, ist wol berechtigt, die Sympathien der Deutschen in Anspruch zu nehmen.
Es spiegelt sich wieder mit allen seinen Eigenthümlichkeiten in den Gedichten.


Erinnerungen an sein Vaterland, die in der Ferne wieder lebendig geworden
waren'. Bei diesem Zwiespalt in seinem Innern war es ihm oft Bedürfniß, sich
zu isoliren und zu zerstreuen, und so schrieb er 1813 für die Kiuder von Eduard
Hitzig das Märchen „Peter Schlemihl." Endlich im Jahre 181-3 faßte er den
schnellen Entschluß, die russische Entdeckungsreise des Rurik uach dem Nordpol
als Naturforscher mitzumachen. Von den Jahren 181Il—1818 saß er unter den
Russen, eingestand in die kleine Brigg, unter Verhältnissen, die vielleicht jedem
Andern unerträglich vorgekommen wären. Er aber war schon ein so guter Deutscher
geworden, daß er mit größter Gemüthlichkeit und bester Laune Alles überwand.
Uebel,- alles Neue hatte er, mit 3i Jahren der älteste Mann der ganzen Equi¬
page, die allerjngendlichste Freude. Ueberall verstand er sich wohl zu sühlen,
und in seiner einfachen und behaglichen Weise mit jeder Art von Einge-
bornen sich zurecht zu finden. Immer sah er zumeist das Gute im Menschen
und ertrug mit Milde das Unvollkommene und Schlechte. Es war ihm
— mit einigen Ausnahmen — wohl unter seinen Russen, er freute sich über
die Spanier in Chili und Kalifornien, er schenkte, in einen Schlafrock von
Rennthiersell gewickelt, den Aleuten seinen Tabak und rieb sich mit ihnen die
Nase, er botanisirte rauchend nnter den Spießen der Südsee-Insulaner, und
schloß die berühmte innige Freundschaft mit dem 'braunen Polynesier Kadu auf
dem Natal Archipel. Während der ganzen Reise aber dachte er fortwährend an
seine Freunde in Berlin, und nach drei Jahren Abwesenheit trat er an einem
Herbsttage zu Ednard Hitzig in die Stube, fiel ihm um den Hals, brannte seine
Cigarre an und erzählte den Kindern des Freundes vom Nordpol und den Sand-
wichinseln mit derselben Behaglichkeit und objectiven Ruhe, mit der er ihnen sonst
Märchen und Schwänke erzählt hatte. Von da ab wurde er ein Bürger Berlins.
Er erhielt eine Anstellung am botanischen Garten, heirathete, erzog seine Kinder,
gab eine Reihe von Jahren den Musenalmanach heraus, und theilte seine Zeit
zwischen naturwissenschaftlichen und linguistischen Arbeiten, seiner Poesie und dem
liebevollen Verkehr mit seinen Freunden. Es war ihm beschieden, fast zwanzig
Jahre das ruhige Glück eines Mannes zu genießen, der sich in seiner Familie
und Heimath wohl fühlt. Aber noch vor seinem Tode hatte er den Schmerz,
seine liebenswürdige Frau zu verlieren; ein Jahr später folgte er ihr nach, viel
beweint von seinen zahlreichen persönlichen Freunden und betrauert von der ganzen
Nation, der er ein Liebling geworden war. In den Fieberträumen vor seinem
Tode hat er Französisch gesprochen und manchmal im Dialekt der Südseeinseln,
so oft er wach war, redete er Deutsch. Gezählt und gerechnet hat er immer in
französischer Sprache, aber in der deutschen hat er geliebt.

Ein solches Leben, viel bekannt durch die wiederholten Ausgaben seiner
Werke, ist wol berechtigt, die Sympathien der Deutschen in Anspruch zu nehmen.
