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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Feinde sein, und Napoleon schickt Officiere zum Recognosciren hin. Fast zwei
Stunden vergehen, ehe die Nachricht zurückkommt, daß es Erlon's Corps ist,
welches, man weiß hente noch nicht aus wessen Befehl, von Frasne her hierüber
gezogen ist. Es soll nun den rechten Flügel der Preußen in den Rücken nehmen,
wird aber inzwischen von Ney dringend aufgefordert, umzukehren, was auch geschieht.
Da es noch so weit zurück war, konnte es ohnedies schwerlich vor nenn Uhr zum
Angriff kommen. Napoleon setzt jetzt die unterbrochene Bewegung der Garden
auf Ligny fort, wirft die Preußen aus Ligny und durchbricht das Centrum, nach¬
dem Blücher noch vergeblich eiuen Cavallerieangriff versucht hat, bei dem er selbst
beinahe in Gefangenschaft geräth. Die einbrechende Nacht begünstigt den Rückzug
der Preußen, den Thielemann deckte. Er ging ziemlich geordnet in Carrees vor
sich, was auch der geringe Verlust an Gefangenen und Geschütz beweist; erstere
betrugen einige 1000 Mann, letztere 21 Stück, die noch dazu meistens in der
Schlacht selbst in des Feindes Hand fielen. Das, was Blücher am meisten ge¬
fürchtet hatte, war nicht geschehen. Er war von Wellington nicht abgedrängt
worden, und machte sich bereit ihm über Wavre zuzuziehen.

Napoleon und die französischen Schriftsteller meistens, so wie deren Nachbeter
in Deutschland schieben die Schuld der geringen Erfolge auf dem Schlachtfelde von
Ligny ganz auf den Marschall Ney, der von Quatrebras aus eine Bewegung in
den'Rücken der Preußen habe machen sollen, um die Niederlage derselben voll¬
ständig zu machen, aber den Befehl nicht befolgt habe. Ueberhaupt wird diesem
Marschall Schuld gegeben, daß er seinen Angriff gegen Quatrebras nicht mit der
gehörigen Energie ausgeführt habe, und daher Ursache sei, daß eine Schlacht von
Waterloo überhaupt uoch geschlagen werden mußte. Dies führt uns von selbst aus
das Schlachtfeld von Quatrebras.

Bestimmter gesaßt lauten die Anklagen Napoleon's gegen Ney: Er habe
bei Quatrebras zu spät angegriffen, dadurch und durch zu geringe Energie die
Gewißheit, den Feind dort über den Haufen zu werfen, wie ihm Napoleon be¬
fohlen, zu Nichte gemacht, und einem andern ihm um halb 12 Uhr zugekommenen
Befehl, 10,000 Mann den Preußen nach Bry in deu Rücken zu senden, um
die von diesen verlorene Schlacht in eine vernichtende Niederlage zu verwandeln,
nicht gehorcht.

Um hier klarer zu sehen, müssen wir etwas zurückgreifen. Als Napoleon
das Avant-Gardecorps der Preußen ans Charleroi verdrängt hatte, und mit zwei
Dritteln gegen die Hauptmasse der Preußen bei Ligny zog, entsendete er den
Marschall Ney mit dem letzten Drittel, 43,000 Mann, gegen Quatrebras, um
dort Alles, was vou deu Engländern ankam, festzuhalten. Ney hatte, erst am
13. in Charleroi während des Gefechts angekommen, ganz unvorbereitet das
ihm zugedachte Kommando übernommen; nicht einmal seine Feldeqnipirnng brachte
er mit, und mußte erst zwei Pferde kaufen, um sich und seine Adjutanten beritten


Feinde sein, und Napoleon schickt Officiere zum Recognosciren hin. Fast zwei
Stunden vergehen, ehe die Nachricht zurückkommt, daß es Erlon's Corps ist,
welches, man weiß hente noch nicht aus wessen Befehl, von Frasne her hierüber
gezogen ist. Es soll nun den rechten Flügel der Preußen in den Rücken nehmen,
wird aber inzwischen von Ney dringend aufgefordert, umzukehren, was auch geschieht.
Da es noch so weit zurück war, konnte es ohnedies schwerlich vor nenn Uhr zum
Angriff kommen. Napoleon setzt jetzt die unterbrochene Bewegung der Garden
auf Ligny fort, wirft die Preußen aus Ligny und durchbricht das Centrum, nach¬
dem Blücher noch vergeblich eiuen Cavallerieangriff versucht hat, bei dem er selbst
beinahe in Gefangenschaft geräth. Die einbrechende Nacht begünstigt den Rückzug
der Preußen, den Thielemann deckte. Er ging ziemlich geordnet in Carrees vor
sich, was auch der geringe Verlust an Gefangenen und Geschütz beweist; erstere
betrugen einige 1000 Mann, letztere 21 Stück, die noch dazu meistens in der
Schlacht selbst in des Feindes Hand fielen. Das, was Blücher am meisten ge¬
fürchtet hatte, war nicht geschehen. Er war von Wellington nicht abgedrängt
worden, und machte sich bereit ihm über Wavre zuzuziehen.