Es spiegelt sich wieder mit allen seinen Eigenthümlichkeiten in den Gedichten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95301"/>
          <p xml:id="ID_922" prev="#ID_921"> Erinnerungen an sein Vaterland, die in der Ferne wieder lebendig geworden<lb/>
waren'. Bei diesem Zwiespalt in seinem Innern war es ihm oft Bedürfniß, sich<lb/>
zu isoliren und zu zerstreuen, und so schrieb er 1813 für die Kiuder von Eduard<lb/>
Hitzig das Märchen &#x201E;Peter Schlemihl." Endlich im Jahre 181-3 faßte er den<lb/>
schnellen Entschluß, die russische Entdeckungsreise des Rurik uach dem Nordpol<lb/>
als Naturforscher mitzumachen. Von den Jahren 181Il&#x2014;1818 saß er unter den<lb/>
Russen, eingestand in die kleine Brigg, unter Verhältnissen, die vielleicht jedem<lb/>
Andern unerträglich vorgekommen wären. Er aber war schon ein so guter Deutscher<lb/>
geworden, daß er mit größter Gemüthlichkeit und bester Laune Alles überwand.<lb/>
Uebel,- alles Neue hatte er, mit 3i Jahren der älteste Mann der ganzen Equi¬<lb/>
page, die allerjngendlichste Freude. Ueberall verstand er sich wohl zu sühlen,<lb/>
und in seiner einfachen und behaglichen Weise mit jeder Art von Einge-<lb/>
bornen sich zurecht zu finden. Immer sah er zumeist das Gute im Menschen<lb/>
und ertrug mit Milde das Unvollkommene und Schlechte. Es war ihm<lb/>
&#x2014; mit einigen Ausnahmen &#x2014; wohl unter seinen Russen, er freute sich über<lb/>
die Spanier in Chili und Kalifornien, er schenkte, in einen Schlafrock von<lb/>
Rennthiersell gewickelt, den Aleuten seinen Tabak und rieb sich mit ihnen die<lb/>
Nase, er botanisirte rauchend nnter den Spießen der Südsee-Insulaner, und<lb/>
schloß die berühmte innige Freundschaft mit dem 'braunen Polynesier Kadu auf<lb/>
dem Natal Archipel. Während der ganzen Reise aber dachte er fortwährend an<lb/>
seine Freunde in Berlin, und nach drei Jahren Abwesenheit trat er an einem<lb/>
Herbsttage zu Ednard Hitzig in die Stube, fiel ihm um den Hals, brannte seine<lb/>
Cigarre an und erzählte den Kindern des Freundes vom Nordpol und den Sand-<lb/>
wichinseln mit derselben Behaglichkeit und objectiven Ruhe, mit der er ihnen sonst<lb/>
Märchen und Schwänke erzählt hatte. Von da ab wurde er ein Bürger Berlins.<lb/>
Er erhielt eine Anstellung am botanischen Garten, heirathete, erzog seine Kinder,<lb/>
gab eine Reihe von Jahren den Musenalmanach heraus, und theilte seine Zeit<lb/>
zwischen naturwissenschaftlichen und linguistischen Arbeiten, seiner Poesie und dem<lb/>
liebevollen Verkehr mit seinen Freunden. Es war ihm beschieden, fast zwanzig<lb/>
Jahre das ruhige Glück eines Mannes zu genießen, der sich in seiner Familie<lb/>
und Heimath wohl fühlt. Aber noch vor seinem Tode hatte er den Schmerz,<lb/>
seine liebenswürdige Frau zu verlieren; ein Jahr später folgte er ihr nach, viel<lb/>
beweint von seinen zahlreichen persönlichen Freunden und betrauert von der ganzen<lb/>
Nation, der er ein Liebling geworden war. In den Fieberträumen vor seinem<lb/>
Tode hat er Französisch gesprochen und manchmal im Dialekt der Südseeinseln,<lb/>
so oft er wach war, redete er Deutsch. Gezählt und gerechnet hat er immer in<lb/>
französischer Sprache, aber in der deutschen hat er geliebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_923" next="#ID_924"> Ein solches Leben, viel bekannt durch die wiederholten Ausgaben seiner<lb/>
Werke, ist wol berechtigt, die Sympathien der Deutschen in Anspruch zu nehmen.<lb/>
Es spiegelt sich wieder mit allen seinen Eigenthümlichkeiten in den Gedichten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] Erinnerungen an sein Vaterland, die in der Ferne wieder lebendig geworden waren'. Bei diesem Zwiespalt in seinem Innern war es ihm oft Bedürfniß, sich zu isoliren und zu zerstreuen, und so schrieb er 1813 für die Kiuder von Eduard Hitzig das Märchen „Peter Schlemihl." Endlich im Jahre 181-3 faßte er den schnellen Entschluß, die russische Entdeckungsreise des Rurik uach dem Nordpol als Naturforscher mitzumachen. Von den Jahren 181Il—1818 saß er unter den Russen, eingestand in die kleine Brigg, unter Verhältnissen, die vielleicht jedem Andern unerträglich vorgekommen wären. Er aber war schon ein so guter Deutscher geworden, daß er mit größter Gemüthlichkeit und bester Laune Alles überwand. Uebel,- alles Neue hatte er, mit 3i Jahren der älteste Mann der ganzen Equi¬ page, die allerjngendlichste Freude. Ueberall verstand er sich wohl zu sühlen, und in seiner einfachen und behaglichen Weise mit jeder Art von Einge- bornen sich zurecht zu finden. Immer sah er zumeist das Gute im Menschen und ertrug mit Milde das Unvollkommene und Schlechte. Es war ihm — mit einigen Ausnahmen — wohl unter seinen Russen, er freute sich über die Spanier in Chili und Kalifornien, er schenkte, in einen Schlafrock von Rennthiersell gewickelt, den Aleuten seinen Tabak und rieb sich mit ihnen die Nase, er botanisirte rauchend nnter den Spießen der Südsee-Insulaner, und schloß die berühmte innige Freundschaft mit dem 'braunen Polynesier Kadu auf dem Natal Archipel. Während der ganzen Reise aber dachte er fortwährend an seine Freunde in Berlin, und nach drei Jahren Abwesenheit trat er an einem Herbsttage zu Ednard Hitzig in die Stube, fiel ihm um den Hals, brannte seine Cigarre an und erzählte den Kindern des Freundes vom Nordpol und den Sand- wichinseln mit derselben Behaglichkeit und objectiven Ruhe, mit der er ihnen sonst Märchen und Schwänke erzählt hatte. Von da ab wurde er ein Bürger Berlins. Er erhielt eine Anstellung am botanischen Garten, heirathete, erzog seine Kinder, gab eine Reihe von Jahren den Musenalmanach heraus, und theilte seine Zeit zwischen naturwissenschaftlichen und linguistischen Arbeiten, seiner Poesie und dem liebevollen Verkehr mit seinen Freunden. Es war ihm beschieden, fast zwanzig Jahre das ruhige Glück eines Mannes zu genießen, der sich in seiner Familie und Heimath wohl fühlt. Aber noch vor seinem Tode hatte er den Schmerz, seine liebenswürdige Frau zu verlieren; ein Jahr später folgte er ihr nach, viel beweint von seinen zahlreichen persönlichen Freunden und betrauert von der ganzen Nation, der er ein Liebling geworden war. In den Fieberträumen vor seinem Tode hat er Französisch gesprochen und manchmal im Dialekt der Südseeinseln, so oft er wach war, redete er Deutsch. Gezählt und gerechnet hat er immer in französischer Sprache, aber in der deutschen hat er geliebt. Ein solches Leben, viel bekannt durch die wiederholten Ausgaben seiner Werke, ist wol berechtigt, die Sympathien der Deutschen in Anspruch zu nehmen. Es spiegelt sich wieder mit allen seinen Eigenthümlichkeiten in den Gedichten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/320>, abgerufen am 27.09.2024.