Napoleon und die französischen Schriftsteller meistens, so wie deren Nachbeter
in Deutschland schieben die Schuld der geringen Erfolge auf dem Schlachtfelde von
Ligny ganz auf den Marschall Ney, der von Quatrebras aus eine Bewegung in
den'Rücken der Preußen habe machen sollen, um die Niederlage derselben voll¬
ständig zu machen, aber den Befehl nicht befolgt habe. Ueberhaupt wird diesem
Marschall Schuld gegeben, daß er seinen Angriff gegen Quatrebras nicht mit der
gehörigen Energie ausgeführt habe, und daher Ursache sei, daß eine Schlacht von
Waterloo überhaupt uoch geschlagen werden mußte. Dies führt uns von selbst aus
das Schlachtfeld von Quatrebras.

Bestimmter gesaßt lauten die Anklagen Napoleon's gegen Ney: Er habe
bei Quatrebras zu spät angegriffen, dadurch und durch zu geringe Energie die
Gewißheit, den Feind dort über den Haufen zu werfen, wie ihm Napoleon be¬
fohlen, zu Nichte gemacht, und einem andern ihm um halb 12 Uhr zugekommenen
Befehl, 10,000 Mann den Preußen nach Bry in deu Rücken zu senden, um
die von diesen verlorene Schlacht in eine vernichtende Niederlage zu verwandeln,
nicht gehorcht.

Um hier klarer zu sehen, müssen wir etwas zurückgreifen. Als Napoleon
das Avant-Gardecorps der Preußen ans Charleroi verdrängt hatte, und mit zwei
Dritteln gegen die Hauptmasse der Preußen bei Ligny zog, entsendete er den
Marschall Ney mit dem letzten Drittel, 43,000 Mann, gegen Quatrebras, um
dort Alles, was vou deu Engländern ankam, festzuhalten. Ney hatte, erst am
13. in Charleroi während des Gefechts angekommen, ganz unvorbereitet das
ihm zugedachte Kommando übernommen; nicht einmal seine Feldeqnipirnng brachte
er mit, und mußte erst zwei Pferde kaufen, um sich und seine Adjutanten beritten


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[0256] Feinde sein, und Napoleon schickt Officiere zum Recognosciren hin. Fast zwei Stunden vergehen, ehe die Nachricht zurückkommt, daß es Erlon's Corps ist, welches, man weiß hente noch nicht aus wessen Befehl, von Frasne her hierüber gezogen ist. Es soll nun den rechten Flügel der Preußen in den Rücken nehmen, wird aber inzwischen von Ney dringend aufgefordert, umzukehren, was auch geschieht. Da es noch so weit zurück war, konnte es ohnedies schwerlich vor nenn Uhr zum Angriff kommen. Napoleon setzt jetzt die unterbrochene Bewegung der Garden auf Ligny fort, wirft die Preußen aus Ligny und durchbricht das Centrum, nach¬ dem Blücher noch vergeblich eiuen Cavallerieangriff versucht hat, bei dem er selbst beinahe in Gefangenschaft geräth. Die einbrechende Nacht begünstigt den Rückzug der Preußen, den Thielemann deckte. Er ging ziemlich geordnet in Carrees vor sich, was auch der geringe Verlust an Gefangenen und Geschütz beweist; erstere betrugen einige 1000 Mann, letztere 21 Stück, die noch dazu meistens in der Schlacht selbst in des Feindes Hand fielen. Das, was Blücher am meisten ge¬ fürchtet hatte, war nicht geschehen. Er war von Wellington nicht abgedrängt worden, und machte sich bereit ihm über Wavre zuzuziehen. Napoleon und die französischen Schriftsteller meistens, so wie deren Nachbeter in Deutschland schieben die Schuld der geringen Erfolge auf dem Schlachtfelde von Ligny ganz auf den Marschall Ney, der von Quatrebras aus eine Bewegung in den'Rücken der Preußen habe machen sollen, um die Niederlage derselben voll¬ ständig zu machen, aber den Befehl nicht befolgt habe. Ueberhaupt wird diesem Marschall Schuld gegeben, daß er seinen Angriff gegen Quatrebras nicht mit der gehörigen Energie ausgeführt habe, und daher Ursache sei, daß eine Schlacht von Waterloo überhaupt uoch geschlagen werden mußte. Dies führt uns von selbst aus das Schlachtfeld von Quatrebras. Bestimmter gesaßt lauten die Anklagen Napoleon's gegen Ney: Er habe bei Quatrebras zu spät angegriffen, dadurch und durch zu geringe Energie die Gewißheit, den Feind dort über den Haufen zu werfen, wie ihm Napoleon be¬ fohlen, zu Nichte gemacht, und einem andern ihm um halb 12 Uhr zugekommenen Befehl, 10,000 Mann den Preußen nach Bry in deu Rücken zu senden, um die von diesen verlorene Schlacht in eine vernichtende Niederlage zu verwandeln, nicht gehorcht. Um hier klarer zu sehen, müssen wir etwas zurückgreifen. Als Napoleon das Avant-Gardecorps der Preußen ans Charleroi verdrängt hatte, und mit zwei Dritteln gegen die Hauptmasse der Preußen bei Ligny zog, entsendete er den Marschall Ney mit dem letzten Drittel, 43,000 Mann, gegen Quatrebras, um dort Alles, was vou deu Engländern ankam, festzuhalten. Ney hatte, erst am 13. in Charleroi während des Gefechts angekommen, ganz unvorbereitet das ihm zugedachte Kommando übernommen; nicht einmal seine Feldeqnipirnng brachte er mit, und mußte erst zwei Pferde kaufen, um sich und seine Adjutanten beritten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/256>, abgerufen am 20.10.2024.